Lauterbach fordert Länder zur Anwendung der Hotspot-Regelung auf
Der Chefredakteur der Welt twittert: “Gibt es noch weitere Länder, in denen der Gesundheitsminister öffentlich Wissenschaftler diskreditiert? Oder hat Deutschland auch diesbezüglich einen Sonderweg eingeschlagen?” Lauterbach verglich die beiden Virologen Christian Drosten und Klaus Stöhr. Für ihn ein qualitativer Unterschied wie der zwischen dem FC Bayern München, also Drosten, und dem FC St. Pauli, also Stöhr. Stöhr war allerdings immerhin bei der WHO langjähriger Leiter des Influenzaprogramms und beschäftigt sich intensiv mit dem Weg Deutschlands in der Pandemiebekämpfung. Drosten dagegen ist der auserkorene und prämierte Darling von Politikern wie auch Medien. Der attackierte Wissenschaftskollege reagierte ebenfalls per Twitter:
Die persönliche Erfahrung einer Fehldiagnose in jungen Jahren hätte bei Lauterbach das Interesse für die Medizin geweckt. Das Thema hieß Knochenkrebs. Jahrzehnte später schreibt Lauterbach im Jahre 2015 ein Buch zum Thema Krebs. Der Titel lautet “Die Krebs-Industrie – Wie eine Krankheit Deutschland erobert”. Lauterbach behauptet laut dem Klappentext, es werde der “Krebs in den nächsten Jahren zu einer unserer größten Herausforderungen – menschlich wie gesundheitspolitisch”. “Fast jeder zweite Deutsche wird im Alter betroffen sein, Wissenschaftler gehen von 40 Prozent mehr Krebsfällen bis 2030 aus”, so nachzulesen beim Verlag.
2016 belegte die Statistik rund 492.000 Krebsdiagnosen in Deutschland. Die Realität, zumindest für die Jahre danach? Die Seite Krebsdaten.de informiert im Jahr 2021: “Neuerkrankungen leicht rückläufig. Damit liegen die Fallzahlen für Krebs insgesamt seit 2007 kontinuierlich knapp unter 500.000, mit verhältnismäßig geringen Schwankungen.” Die Krebssterberate ist laut der Seite zwischen 1999 und 2018 um 19,8 Prozent rückläufig.
Die Coronakrise ermöglicht nun Lauterbach, von einer der diversen nachweislichen Fehlprognosen über die Jahre abzulenken. Im März 2022 twittert Lauterbach: “Rekordzahl der Infizierten. Long COVID-Gefahr für mehr Menschen als je zuvor.” Bei einer Rede im Bundestag, ebenfalls im März 2022, weiß Karl Lauterbach jetzt schon:
“Long COVID wird zu den wichtigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland gehören, und zwar insbesondere auch bei denjenigen der mittleren Lebensphase.”
Ob Lauterbach sich erneut geirrt hat – ob bewusst oder mit Kalkül –, werden die kommenden Jahre zeigen. Die häufige Ungenauigkeit der Aussagen, die anstandslos von einem Großteil der deutschen Medien akzeptiert und dementsprechend kolportiert werden, kann gelinde formuliert nur irritieren. So auch ein Beispiel zum selben Thema aus dem jüngsten Live-Interview mit der Bild -Zeitung – versehentlich geirrt oder bewusst getäuscht:
In dem Spiegel -Beitrag folgt ein weiterer Beleg für die wirre Gedankenwelt des Karl Lauterbach, die dankenswerterweise eine mehr als entlarvende Widerspiegelung offenbart. Zu dem Thema, warum er über die Wissenschaft zur Politik gekommen sei und nicht wie beabsichtigt “Chirurg” wurde, legt Lauterbach dar, dass er “schon sehr früh in den USA” (laut Biografie Ende der 1980er Jahre) Fehler im Krankenmanagement erkannt hätte. “Das System war schlecht”, so Lauterbach. Er hätte Operationen am Herzen assistiert, die durch Rauchen und schlechte Ernährung indiziert waren. Seine Schilderung in der Dokumentation:
“Wir operierten da nur an Leuten, die bei besserer Vorbeugung nie hätten operiert werden müssen … wir operierten an Schusswunden, also die unnötig gewesen waren, Messerstiche waren sehr häufig, eigentlich war das meiste, was wir operierten über den ganzen Tag hinweg, vermeidbar gewesen.”
