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“Die” Wissenschaft spricht inzwischen in Zeiträumen von drei Tagen vom Wetter, ab dem vierten Tag wird es Klima. Selbst Gott hat sich mehr Zeit gelassen, um sein Werk zu vollenden, aber wenn es im Sommer heiß ist, tauchen die klimatischen Schweißtropfen auf der Stirn ängstlicher Wissenschaftler auf. Ist es zu kalt oder zu nass oder zu windig, werden sie gleichfalls sichtbar, die Schweißtropfen der Klimakenner. Sie scheinen leugnen zu wollen, dass weder Wetter noch Klima verlässliche Größen sind.
Wir haben etwas Mitgefühl mit diesen Menschen, die das Perfekte erwarten und denken, man könne es beeinflussen. Was für eine Anmaßung! Kein Mitgefühl haben wir, wenn wir sehen, dass das Streben nach Perfektionismus zu Angst bei vielen Menschen führt. Menschen, die weder perfekt sind noch jemals perfekt sein wollten, haben inzwischen so große Angst, dass sie alles richtig machen wollen, das perfekte Verhalten an den Tag legen müssen, um perfekte Voraussetzungen für alles zu schaffen.
Die Angst vor den Launen des Klimas führt zu Furcht vor dem Tod, bei einigen. Diese Furcht ist so stark, dass die Freude am Leben darunter leidet. Wir fragen uns, wofür es gut sein sollte, sich selbst in eine so tiefe existenzielle und lebensbedrohliche Angst zu begeben, dass das Schöne aus dem Blickwinkel verschwindet.
Ich habe einmal eine Zeichnung gesehen. Auf ihr waren ein Mann und sein Hund zu sehen. Der Mann saß auf einer Bank, der Hund neben ihm. Sie blickten auf einen See, der von Bäumen eingekreist war. Der Zeichner befand sich hinter den beiden. Er hatte zwei Gedankenblasen neben ihre Köpfe gezeichnet. In der Blase des Mannes konnte man Geld sehen, ein Handy, ein Auto, eine Geldkarte und noch einige andere Dinge. In der Gedankenblase des Hundes befanden sich ein See und Bäume drum herum. Es waren der See und die Bäume, die beide gerade ansahen.
Keine Angst vor den Russen
Es ist schrecklich, wie viele Kriege es auf der Welt gibt. Sie sind es, die uns wirklich Angst machen, meinen Freunden und mir. Sie haben ein enormes Potenzial, das uns tief und lang anhaltend in die Dunkelheit führen kann. Wir sprechen oft darüber, wie man diese Kriege beenden könnte. Wir kommen zu Lösungen, aber sie sind theoretischer Natur, denn offenbar stehen sie der praktischen Natur des Menschen im Wege. Der Konflikt scheint überall auf der Welt fest installiert zu sein.
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Und jetzt “mitten in Europa”, wie es heißt. Für uns Europäer und uns Deutsche ist dieser Krieg anders als andere, die in weiter Ferne stattfinden. Doch es ist nicht die geografische Nähe, die uns diesen Krieg so nahebringt. Es ist die immer und immer wieder ausgesprochene Behauptung, es sei “unser Krieg”. Es ist die Prophezeiung, dieser Krieg könne unsere Demokratie zerstören, unsere Werte in Schutt und Asche legen, weil er uns ganz direkt bedroht. Er, der Krieg, er, der Russe, Wladimir Putin, der Präsident.
Wir haben keine Angst vor Putin, vor den Russen schon gar nicht. Aber wir fragen uns, was das ist, diese Demokratie, wie genau man die oft zitierten “Werte” in konkrete Worte fassen kann, die länger Bestand haben als eine Legislaturperiode oder auch nur die Dauer einer Talkshow. Wir sehen, dass einer unserer Werte die Meinungsfreiheit ist, und bemerken, dass sie nicht mehr ist als eine hohle Phrase, die schnell ihre Gültigkeit verliert. Die Gedanken mögen frei sein, aber nicht, wenn sie zum Ausgesprochenen werden.
