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Kein Ende der Krise in Sicht? Bulgarien steuert auf vorgezogene Neuwahlen im Oktober zu

Kein Ende der Krise in Sicht? Bulgarien steuert auf vorgezogene Neuwahlen im Oktober zu

Quelle: Gettyimages.ru © Walter BibikowDer russische Zar Alexander II. “Der Befreier” hat das bulgarische Parlament in Sofia (vorn im Bild) seit über einem Jahrhundert im Blick.

von Pierre Lévy

Die bulgarischen Wähler werden am 2. Oktober erneut an die Urnen gerufen. Es wird das vierte Mal innerhalb von anderthalb Jahren sein, nachdem bereits im April und Juli 2021 und dann im November Wahlen stattfanden. Bei den ersten beiden Wahlen hatte sich keine parlamentarische Mehrheit ergeben, und bei der letzten konnte eine Vier-Parteien-Koalition gebildet werden. Diese entgleiste schließlich, als am 22. Juni ein Misstrauensantrag angenommen wurde, weil einer der vier Partner ausfiel.

Am 14. November 2021 waren nur 38,6 Prozent der registrierten Wähler zur Wahl gegangen, um das Parlament zu erneuern und den Präsidenten der Republik zu bestimmen. Es ist nicht sicher, dass der Termin im kommenden Oktober viel stärker mobilisieren wird. Das Land, das bereits als das ärmste in der Europäischen Union gilt, ist mit einer alarmierenden wirtschaftlichen und sozialen Situation konfrontiert; es ist auch Gegenstand geopolitischer Spannungen, die durch den Krieg in der Ukraine verschärft werden.

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Bulgarien wurde von 2009 bis 2021 fast ununterbrochen von der Partei GERB (“Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens”) regiert, die als Mitte-Rechts-Partei bezeichnet wird und der Europäischen Volkspartei (EVP, zu deren Mitgliedern auch die CDU/CSU gehört) angehört. Ihr Führer, Bojko Borissow, ein ehemaliger Leibwächter, hat stets eifrig die von Brüssel empfohlenen Leitlinien umgesetzt und gleichzeitig offen und ungeniert eine klientelistische Strategie in einem Land verfolgt, in dem Stimmenkauf gang und gäbe ist.

Mit 22,7 Prozent der Stimmen im November 2021 fiel die GERB im Vergleich zu den Wahlen von 2017 um 10 Prozentpunkte ab. Borissow vollendete damit einen Popularitätsverlust, der 2019 begonnen hatte, als mehrere seiner politischen Freunde in große Immobilienskandale verwickelt wurden; der Rückgang beschleunigte sich während der Anti-Korruptionsproteste, die im Sommer 2020 die Mittelschicht in der Hauptstadt mobilisierten.

Bei den Wahlen im November wurde der erste Platz von einer Bewegung erobert, die sich “Setzen wir den Wandel fort” (PP) nennt und deren zwei Anführern gemeinsam ist, dass sie junge Geschäftsleute sind, die in den USA (Harvard) ausgebildet wurden. Kiril Petkow (geboren in Kanada) und Assen Wassilew waren Wirtschafts- bzw. Finanzminister in der im Mai 2021 gebildeten Übergangsregierung. Sie führten den Wahlkampf mit dem Thema “gegen die Korruption” als erstem Steckenpferd, aber auch mit dem Versprechen, die Steuern nicht zu erhöhen und ausländisches Kapital anzulocken.

Mit 25,7 Prozent der Stimmen, obwohl diese Partei einige Monate zuvor noch gar nicht existiert hatte, ging die als “zentristisch” eingestufte Bewegung als Siegerin hervor und katapultierte Petkow als Chef einer im Dezember 2021 gebildeten Regierung ins Amt. PP verbündete sich nämlich problemlos mit der liberal-grünen Koalition Demokratisches Bulgarien (DB), die ebenfalls business- und EU-freundlich ist. Die Sozialistische Partei (BSP) schloss sich dieser Koalition an.

Der vierte Partner war eine Bewegung mit dem Namen “Ein solches Volk existiert” (ITN), die (wie PP und andere Gruppen) aus der Anti-Korruptionsmobilisierung vom Sommer 2020 hervorgegangen war. Nach einem Erfolg im April 2021 stürzte ITN im November 2021 an den Wahlurnen ab. Der Grund dafür war die wunderliche und egozentrische Persönlichkeit des Gründers, des Schnulzensängers Stanislas Trifonow, der ein leidenschaftlicher Impfgegner und ein erklärter Befürworter der Verankerung des Landes in der EU und der NATO war. Er war es schließlich, der das Kabinett im Juni letzten Jahres zu Fall brachte.

