Von Tom J. Wellbrock
Nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien klangen die Beileidsbekundungen wie eine Kakophonie der Heuchler. Die Politiker, die genau wissen, in welche katastrophale Lage sie Syrien durch jahrelange Sanktionen gebracht haben, taten plötzlich so, als sei nie etwas gewesen. Das schließt natürlich nahezu sämtliche Medienformate des Mainstreams mit ein. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, einmal das Wort “Sanktionen” geschweige denn etwas über deren Auswirkungen gelesen zu haben. Aber es geht noch schlimmer als Ignoranz. Deutschlands Anti-Diplomatin Annalena Baerbock erklärt die Sanktionen so:
“Die Wirtschaftssanktionen richten sich gegen das Regime, das seit Jahren eine Terrorisierung seiner eigenen Bevölkerung betreibt und keine humanitäre Hilfe ins Land lässt. Deswegen sind nicht die Sanktionen gegen das Regime das Problem, sondern dass das Regime die Hilfe in der Vergangenheit nicht ins Land gelassen hat. Wir versuchen in den letzten Tagen alles, damit weitere Grenzübergänge geöffnet werden. Wir brauchen aber weiteren Zugang und darüber habe ich zum Beispiel gestern intensiv mit meinen türkischen Kollegen gesprochen, wie wir jetzt dringend diese Hilfe nach Nordsyrien bekommen.”
Einzig ein Aspekt an Baerbocks Aussage ergibt Sinn: dass ihre Aussage keinen Sinn ergibt. Die Sanktionen gegen die syrische Regierung richten sich also nur gegen die Bevölkerung, weil die syrische Regierung keine Hilfen ins Land lässt. Ansonsten scheinen Sanktionen eine sehr wirksame Sache gegen Despoten und Autokraten zu sein.
Demgegenüber sei aus einem Artikel der NachDenkSeiten vom November 2022 zitiert:
“Die UN-Sonderberichterstatterin ist in diesen Tagen von einer 12-tägigen Reise aus Syrien zurückgekehrt. ‘Die gesamte Bevölkerung’, schreibt sie, ‘lebt unter lebensbedrohenden Bedingungen. Es herrscht ein schwerer Mangel an Trinkwasser, an Wasser für die Bewässerung, an Abwasseranlagen, an Strom, Brennstoffen zum Kochen und zum Heizen, für das Transportwesen und die Landwirtschaft, es fehlt an Lebensmitteln (einschließlich Babynahrung), Gesundheitseinrichtungen, medizinischer Ausrüstung und Medikamenten sowie Arbeits- und Bildungseinrichtungen…'”
Und weiter heißt es:
“Die Fakten, die sie in ihrem Bericht aufführt, sind erschütternd: 90 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Preise sind seit 2019 um 800 Prozent gestiegen. Die Stromproduktion Syriens ist von täglich 9.500 Megawatt auf 2.100 Megawatt gesunken. Nur noch 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Syriens können bewässert werden. Die Getreideernte hat sich von 3,1 Mio. Tonnen 2019 auf 1,7 Mio. Tonnen 2022 nahezu halbiert. 14,6 Prozent der syrischen Bevölkerung leiden unter chronischen und seltenen Krankheiten und schätzungsweise 24 Prozent seien behindert. In dieser dramatischen Situation fehlt es an lebenswichtigen Medikamenten für die Behandlung von Krebs, Multipler Sklerose, Bluthochdruck, Diabetes, für die Dialyse fehlen Anästhetika und Diagnostika für alle Krebsarten.”
Baerbock argumentiert losgelöst von Fakten, und das zeichnet die Haltungspolitik aus. Von der soll nun die Rede sein.
Viel Haltung, kaum Wissen