Mit meinen Freunden habe ich über die Angst vor Corona gesprochen, über die Angst vor dem Klimawandel, aber wenn wir über die Angst der Menschen vor den Russen, vor Putin sprechen, erkennen wir eine Abweichung. Vielleicht – wir können es nicht beweisen, wagen aber das Gedankenexperiment – ist das gesellschaftliche Gefühl der Abneigung, des Hasses gegenüber einem Feind, der militärisch in ein Geschehen eingreift, die nächste Stufe nach der Angst.
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Denn wir spüren wenig Angst bei den Menschen. Das ist verwirrend, denn während ein recht schnell als nur mäßig gefährlich erkanntes Virus und ein abstrakter Klimatod starke Ängste erzeugen, scheint die vorrangige Emotion gegenüber Putin der Hass zu sein. Ein weiteres Gedankenexperiment meiner Freunde und mir kommt zum Schluss, dass es das Personifizierte ist, das die Angst durch den Hass ablöst. Man kann ein Virus schlecht hassen, man kann keinen Hass gegenüber dem Klima oder dem Wetter entwickeln (nicht zu verwechseln mit dem Ärger, wenn ein Picknick ins Wasser fällt).
Einen Menschen zu hassen, fällt leichter. Insbesondere wenn der Hass auf ihn geschürt wird. Wir haben keine Angst, und wir glauben, dass die meisten Menschen ebenfalls keine haben. Aber ihr Hass ist fast schlimmer. Wenn ganze Gesellschaften Sportler einer Nationalität ausschließen, Kunst ihre Gültigkeit und Wertigkeit verliert, wenn ein ganzes Volk verurteilt wird und als nicht-menschlich bezeichnet wird, dann sollte uns allen das Angst machen.
Eine Kombination aus Angst und Hass führt zu nichts Gutem, kann zu nichts Gutem führen. Wir fragen uns, warum den Menschen das keine Angst macht, warum sie keine Angst vor denen haben, die Angst und Hass schüren, ohne Unterlass und ohne Gnade oder Kompromissbereitschaft. Das Prinzip des menschlichen Zusammenlebens – regional und global – sollte der Kompromiss sein, sollte Toleranz sein, aber gelebte, nicht propagierte.
Menschen führen Kriege, Menschen tragen Konflikte aus, steigern sich in ihre Abneigung, ihren Hass auf andere hinein. Das gehört zur menschlichen Natur wie das Führen von Kriegen, wie es scheint. Aber die Zivilisation sollte sich hier abheben, sollte Führungspersönlichkeiten haben, die in der Lage sind, die Menschen zusammenzubringen, sie zu einen oder zumindest in friedliche Koexistenz zu führen.
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Warum haben die Menschen keine Angst vor denen, die sie in die Angst führen und ihren Hass aufbauen? Warum haben die Menschen Angst davor, plötzlich in Berlin oder anderswo russischen Soldaten gegenüberzustehen, obwohl diese Angst so abstrakt, ja fast surreal erscheint? Warum fragen so viele Menschen sich nicht ängstlich, wie es sein kann, dass die Zivilisation jeden Tag ein Stückchen mehr auseinanderbricht? Und warum reagieren sie wie die Ratten, die der Flöte des Hasses hinterherlaufen?
Auch wir haben Angst
Das ist unsere Angst, die meiner Freunde und mir. Die Angst vor den Rattenfängern, die es jedoch von Anfang an nicht gut mit uns meinten. Sie predigen Befreiung und Freiheit, aber sie geben uns Fesseln und Gefangenschaft.
Wir haben uns nicht anstecken lassen von der Angst vor einem Virus, dem Russen und dem Klimawandel. Und wir sind überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war. Weil sie uns das Heute verhageln, die Hoffnung rauben und die Zuversicht entreißen würde. Zuweilen sitzen wir zusammen und sind ein wenig stolz darauf. Dann stoßen wir an und feiern das Jetzt. Es sind ungeheuer wertvolle Momente, in denen wir glauben, etwas Großes, etwas Besseres erschaffen zu können, etwas, das andere ansteckt, ohne dass sie von dieser wundervollen Art der Infektion geheilt werden wollen, im Gegenteil!
Doch wenn die Wirkung des Weins verflogen und das Adrenalin auf unaufgeregte Werte abgesunken ist, kommt der Moment, den wir so gern vermeiden wollten. Es ist dieser Moment der Angst.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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