Ein Jahr nach John McAfees Tod: Spanien gibt Leiche noch immer nicht heraus
Wenn man einer kürzlich erschienenen Mini-Doku auf dem chinesischen YouTube-Kanal i-Life小品生活 Glauben schenkt, so gab es noch vor der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine mindestens eine Art US-gesponsorten, internationalen Hochleistungswettbewerb unter Hackern. Die drei dominantesten Ländervertretungen waren die Vereinigten Staaten von Amerika, die Volksrepublik China und die Russische Föderation. Die chinesischen Hacker mussten vier Stunden investieren, bevor sie das vorgegebene System knacken konnten. Die US-Hacker haben beim selben avancierten Systemeinbruch geschlagene 2 Stunden und 20 Minuten in Anspruch nehmen müssen. Der mit weitem Abstand erste Platz – mit 18 Minuten und 40 Sekunden – ging an die Hacker aus Russland.
Das Resultat solcher Wettbewerbe ist einer der eindringlichen Gründe, weshalb in den relevanten Tech-Communitys eigentlich nur zwei Arten von Hackern auf der Welt existieren: russische und all die anderen.
“Ihr könnt nicht zugleich dem Vaterland und dem Mammon dienen”
Bei genauerer Betrachtung scheinen russische Hacker eine sehr tief empfundene und komplexe politische Weltanschauung herausgearbeitet zu haben. Nämlich hin zu einem post-sowjetischen, russischen Patriotismus, der den westlichen Axiomen dort empfundener und propagierter Außergewöhnlichkeit mit aller Kraft trotzt. Es gibt Indizien, dass dieser Trend sich sogar in der Jelzin-Ära bereits zu formen begann: in einer Zeit, als russischer Patriotismus und ein Trachten nach erneuter Souveränität auf seinem absoluten historischen Tiefpunkt lagen. Eine Periode, die begleitet war von einer präzedenzlosen Unterwanderung der meisten russischen Institutionen mit liberalem, pro-westlichem Gedankengut, das zumindest erfolgreich genug war, um die 1990er Jahre als geopolitischen Sieg Washingtons zu verbuchen. Sich in diesem Klima, ohne eine konstruktive zentrale Anweisung, seines historischen Vermächtnisses sowie der technologischen Verantwortung bewusst zu werden und sich notgedrungen interdisziplinär – besonders politologisch – weiterzuentwickeln, grenzt an ein soziologisches Wunder.
Gab es russische Hacker, die sich hingegen von solch noblen Motiven nicht treiben ließen und in allererster Linie nach finanzieller Selbstbereicherung sehnten? Selbstverständlich. Genau von diesen Fällen, deren Verhaftungen, Fehlern, aber auch gelungener Flucht kann man bis heute lesen.
“Bots” und Hacker
Allein die Bezeichnung “russische Bots” hat semantisch bereits einen suggestiven Effekt: Er impliziert Automatismus, Unterwerfung, Entmenschlichung, Schwarm-Charakter, bedingungslose Aggressivität und Amoralität, die laut westlicher Propaganda vermeintlich gleichbedeutend mit dem russischen Staat sein sollen. Tatsache ist, dass DDoS-Attacken, die meist zur Lahmlegung von Internetseiten und deren Angebot dienen, durch sogenannte “Botnetze” erzielt werden. Bei diesen “Botnetzen” handelt es sich um Geräte, die mit dem Internet verbunden sind und gebündelt Schadprogramme auf konkrete Serverstrukturen jagen. Gesteuert werden diese “Botnetze” natürlich von Hackern. “Killnet” hat sein ganz eigenes “Botnetz” entwickelt.
Schubladen zum besseren Verständnis
Im Westen wird unter Hackern oft unterschieden zwischen den sogenannten “black hats”, “white hats” und “gray hats”. Diese ethischen Bildkategorien sind dem Kinogenre des Western entliehen worden. Demnach sind die “schwarzen Hüte” die anarchistischen Staatsfeinde, die sich unabhängig, oft gegen den Staat und somit jenseits des Gesetzes engagieren. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Abwesenheit eines moralischen Codes vorliegt – lediglich fehlende Unterwerfung dem Staat gegenüber. Wie aber mittlerweile bekannt, hat der Staat oft die Tendenz, etwas bereits als feindlich einzustufen, wenn die Person oder das Kollektiv allein schon der bloßen Staatskontrolle entweicht.
