Lawrow: USA geben Beteiligung an Nord-Stream-Explosionen zu
Kein Land könne sich ewig im Frieden befinden, fährt der Redner fort, nicht einmal die Vereinigten Staaten. Die USA hätten immer Kriege geführt. Europa werde zwar nicht “zu großen Kriegen” zurückkehren, sondern zur “Normalität der Geschichte”. Es werde “seine Kriege und seine Friedenszeiten haben”, es werde auch Verluste erleben. Es werde nicht “100 Millionen Tote” geben wie im letzten Krieg, aber die Idee, ein “auserwählter Kontinent” zu sein, werde “zu dieser Entwicklung” beitragen.
Als Konfliktherde in Europa benennt Friedman Jugoslawien und jetzt die Ukraine. Was die Beziehung Europas zu den Vereinigten Staaten betrifft, so hätten die USA keine Beziehungen zu “Europa”. Sie hätten Beziehungen zu Rumänien und zu Frankreich, aber: “es gibt kein Europa, mit dem die USA Beziehungen haben, wir haben andere Interessen in der Außenpolitik”. So wollen die USA auf den inneren Widersprüchen Europas spielen und sie für sich ausnutzen:
“Wenn Sie Ukrainer wären, würden Sie nach dem Einzigen suchen, der Ihnen helfen kann, und das sind die Vereinigten Staaten. Wie auch immer, wir kehren zum alten Spiel zurück und wenn Sie einen Polen, einen Ungarn oder einen Rumänen fragen, leben die in einer ganz anderen Welt als die Deutschen und in einer anderen Welt als die Spanier. Es herrscht Uneinigkeit in Europa. Aber was die Ukrainer bevorzugen, das werde ich ihnen sagen: sie werden versuchen, die USA möglichst nicht zu verärgern.”
Die Vereinigten Staaten haben ein grundlegendes Interesse. Sie kontrollieren alle Weltmeere. Keine andere Macht hat das getan. Aus diesem Grund intervenieren die USA weltweit bei den Völkern, können aber selbst nicht angegriffen werden, räumt Friedman ein:
“Das ist eine schöne Sache. Die Kontrolle über die Ozeane und den Weltraum zu behalten, ist die Grundlage unserer Macht.”
Der beste Weg, eine feindliche Flotte zu besiegen, bestehe darin zu verhindern, dass sie gebaut wird. Die Briten stellten sicher, dass keine europäische Macht die Flotte aufbauen konnte, indem sie dafür sorgten, dass die Europäer gegeneinander kämpften. Die von Friedman empfohlene Politik ist diejenige, die von Ronald Reagan im Iran-Irak-Krieg (1980 bis 1988) angewendet wurde. Er finanzierte beide Seiten, damit sie gegeneinander kämpfen und nicht gegen die Vereinigten Staaten. Das war “zynisch, es war moralisch nicht vertretbar”, aber es habe funktioniert.
Die Vereinigten Staaten sind nicht in der Lage, ganz Eurasien zu besetzen. In dem Moment, wo die Stiefel von US-Soldaten “den Boden berühren”, sind sie zahlenmäßig unterlegen. Die USA können eine Armee zerschlagen, sind aber nicht in der Lage, den Irak zu besetzen. Die Vorstellung, dass die US-Armee mit ihren 130.000 Soldaten ein Land mit 25 Millionen Einwohnern besetzen könnte, sei absurd:
“Das Verhältnis der Zahl der Polizeibeamten zur Bevölkerung New Yorks ist größer als das Verhältnis der US-Soldaten zur irakischen Bevölkerung. Deshalb können wir nicht überall militärisch eingreifen, aber wir können zunächst die Mächte unterstützen, die gegeneinander kämpfen, damit sie sich auf sich selbst konzentrieren. Wir können sie politisch, wirtschaftlich, militärisch und mit Beratern unterstützen. Im schlimmsten Fall können wir mit Präventivschlägen (‘spoiling attacks’) intervenieren, wie in Japan … nein … wie in Vietnam, im Irak und in Afghanistan.”
