USA warnen Türkei vor Vertiefung ihrer Wirtschaftsbeziehungen mit Russland
Die deutsche Inflation von 1923 kann noch in ihrem Entstehen als von wirtschaftlichen Faktoren getrieben angesehen werden. Die neueren, die ähnliche Dimensionen erreichen, sind besonders seit dem Ende des Kalten Krieges meist das Ergebnis politischer Ereignisse, hauptsächlich westlicher Sanktionen als Tatsache oder allein schon deren Androhung. Diese verunsichern die Anleger, die sich wegen erwarteter negativer Auswirkungen auf ihre Kapitalanlagen von diesen Märkten zurückziehen oder diese von vornherein meiden. Beispielhaft hierfür sind Iran, Russland, die Türkei, Venezuela und Zimbabwe, um nur die bekanntesten zu nennen.
Deren wirtschaftliche Probleme waren eine Folge von politischen Einwirkungen sowie der dadurch verursachten Entkopplung der Währungen von der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungskraft. Als beispielhaft für eine politisch verursachte Inflation soll hier die Türkei näher betrachtet werden.
Deren Inflationsraten blieben zwischen 2004 und 2016 weitgehend stabil bei acht Prozent, neigten vielleicht eher sogar zum Sinken. Ab 2016 stiegen die Werte sprunghaft an und verdoppelten sich innerhalb von nur zwei Jahren. Dabei lag das Wachstum der türkischen Wirtschaftsleistung 2016 bei beachtlichen 3,32 Prozent und die Verschuldung des Landes nur bei 29 Prozent, wofür die USA, Japan und jeder EU-Staat die Türkei hätten beneiden können. Also kann es an den wirtschaftlichen Daten nicht gelegen haben, dass die türkische Währung so plötzlich an Wert verlor.
Um es kurz zu machen: 2016 scheiterte ein Putsch von Teilen des türkischen Militärs gegen Erdoğan. Dieser hatte sich in seiner Syrien-Politik immer weiter vom Westen entfernt und sich stattdessen zunehmend mit Russland arrangiert und dorthin auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit vertieft. Die Konflikte mit dem Westen blieben nicht aus und nahmen stetig zu – bis hin zu Sanktionsdrohungen. Anleger wurden nicht nur zurückhaltender mit ihren Geldanlagen in der Türkei, es floss auch Kapital ab. “Erste Anleger zogen sich bereits direkt nach der Verhängung des Ausnahmezustands aus der Türkei zurück.”
Hatten ausländische Direktinvestitionen 2015 noch bei circa 20 Milliarden US-Dollar gelegen, so brachen sie im Folgejahr um etwa ein Drittel auf 14 Mrd. US-Dollar ein. Es floss also weniger Kapital in die Türkei, was die Nachfrage nach der türkischen Lira sinken ließ und damit auch ihren Preis gegenüber dem US-Dollar. Zusätzlich stieg der Druck auf die Lira durch den Abzug von ausländischem Kapital, da bei diesem Vorgang Lira in Dollar oder Euro getauscht werden. Dollar und Euro waren gefragt.
Aufgrund des Währungsverfalls hätten ausländische Anleger Wertverluste hinnehmen müssen, wenn in Lira ausgezahlte Dividenden und Zinsen in Dollar und Euro umgetauscht und ausgezahlt würden. Das beschleunigte die Flucht aus türkischen Anlagen, da zudem die türkische Notenbank der Forderung ausländischer Anleger nicht nachkam, die Leitzinsen zu erhöhen.
Trotzdem führten die Weigerung der Notenbank und der damit verbundene Abzug von Kapital nicht zu einer Schwächung der türkischen Wirtschaft. Vielmehr hätte die Erhöhung der Leitzinsen eine zusätzliche Belastung für die türkische Wirtschaft bedeutet – wegen der höheren Zinskosten für türkische Unternehmen. So stieg der Index der türkischen Börse von etwa 750 Punkten im Jahr 2016 auf über 5.000 zum Ende des Jahres 2022.
Die Inflation ging zwar einher mit einer Verfünffachung der Geldmengen seit 2015, ging aber Ende 2022 wieder zurück von 85 auf 65 Prozent – ganz entgegen der Geldmengen-Theorie, denn die Geldmengen sanken nicht. Einer der wesentlichen Gründe für diese Entwicklung dürfte der starke Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Türkei als Folge der westlichen Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland sein.