Im Gegensatz dazu arbeiten die “weißen Hüte” als Staatsdiener und gehorchen dem Gesetz. Die “grauen Hüte” sind die moralisch stetig ambivalenten Agenten, die je nach Problematik und Herausforderung, also dem jeweiligen Kontext entsprechend, die Seite des Staates beziehen können, in der nächsten Situation aber schon imstande sind, wieder das rechtliche Vakuum von außerhalb zu betreten.
Anonymous-Hacker erklären Russland den Cyberkrieg – DDoS-Angriffe gegen RT- und Kremlwebseiten
Diese Kategorien sind auf die russischen Hacker von “Killnet” und ihre Kollegen schwer anzuwenden. Zum einen sind sie durchaus “black hats”, da sie nun einmal vollkommen unabhängig vom russischen Staat agieren. Gleichzeitig ist ihr Aktivismus und unter Umständen “digitaler Terrorismus” gegen Länder, die Russland angreifen, im Einklang mit der Staatsräson Moskaus, was sie de facto zu “white hats” machen könnte, oder zumindest zu “grey hats”.
Während der Kreml die Aktivitäten dieser Hacker nicht offiziell gutheißt, Neutralität und fehlende Anteilnahme bekundet, ist die Tatsache, dass diese aufmüpfigen Fachleute in Russland nicht geahndet werden, aussagekräftig genug, um dies zumindest als willentliche Duldung zu interpretieren. Dazu gehören auch Hacker-Persönlichkeiten wie Maksim Jakubets oder Jewgeni Bogatschow, die beide unabhängig voneinander den USA großen finanziellen Schaden bereitet haben sollen.
Mehr noch: Hackergruppen wie “Killnet” sind dem russischen Staat sogar oftmals behilflich gewesen bei der Verfolgung und digitalen Ahndung pro-westlicher Hacktivisten, die im Innern Russlands versuchten, Schaden anzurichten.
Im Westen hat sich die weltweit weitaus bekanntere Hacker-Organisation “Anonymous” zur Feindschaft gegenüber “Killnet” bekannt und die Position der NATO und des jetzigen Kiewer Regimes bezogen.
Motive kristallisieren sich schnell heraus
Fortgeschrittene Hacker, die politisch motiviert sind, gleichen in ihrer Unantastbarkeit Geistern. Wenn man einem Hacker, der von Gier und Ego getrieben wird, früher oder später das Handwerk legen kann, so ist ein idealistisch getriebener Hacker viel vorsichtiger und bedachter in seiner digitalen Fortbewegung. Sein Ziel stellt sich auch als langfristiger dar.
Das geht ebenfalls aus dem Gespräch hervor, das Lenta.ru mit dem Anführer von “Killnet” im April führte. Dieser erklärte zudem, dass die aktive initiierte Digital-Gemeinde der Truppe bis zu 4.500 Personen umfasse.
Meinung
Ukrainische Großoffensive in den Startlöchern
Der weitverbreitete moralische Kodex unter russischen Hackern lautet: “Nicht in Russland arbeiten”. Damit ist gemeint, dass man keine russischen Systeme, keine russische Infrastruktur ausschlachten oder angreifen solle. “Arbeite zum Wohle deines Landes” lautet eher die Devise. Patriotisch geeicht besagt diese, dass, selbst wenn es Projekte gibt, in denen Bereicherung an einer der ersten Stellen steht, diese in “unfreundlichen” Staaten durchgeführt werden sollen.
Dass es sich im Falle von “Killnets” Videomanifest aus dem Monat Mai um eine ernstzunehmende Kampfansage handelt, zeigt deren bisherige Kontoführung, die bereits viele Angriffe auf westliche Ziele bescheinigt. Da wären die Angriffe aufs tschechische Fernsehen sowie auf rumänische und moldawische Regierungswebseiten.
Das Kollektiv präsentiert auch einen Hang zu symbolträchtiger Theatralik: Das Lied, das im Hintergrund des Videos läuft, ist das mit Abstand bekannteste sowjetische Kriegslied des Großen Vaterländischen Krieges: “Священная война” (zu Deutsch: “Heiliger Krieg”).
Jedem sei der Inhalt dieses Liedes empfohlen. Denn dort wird in vollkommen unmissverständlichen Tönen erklärt, womit es der faschistische Feind zu tun bekommt, sollte er es wagen, mit der Sowjetunion oder ihrem historischen Nachfolger – dem heutigen Russland – jemals Krieg zu führen.
Da nun aber im Westen die Säbel tatsächlich immer stärker herumfuchteln, während die Chance, sich seriöse Fehler gegenüber Moskau einzugestehen, rasant schwindet, sind die russischen Hacker-Kollektive bereits mit ausgegrabenem digitalem Kriegsbeil unterwegs.
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