Quelle: Gettyimages.ru © Omer Messinger Der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmigal, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Abschlusssitzung einer internationalen Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine, 25. Oktober 2022, Berlin.
Die Konjunktur sei in der Ukraine um 45 Prozent eingebrochen, erklärte der ukrainische Ministerpräsident Denis Schmigal diese Woche auf einer Konferenz in Berlin. Die ukrainische Wirtschaftsministerin Julia Swiridenko, die per Video aus Kiew in den Saal zugeschaltet worden war, schilderte laut Medienberichten, dass die Inflation im Land schon bei 26 Prozent liege. Bereits in einer Studie mehrerer internationaler Ökonomen, die im August veröffentlicht worden war, wurde vor einem wirtschaftlichen Kollaps in dem osteuropäischen Land gewarnt. So heißt es etwa in der Analyse des “Centre for Economic Policy Research” aus London, dass seit Beginn der russischen Militäroperation Ende Februar nach Schätzungen der ukrainischen Nationalbank mehr als eine Million Arbeitnehmer entlassen worden seien. Zudem habe die Hälfte der Unternehmen im Land die Löhne gesenkt, in vielen Sektoren gar um 50 Prozent.
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Wie nun auf der Ukraine-Konferenz in Berlin erneut klar wurde, braucht Kiew direkte Finanzhilfen, um den Staatshaushalt zu stützen. Nach Aussagen des Wirtschaftsberaters des ukrainischen Präsidenten belaufe sich die nötige Summe auf mehrere Milliarden US-Dollar pro Monat. So sagte Alexander Rodnjanskij gegenüber der Funke-Mediengruppe , dass Kiew sich allein von Deutschland 500 Millionen US-Dollar (rund 506 Millionen Euro) jeden Monat erhoffe. Er erklärte:
“Wir glauben, dass Deutschland etwa 500 Millionen Dollar pro Monat übernehmen könnte, vor allem mit Blick auf das Jahr 2023. Von der EU insgesamt erhoffen wir uns rund zwei Milliarden Dollar pro Monat.”
Es gehe um einen verlässlichen Zeitplan, “zumindest für das nächste halbe Jahr”, so der Wirtschaftsberater von Selenskij. Man sei jetzt auf die finanzielle Unterstützung der EU und der USA angewiesen. Der Staat müsse funktionieren, so Rodnjanskij weiter, die Renten müssten ausgezahlt werden.
Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) beliefen sich die zugesagten finanziellen Hilfen Deutschlands an die Ukraine seit Ende Januar 2022 bis Anfang Oktober auf 1,2 Milliarden Euro. Vonseiten der EU-Institutionen seien es bislang 12,3 Milliarden Euro gewesen.
Rodnjanskij beschuldigte in dem Interview mit der Funke-Mediengruppe Russland, eine “wirtschaftspolitische Front im Krieg” eröffnet zu haben, indem es die Energieinfrastruktur der Ukraine ins Visier genommen habe. Moskau habe es bereits geschafft, “die ukrainischen Stromexporte abzuwürgen”, sagte er. Zuvor hatte die Ukraine den Aussagen von Rodnjanskij zufolge mehr Strom produziert, als es verbraucht habe, und Elektrizität sogar exportiert. Auf diese Weise erzielte das Land “wichtige Exporteinnahmen” und konnte dadurch seine “Währung stützen” und die “Zentralbankreserven stabilisieren”. Nun stünden die Ukrainer in diesem Winter vor einer “sehr großen Krise” und bräuchten unter anderem dringend “Thermokleidung, Notstrom- und Dieselgeneratoren”.
Analyse
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Ministerpräsident Schmigal bezifferte am Montag bei der Konferenz die Gesamtkosten für den Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur auf rund 750 Milliarden US-Dollar. In dieser Summe sollen laut Medienberichten aber auch die Kosten für die Entwicklung und Modernisierung von Gebieten enthalten sein, die nicht von dem Konflikt zwischen Kiew und Russland betroffen sind. Die Weltbank und die USA gehen davon aus, dass die tatsächlichen Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine nur halb so hoch sind und sich auf etwa 350 Milliarden US-Dollar belaufen.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte auf dem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum, seine Regierung wolle, dass die Ukraine ein vollwertiges EU-Mitglied werde. Den Wiederaufbau des Landes, den der SPD-Politiker als “Generationenaufgabe” bezeichnete, sollte laut Scholz auch “mit dem Ziel der Ukraine als EU-Mitglied im Kopf” angegangen werden.
Mit Blick auf die Kosten dieses Wiederaufbaus kam von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken jüngst der Verweis darauf, dass man nun eine Vermögenssteuer brauche. Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland sagte Esken:
“Zur Finanzierung eines handlungsfähigen, solidarischen Staates, der die Gesellschaft in unserem Land zusammenhält, den Wiederaufbau in der Ukraine unterstützt und gleichzeitig nicht die Augen vor der globalen Hungerkrise verschließt, müssen wir eine solidarische Vermögensabgabe der Superreichen endlich umsetzen.”
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Bezüglich des Finanzbedarfs der Ukraine für das kommende Jahr forderte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag in Berlin, dass Brüssel ein Drittel der Summe übernehmen sollte. Auch sie erläuterte, dass die Ukraine etwa drei bis fünf Milliarden pro Monat brauche, “je nachdem, wie viel sie selbst exportieren” könne. “Etwa ein Drittel sollten wir finanzieren”, betonte von der Leyen. Das wären “direkte Budgethilfen von 18 Milliarden im Jahr, solange der russische Krieg dauert”, wird die EU-Politikerin in einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zitiert. Den Aussagen des ukrainischen Präsidenten Selenskij zufolge, der für eine Rede live per Video zu der Konferenz in Berlin zugeschaltet worden war, belaufe sich der Finanzbedarf – um das Staatsdefizit im kommenden Jahr auszugleichen – auf 38 Milliarden US-Dollar. Laut von der Leyen verlasse sich Brüssel darauf, dass die USA eine ähnliche Summe wie die EU zur Verfügung stellen. Der Rest solle über internationale Finanzierungsinstitutionen wie den IWF abgedeckt werden.
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