In einer Hinsicht ist der Westen, sind seine Regierungen und die vom Westen dominierten Organisationen schon jetzt die großen Verlierer der aktuellen Konflikte in Nahost und in der Ukraine. Der Westen, verstanden als die Gemeinschaft der Länder, die die US-geführte Hegemonie unterstützen, hat inzwischen jede moralische Glaubwürdigkeit verspielt. Das trifft in ganz besonderem Maße auch für Deutschland zu.
Die unterschiedlichen Haltungen zum Nahost- und Ukraine-Konflikt machen deutlich, dass die vom Westen ausgerufene “regelbasierte Ordnung” völlig frei ist von jeder verbindlichen Regel. Sie ist reine Willkür, basierend auf dem Recht des (derzeit noch) Stärkeren. Sie ist nicht nur nicht schriftlich fixiert, es fehlt ihr auch jede ethische Richtschnur.
Dass es mit den westlichen Werten und der für alle gleichermaßen verbindlichen “regelbasierten Ordnung” nicht allzu weit her ist, ist schon lange klar. Wie sehr dabei aber ausgerechnet Deutschland mit zweierlei Maß misst, macht der Vergleich des Umgangs mit Russland und Israel deutlich. Für den laut Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) “brutalen Überfall Russlands” auf die Ukraine wurden die bisher umfangreichsten Sanktionen erlassen – mit erheblichen Kollateralschäden für Deutschland und die Welt. Das allerdings ist der deutschen Politik zweitrangig, denn Russland beging einen “Zivilisationsbruch” und muss die Konsequenzen zu spüren bekommen. Deutschland gibt den moralischen Wachhund und harten Zuchtmeister im Namen globaler Gerechtigkeit.
Die Sanktionen hemmen die Entwicklung der Weltwirtschaft und treffen vor allem arme Länder hart. Als unmittelbar nach dem Einmarsch russischer Soldaten in die Ukraine das erste von inzwischen insgesamt elf Sanktionspaketen verhängt wurde, verkündete die deutsche Außenministerin mit kaum verhohlener Genugtuung in der Stimme: “Das wird Russland ruinieren.” Stellvertretend für viele andere deutsche und westliche Politiker spricht Baerbock im Hinblick auf den Ukraine-Krieg von einem “Vernichtungskrieg”. Wenn die Ukraine aufhöre zu kämpfen, bedeute dies das Ende der Ukraine als Staat, war einige Zeit der mit viel Pathos vorgetragene Slogan, den deutsche Politiker in die Kameras sprachen. Russland führe einen imperialistischen Angriffskrieg mit dem Ziel der Eroberung von Territorien, empörte sich das politische Establishment in Deutschland.