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Offiziell gab es Unstimmigkeiten über den Haushalt zwischen ihm und dem Premierminister (der ihn verdächtigte, klientelistisch Kredite einzufordern), doch Trifonow spielte vor allem auf der nationalistischen Schiene: Er verurteilte das in Vorbereitung befindliche und von Brüssel sehnlichst erwartete Abkommen zwischen Bulgarien und dem benachbarten Nordmazedonien. Skopje (die Hauptstadt letzteren Landes) wartet seit 2005 verzweifelt auf den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. Diese Verhandlungen wurden lange Zeit von Griechenland blockiert, bevor es 2018 sein Veto aufhob; der Beginn des Beitrittsprozesses wurde dann jedoch von Sofia verhindert, das der Ansicht ist, dass Mazedonien eine bulgarische Geschichte und Kultur hat und dass dort eine nicht anerkannte bulgarische Minderheit lebt.

Der Fall mag aus westeuropäischer Sicht byzantinisch anmuten, hat aber sehr aktuelle Auswirkungen. Die “Erweiterung” der EU auf die Balkanländer (ein Prozess, in dem sich Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien sowie Bosnien und Herzegowina in unterschiedlichen Phasen befinden) ist zwar ein Thema, das sich seit Jahren hinzieht; es erhielt aber neue Brisanz, als die Ansicht unter den europäischen Staats- und Regierungschefs ausbreitete, dass Russland (oder sogar die Türkei und China) Gefahr lief, in der Region wieder an Einfluss zu gewinnen, wenn die “Erweiterung” der EU nicht deutlich vorangebracht würde.

Brüssel kritisiert die “pro-russischen” Kräfte in den verschiedenen Ländern und möchte diese Staaten daher an die EU “andocken” – allerdings unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und institutionellen Hindernisse. Aufgrund dieser Hindernisse ist ein formeller Beitritt erst in vielen Jahren möglich (bis dahin könnte die EU bereits verschwunden sein).

Die Angelegenheit ist umso heikler, als die 27 Mitgliedstaaten der Ukraine (und Moldawien) im Juni in Rekordzeit offiziell den Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt haben, was bei den Führern der Länder, die seit Jahren warten, zu Verbitterung und Eifersucht führte. Brüssel freut sich also nicht darüber, dass sich in Bulgarien eine politische Krise nach der anderen wiederholt, auch wenn sich der Konflikt zwischen Sofia und Skopje am 25. Juni durch eine Parlamentsabstimmung in Richtung einer möglichen Deblockierung bewegte.

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Schlimmer noch für die EU-Führer: Bei den nächsten Wahlen in Bulgarien könnten Parteien, die als “pro-russisch” gelten, an Stärke gewinnen. In einem Land mit slawischer und orthodoxer Kultur wird der historische Verbündete Russland von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung weiterhin mit Sympathie betrachtet. Beispielweise wurde der Präsident der Republik, ein ehemaliger General, im November mit großem Erfolg wiedergewählt. Rumen Radew wird eine gewisse Sympathie für Moskau nachgesagt; ohne politische Zugehörigkeit wurde er ursprünglich von der Sozialistischen Partei unterstützt, die ihrerseits vom Westen als NATO-kritisch verdächtigt wird.

So konnte die pro-westliche Regierung aufgrund des Widerstands der BSP keinen Kompromiss finden, der Waffenlieferungen an die ukrainische Führung erlaubte. Die Verbundenheit eines Teils der bulgarischen Bevölkerung mit Russland (aber auch mit der ehemaligen Sowjetunion) stellt für Brüssel also durchaus eine Sorge dar, die Petkow auf seine Weise in einem kürzlich geführten Interview zugab: “Wir waren sehr lange das Objekt der russischen Propaganda, es braucht also Zeit, um die Mentalitäten zu ändern”. Bei dieser Gelegenheit erinnerte er daran, dass er beschlossen hatte, seinen ersten Verteidigungsminister zu entlassen, eine unabhängige Persönlichkeit, die als zu Moskau-nah angesehen wurde.

Doch so entscheidend die geopolitischen Herausforderungen auch sein mögen, die einfachen Menschen, insbesondere in der Arbeiterklasse, sind nach wie vor in erster Linie über die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen besorgt. Bulgarien trat 2007 der Europäischen Union bei, was die schrittweise Öffnung der Grenzen in Gang setzte, die eine “Freizügigkeit der Arbeitskräfte” ermöglichte; das Land erlebte seither eine massive Auswanderung, insbesondere der Jugend, in den Westen, wodurch es demografisch ausgeblutet ist. Es ist schwer vorstellbar, wie die nächsten Wahlen diesen Trend umkehren könnten.

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