Diese Erfahrungen hätten seinen Beschluss bestärkt, “Vorbeugemedizin zu machen”. Aufgrund der Erfahrungen mit Schussverletzungen und Messerstichen? Es wird auf den Moment eingegangen, als die Bild -Zeitung Lauterbach über Tage als “Panik-Minister”, “Angst-Minister” und “Licht-Ausmacher am Ende des Tunnels” betitelte. Lauterbach empfindet dies als Kampagnen-Journalismus. Der Spiegel -Autor fragt im Anschluss an diese Sequenz dann, welche Talkshow denn aktuell das beste Büfett vorweisen könne. Kampagnen-Journalismus? In einer Folgesequenz zum gleichen Thema drückt Lauterbach erneut den Buzzer. Die Welt -Chefreporterin Schneider betitelte ihn als “Reizfigur”, die nie aufhöre, “Panik zu machen”. Lauterbach kritisiert:
“Also, das ist etwas, das mich stört, wenn mir vorgeworfen wird, dass ich Panik mache. Ich beschreibe immer, meistens mit Zahlen, wie die Lage ist. In der Funktion, in der ich bin, muss ich Ross und Reiter nennen, und komme dann immer, das ist das Entscheidende, mit Vorschlägen.”
Keine Panik, keine Angstmache? Äußert der Minister Vorschläge oder Forderungen? In der Talk-Sendung Chez Krömer des RBB erklärte Lauterbach dem eher jungen Zielpublikum: “Für Jemanden, der Epidemiologe ist (ist er das?), ist im politischen Geschäft die Warnung eine weit verbreitete Währung.” Beispiele des Twitter-Alarmsystems des Ministers:
April 2021: “Auch mir sind die Grundrechte wichtig. Sie werden vorübergehend eingeschränkt, um Menschenleben zu retten. Das darf der Bundestag. Wenn jetzt viele Kinder ihre Eltern verlieren und selbst krank werden, MÜSSEN wir handeln.
Oktober 2021: “Es gibt Kritik an Aussage, dass ein schwerer COVID-Verlauf Alterungsprozess beschleunigen könnte. Hatte dazu Studie gepostet, es gibt viele, hier noch eine. Darf man das nicht? Macht es Angst? Muss man 5 Jahre abwarten bis Frage endgültig geklärt ist?”
November 2021: “Inzwischen zeigen viele Studien, dass und wie COVID das Gehirn beschädigen kann. Es gibt mehr Hinweise, dass COVID ähnlich wie Herpes-Viren das Risiko der Alzheimer-Demenz erhöht.”
“In Deutschland reicht es nicht, den Ungeimpften auf die Nerven zu gehen, da muss man mehr tun. Ich bin ein ganz klarer Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht.”
Sowie der mittlerweile ungekrönte Klassiker aus dem Oktober 2021:
Screenshot: N-TV, OKtober 2021.
Zum Thema Impfpflicht geht der Spiegel -Autor nicht auf die zurückliegenden widersprüchlichen Aussagen des Ministers ein. Lauterbachs Darlegung, also Wahrnehmung, im März des Jahres 2022:
“Was soll ich denn sonst sagen? Ich bin der Minister für alle? Ja, natürlich bin ich das, aber als Minister muss ich parteiisch sein, weil in einer Pandemie, wo wir alle davon abhängig sind, dass die Bevölkerung sich impfen lässt – weil: wenn man sich nicht impfen lässt, das ist ja keine Privatentscheidung, sondern damit gefährde ich ja auch andere –, da muss der Minister ganz klar stehen. Und wenn das die Spaltung ist, dann muss man auch ganz klar sagen: das ist ja eine kleine Gruppe, die sich nicht impfen lassen will – vielleicht zehn Prozent, und 90 Prozent wollen sich impfen lassen.”
Die Fragen, die sich unmittelbar stellen, aber vom Minister Lauterbach niemals beantwortet werden (ausgehend von den Erfahrungen des Autors mit Anfragen im Büro Lauterbach oder beim BMG), lauten:
Muss ein Minister parteilich sein oder sollten die individuellen Wahrnehmungen der Bevölkerung zumindest in der Diskussion und Lösungsfindung wahrgenommen werden?