Die sogenannten Störangriffe sollen den Feind nicht besiegen, sondern ihn “aus dem Gleichgewicht bringen”. Das versuchten die USA in jedem dieser Kriege. In Afghanistan zum Beispiel hätten sie wal-Qaida “aus dem Gleichgewicht gebracht”. Das Problem aus Sicht des Redner sei, dass man in Anbetracht der Leichtigkeit, mit der das vorrangige Ziel der Destabilisierung erreicht werden konnte, sich weitergehende, konstruktive Ziele setze:
“Anstatt zu sagen, wir haben den Job gut gemacht, lasst uns jetzt nach Hause gehen, sagen wir: ‘Mann, das war aber leicht. Lasst uns noch hierbleiben und eine Demokratie aufbauen!’ Das war der Moment unserer Geistesschwäche.”
Die Lehre, die man daraus ziehen müsse, sei, dass die Vereinigten Staaten nicht immer und überall in Eurasien militärisch eingreifen können. Sie sollten punktuell und möglichst selten eingreifen. Eine Militärintervention müsse ein Sonderfall, “die letzte Möglichkeit”, sein. Wenn man aber schon US-Truppen entsende, dann müsse die Intervention “eingeschränkt” erfolgen. Die militärische Aufgabenstellung müsse klar definiert sein, und man müsse bei der anfänglichen Zielsetzung bleiben. Jede direkte Intervention müsse “eingeschränkt” erfolgen und dürfe keine “gigantischen Ausmaße” erreichen.
Ein Imperium könne nicht überall intervenieren. Die Briten hätten Indien seinerzeit nicht besetzt. Sie hätten vielmehr die einzelnen Bundesstaaten Indiens gezwungen, gegeneinander zu kämpfen. Sie installierten britische Offiziere in der indischen Armee. Auch die alten Römer hätten keine großen Heere in abgelegene Regionen geschickt, sondern prorömische Könige eingesetzt, “so etwa Pontius Pilatus”.
Imperien, die versuchen, das gesamte Imperium allein zu regieren, wie es beim Nazi-Imperium der Fall war, seien zum Scheitern verurteilt:
“Niemand hat so viel Macht. Man muss da sehr klug vorgehen.”
Es sei noch nicht das Thema, ob die USA zugeben, ein Imperium zu sein. Das hieße in jedem Fall nicht, dass “wir entspannt nach Hause gehen können und und um nichts mehr kümmern müssen.”
Meinung Putins Einfall in die Ukraine: Flucht nach vorn?
Die ungelöste Frage sei, wie Deutschland reagieren wird. Während die Vereinigten Staaten ihren “Sicherheitsgürtel” nicht in der Ukraine, sondern im Westen aufbauen und “die Russen” nach einem Schritt suchen, um “den hässlichen Einfluss in der Ukraine zurückzudrängen”, wisse man nicht, wie die deutsche Haltung sein wird.
Deutschland befinde sich in einer “ganz besonderen” Situation. Altkanzler Gerhard Schröder sitzt im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben eine “sehr komplexe Beziehung zu den Russen”. Sie wissen selbst nicht, was sie tun sollen. Sie müssen ihre Waren exportieren, die Russen können ihnen ihre Waren abnehmen. Andererseits verlieren sie ihre Freihandelszone, die sie brauchen, um andere Dinge aufzubauen.
Wer jetzt sagen kann, was die Deutschen vorhaben, schließt Friedmann, könne vorhersagen, wie die Geschichte in den nächsten 20 Jahren verlaufen wird. Aber:
“Leider haben sich die Deutschen nicht entschieden und das ist immer ein Problem für Deutschland: Sehr starke Wirtschaft, sehr fragile Geopolitik. Und beides können sie nicht unter einen Hut bringen. Dies ist seit 1871 das deutsche Problem.”
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