Inflation in der EU
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Wieder anders verhält es sich dagegen bei den heutigen Preissteigerungen im Westen. Diese sind nicht durch den Ukraine-Krieg verursacht, sondern eher durch die Sanktionen gegenüber Russland. Denn bisher hatte das frühere ausgedehnte Sanktionsregime des Westens gegenüber vielen Staaten der Welt kaum erkennbare Auswirkungen auf die Preise in Europa gehabt. Der aktuelle Preisanstieg in der EU rührt in erster Linie vom selbst auferlegten Verzicht auf russisches Öl und Gas.
Energieträger verzeichnen nicht nur die stärksten Preisanstiege, sie sind gleichzeitig auch von ihren Mengen eine so bedeutende Größe, dass sie gesellschaftliches Gewicht haben. So würde ein starker Preisanstieg etwa für kubanische Zigarren aufgrund ihrer geringen Marktbedeutung nicht zu einem solchen Inflationsschub führen wie der von Gas und Öl. Denn diese sind die Grundstoffe und Energieträger der Industrie. Verteuern sich diese, strahlt das aus auf die Preise sämtlicher Folgeprodukte.
Der scharfe Preisanstieg für Energie hatte aber gar nicht erst mit dem Krieg und den westlichen Sanktionen begonnen, sondern bereits zuvor mit der Unterwerfung der westlichen Regierungen und der EU-Kommission unter die Forderungen der Klimabewegung. Dieser Bewegung haben die Führungskräfte der westlichen Gesellschaften politisch und argumentativ wenig entgegenzusetzen. Die Klimabewegung ist schließlich “Fleisch vom eigenen Fleische” der Werte-Missionare, nur dass sie die Werteorientierung ausweitet und noch radikaler fortsetzt als ihre Lehrmeister. Die westlichen Ideale sind mittlerweile zum Aushängeschild, aber auch Bindemittel der sogenannten “Wertegemeinschaft” geworden.
Im Kampf für die westlichen Werte sind sich deren Erfinder wie auch deren Klima-Jünger mittlerweile ebenso einig wie in der Auflistung der Staaten, die sie zu gemeinsamen Feinden ernannt haben. Die Klimabewegung ist die Vertreterin dieser Werteorientierung in einem gesellschaftlichen Milieu, das mit der etablierten Politik bisher eher im Konflikt lag. Mit dem gemeinsamen Eintreten für das Klima und für die westlichen Werte sind diese Kräfte zusammengerückt.
Das führt aber auch dazu, dass die politischen Führungskräfte die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Bewegung aufgegeben haben. Sie haben die Sichtweisen der Klimaaktivisten weitgehend widerstandslos übernommen, weil ihnen selbst das Rüstzeug fehlt, sich kritisch mit deren Ansichten auseinanderzusetzen. Mittlerweile ist diese Verschmelzung so weit gegangen, dass man weitgehend das macht, was die politischen Vertreter der Klimabewegung fordern. Und diese Forderungen verursachen gewaltige Kosten wie die Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen.
Diese Maßnahme hatte bereits 2021 zu einem starken Preisschub bei den Energieträgern geführt. Zusammen mit der sogenannten Liberalisierung des Gasmarktes sind eben diese politischen Entscheidungen für den Anstieg der Inflationsrate verantwortlich – und zwar schon vor dem Ukrainekrieg und vor den Ausweitungen der Sanktionen gegen Russland. Aber diese jüngere Vorgeschichte ist unter dem Eindruck des derzeitigen Preisanstiegs öffentlich bereits völlig in Vergessenheit geraten.
Die Inflation in der EU geht zurück auf politische Entscheidungen wie die CO₂-Bepreisung, die Russland-Sanktionierungen und den Verzicht auf russische Energieträger, nicht auf wundersame Geldmengen. Besonders seit dem Ende des Kalten Krieges führen Sanktionen und Zölle zu Verwerfungen im Austauschverhältnis der Währungen. Die Politisierung besonders des US-Dollars verursacht die Preissteigerungen in den Ländern, gegen die sich diese Maßnahmen in der Regel durchaus gezielt richten.
Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse.
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