Stellt eine Impfung für den Minister keine Privatentscheidung dar?
Gefährdet der Ungeimpfte vermeintlich mehr als der Geimpfte?
Ist das eine kleine Gruppe von zehn Prozent? Oder eher 23,6 Prozent?
Haben sich die 76,4 Prozent der Bürger mit einer Erstimpfung ALLE freiwillig impfen lassen oder haben sie sich zum großen Teil schlicht einem politischen Druck gebeugt, in Bezug auf massive Einschränkungen, Drohungen und Maßnahmen, bis hin zur drohenden Arbeitslosigkeit?
Die Off-Stimme der Dokumentation resümiert gegen Ende des Beitrags überraschend pointiert:
“Lauterbach hält dagegen. Er sagt immer genau das, was er [sic!] für richtig hält, versucht gar nicht erst eine Brücke zu bauen, um des lieben Friedens willen. Auch wegen seiner Penetranz wurde er zur Reizfigur Nummer eins.”
Und dann blitzt im Finale zum Thema Impfpflicht die ganze Abgehobenheit des Karl Lauterbach im dunklen Studioraum auf, glänzt der Minister mit einer weiteren Aussage für die Archive, mit einer vollkommen deplatzierten und unangemessenen Arroganz in der Formulierung. Der Spiegel -Journalist stellt im Zuspiel die Frage: “Ist die Impfpflicht wirklich eine Kategorie, die über ‘guter Mensch, böser Mensch’ entscheidet?” Lauterbachs Antwort darauf lautet:
“Nein, nicht immer. Wenn ich jetzt beispielsweise – also bei der Impfpflicht – nicht mitgehe, weil ich beispielsweise die Impfungen nicht richtig bewerten kann, und glaube, dass die Impfungen nicht wirken oder dass die Impfungen gefährlicher sind als die Pandemie, dann kann es sein, dass ich tatsächlich nicht der Hellste bin, aber darum bin ich automatisch kein schlechter Mensch …
Es gibt aber auch Leute, die tatsächlich rücksichtslos sind, die einfach selbstgerecht sind, die sich gar nicht genau informieren und vom Hören und Sagen etwas machen und die sich selbst und andere nicht schützen wollen. Und da ist es tatsächlich dann auch eine Charakterfrage. Somit gibt es Charakterprobleme, es gibt da auch Probleme, da sind wir in der Pflicht.”
RKI-Leiter Wieler zu Impfeffektivität: “Sie schützt nicht sehr gut, das sehen wir ja”
Sollte ein Inhaber wichtiger politischer Posten so reduziert differenzieren, in Zeiten einer dermaßen konträren und wichtigen gesellschaftlichen Diskussion, um gleichzeitig aus seinem Elfenbeinturm heraus – für viele Menschen nicht nachvollziehbar – schlicht arrogant abwertend zu richten?
Am 30. März 2022 verkündete Stern-TV , dass der Minister sein neues Buch vorstellt: “Bevor es zu spät ist – Karl Lauterbach: Was jetzt gegen den Klimawandel getan werden muss”. Die Anmoderation lautet so:
“Die zentrale Botschaft des Politikers lautet: Es ist sehr hilfreich, wenn verantwortliche Politiker einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, um Erkenntnisse aus der Wissenschaft einordnen und in ihr politisches Handeln einfließen lassen zu können.”
Löst Karl Lauterbach demnächst also auch noch die Umweltministerin Steffi Lemke ab? Belegt die Biografie des Karl Lauterbach einen “wissenschaftlichen Hintergrund” zum Thema seines neuen Buches? Eindeutig nein, aber er kann das. Er darf das.
Warum dieser Mensch Karl Lauterbach seit Monaten nahezu Narrenfreiheit genießt, politisch wie auch größtenteils medial, und warum er anscheinend zudem keinerlei Konsequenzen in Bezug auf seine zweifellos diskussionswürdigen Äußerungen zu unterschiedlichsten Fachbereichen zu fürchten hat, wird dieses Land wohl zukünftig noch aufarbeiten zu haben.
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