Der Soziologe und Historiker Emmanuel Todd absolvierte das Institut d’études politiques de Paris und promovierte in Cambridge in Geschichte. Von 1977 bis 1984 war er Literaturkritiker für die französische Zeitung Le Monde, seitdem arbeitet er am Institut national d’études démographiques. Im Jahr 1976 beschwor er in seinem Buch “La chute finale” den Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Rahmen eines aktuellen Interviews mit dem Schweizer Wochenmagazin Weltwoche (Bezahlschranke) heißt es einleitend:
“Der französische Historiker Emmanuel Todd sagte den Zusammenbruch der Sowjetunion voraus. Heute sieht er die USA im Niedergang. Frankreich werde ausgelacht, die Briten handelten kopflos. Am schlimmsten stehe es um die Deutschen, die zur Zielscheibe der Amerikaner geworden seien. Russland hingegen gehe es besser, als viele westliche Beobachter meinen.”
Todd betont zu Beginn des Gesprächs, dass er sich in seinem Heimatland aktuell nicht an der Ukraine-Russland-Debatte beteilige. Ein internationaler Bestseller von ihm sei weiterhin nicht als französische Originalausgabe erhältlich. Thematisch behandele das Buch auch den Krieg in der Ukraine. Bezüglich einer sehr verkürzten geopolitischen Gesamteinschätzung der Gegenwart und der Interviewfrage, ob “der Westen die Russen” aufgrund eines “erschreckenden intellektuellen Defizits” unterschätzt habe, lautet die Analyse von Todd:
“Er hat sich bestätigt. Die USA zogen sich aus Afghanistan und dem Irak zurück. Den Aufstieg Irans konnten sie nicht stoppen. Genauso wenig wie jenen Chinas. Die Saudis nehmen die USA nicht mehr ernst. In Amerika steigt die Sterblichkeit, die Lebenserwartung sinkt. Alle Zeitungen schreiben: Der Westen ist normal und Putin geisteskrank. Die Russen sind blutrünstige Monster. Die Demografie sagt etwas anderes: Russland ist stabiler und seine Gesellschaft zivilisierter geworden.”