Analyse Bereitet Biden den Weg für den Ausstieg aus dem Ukraine-Krieg vor?
Schlussfolgerungen
Jacques Baud hält dem Westen, aber auch der vermeintlich neutralen Schweiz, den Spiegel vor. Er beklagt die Abwesenheit von Diplomatie und die unverantwortliche Ost-Erweiterung der NATO. Der Westen sei Opfer der “unversöhnlichen Haltung” seiner “Experten” gegenüber Russland und China geworden. Daher pflege man lediglich eine “Illusion von Stärke”. Denn die vom Westen ergriffenen Maßnahmen stimmten “nicht mit der wirklichen Situation” überein und spiegelten nur die eigene Wahrnehmung wider. Daraus ergebe sich ein irrationales Bild der Lage, welches dafür sorge, dass Putin “uns immer eine Länge voraus ist.”
Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine hätte vermieden werden können, wenn, so Baud, der Westen an der Einhaltung des Völkerrechts interessiert gewesen wäre. Dass dies nicht der Fall gewesen sei, machten die Eingeständnisse von Petro Poroschenko, François Hollande und Angela Merkel im Laufe des Jahres 2022 bezüglich des zweiten Minsker Abkommens – abgedruckt im Anhang des Bandes – deutlich. Zur Vorgeschichte stellt Baud fest:
“Wir haben die russischsprachigen Menschen im Donbass sterben sehen, in der Hoffnung, dass dies zu einem Krieg führen würde, mit dem wir Russland besiegen könnten.”
Diese Feststellungen deuten auf einen Grad von Realitätsverlust in den westlichen Entscheidungszentren hin, der demjenigen nahekommt, welcher bis zum Mai 1945 in Berlin geherrscht hat. Zu diesem Befund einer intellektuellen und ethisch-moralischen Verwahrlosung passt, dass in Großbritannien, so kürzlich im Daily Telegraph , ganz offen für einen Kernwaffeneinsatz plädiert wird, vor dem man sich nicht zu fürchten hätte.
Jacques Baud, der schweizerische ehemalige Nachrichtendienstoffizier, der sich bewusst in die Tradition der französischen Aufklärung stellt, postuliert dagegen:
“Es ist Zeit, unsere Vorurteile aufzugeben und zur Vernunft zu kommen. Es ist Zeit, sich zu verändern und zu den Fakten zurückzukehren. Unsere Aufgabe als Europäer ist es nicht, eine Seite zu unterstützen, sondern alles zu tun, damit das Töten aufhört. Es geht nicht darum, wer ‘gut’ oder ‘böse’ ist, wer ‘gewinnt’ oder ‘verliert’, sondern darum, einen Dialog zu eröffnen.”
Angesichts der massiven antirussischen und russophoben Kampagne erfordert heutzutage ein öffentliches Eintreten für Vernunft, die Benennung und Anerkennung von Realitäten und nicht zuletzt für den Dialog, wie es Jacques Baud mit seinem Buch tut, eine gehörige Portion Mut. Es könnte jedoch sein, dass, wie die Dinge nun einmal liegen, Vernunft im Westen erst dann einkehrt, wenn die Gründe, die zum Eingreifen Russlands geführt haben, beseitigt sind. Die Einsicht in diese Zusammenhänge sollte gerade in Deutschland eigentlich vorhanden sein.
Bibliographische Angaben:
Jacques Baud: Putin – Herr des Geschehens? Aus dem Französischen übersetzt von Philipp Otte. Frankfurt am Main: Westend Verlag, 2023, 320 Seiten. ISBN 978-3-8006-3680-8. Preis: 26 Euro.
Das Werk ist bei Buchkomplizen und im Buchhandel erhältlich.
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