Quelle: www.globallookpress.com © Chen Zhenhai Tschangscha, Hunan, Dekoration zum Jahr des Hasen, 23.01.2023
Von Pepe Escobar
Liu He studierte Wirtschaftswissenschaften an der Renmin-Universität in Peking und erwarb einen Master in Harvard. Seit 2018 ist er neben Han Zheng, Sun Chunlan und Hu Chunhua einer der Vizepremiers Chinas. Er ist Direktor der Zentralen Finanz- und Wirtschaftskommission und leitet den Ausschuss für Finanzstabilität und Entwicklung Chinas. Wer wissen will, was Chinas Wirtschaft im eben begonnenen Jahr des Hasen antreiben wird, muss seine Aufmerksamkeit auf Liu He richten.
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Das WEF in Davos 2023 kam und ging: eine ausgedehnte Übung in dementer Dystopie mit gelegentlichen Krampfanfällen. Zumindest ein Stück Realität bot die Rede von Liu He. Eine begrenzte, aber kompetente Analyse dessen, was er sagte, ist unendlich nützlicher als Ströme verkappter sinophober “Forschung”, die von US-Denkfabriken ausgespuckt wird.
Liu He wies auf einige Schlüsselzahlen der chinesischen Wirtschaft für das Jahr 2022 hin. Insgesamt ist ein Wachstum von drei Prozent vielleicht nicht atemberaubend; aber was zählt, ist die Wertschöpfung bei der Produktion von Hightech und im Gerätebau, die um 7,4 Prozent bzw. 5,6 Prozent gestiegen sind. Das bedeutet, dass die chinesische Industriekapazität in der Wertschöpfungskette weiter nach oben steigt.
Der Handel steht erwartungsgemäß an erster Stelle: Der Gesamtwert der Importe und Exporte erreichte im Jahr 2022 den Gegenwert von 6.215 Billionen US-Dollar; das ist eine Steigerung von 7,7 Prozent gegenüber 2021.
Liu He machte auch deutlich, dass die Erhöhung des Wohlstands der chinesischen Bürger weiterhin eine Schlüsselpriorität bleibt, so wie auf dem Parteitag 2022 angekündigt. Die Zahl der Chinesen in der Mittelklasse soll bis 2035 von derzeit 400 Millionen auf erstaunliche 900 Millionen gesteigert werden. Liu He erklärte pointiert, dass sich bei den chinesischen Reformen alles um die Idee der Errichtung einer “sozialistischen Marktwirtschaft” drehe. Dies bedeutet übersetzt: “Man lasse den Markt eine entscheidende Rolle bei der Zuteilung der Ressourcen spielen, man lasse die Regierung eine bessere Rolle spielen.” Das hat absolut nichts damit zu tun, dass Peking eine Planwirtschaft bevorzugt. Wie Liu He ausführte: “Wir werden die Reform bei den staatseigenen Unternehmen vertiefen, den Privatsektor unterstützen und fairen Wettbewerb, Monopole bekämpfen und Unternehmertum fördern.”
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China erreicht wirtschaftlich die nächste Stufe: Das bedeutet, so schnell wie möglich eine Handelsbasis aufzubauen, die durch Innovation angetrieben ist. Zu den spezifischen Zielen gehören Finanzen, Technologie und eine höhere Produktivität in der Industrie sowie der Einsatz von mehr Robotik.
An der finanztechnologischen Front (Fintech) wird ein wiederauflebendes Hongkong ab 2024 eine äußerst wichtige Rolle spielen – vor allem aufgrund mehrerer Verbindungsmechanismen in der Vermögensverwaltung: Bühne frei für die Schlüsselrolle der Großregion Guangdong-Hongkong-Macao – einer der wichtigsten Entwicklungsknotenpunkte Chinas im 21. Jahrhundert.
Was als Verbindungsmechanismen in der Vermögensverwaltung bezeichnet wird, ist eine Einrichtung, die es wohlhabenden Investoren aus den neun Städten auf dem Festland, aus denen sich die Region zusammensetzt, ermöglicht, in auf Yuan lautende Finanzprodukte zu investieren, die von Banken in Hongkong und Macau ausgegeben werden. In der Praxis bedeutet dies, dass die Finanzmärkte des chinesischen Festlandes sich dem Markt noch weiter öffnen. Man kann also bis 2025 einen neuen Hongkong-Boom erwarten. Alle, die vom Morast des kollektiven Westens genug haben, fangen an, hier Pläne zu schmieden.
Duale Zirkulation trifft Eurasien
Wie erwartet wies Liu He in seiner Rede auch auf die Schlüsselstrategie Pekings für dieses Jahrzehnt hin: “Ein neues Entwicklungsparadigma mit einer inländischen Zirkulation als Hauptstütze und einer inländischen und internationalen Zirkulation, die sich gegenseitig verstärken.”
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Die Strategie der dualen Zirkulation spiegelt die Betonung der Pekinger Führung wider, gleichzeitig Chinas Eigenständigkeit und seine enorme Präsenz auf dem Exportmarkt zu stärken. Praktisch jede Regierungspolitik dreht sich um diese duale Zirkulation. Wenn Liu He über die “Ankurbelung der Inlandsnachfrage Chinas” spricht, sendet er eine direkte Botschaft an globale Exporteure – in Ost und West – und richtet den Fokus auf diese ständig wachsende, gigantische Masse chinesischer Verbraucher der Mittelklasse.
In Bezug auf das geopolitische und geoökonomische Gesamtbild war Liu He diplomatisch umsichtig. Er ließ nur durchblicken, dass “wir glauben, dass eine gerechte internationale Wirtschaftsordnung von allen bewahrt werden muss”. Übersetzung: Die BRI sowie die Integrationsbemühungen von BRICS+, der SOZ und der EAWU werden im Vordergrund der chinesischen Politik stehen.
Und das bringt uns zu dem, was eine der Schlüsselgeschichten im Jahr des Hasen wird: die neu aufgenommene Fahrt entlang der Neuen Seidenstraße (BRI). Nur wenige verstehen historisch besser als die Chinesen, dass von Samarkand bis Venedig, von Buchara bis Guangzhou, von Palmyra bis Alexandria, vom Karakoram bis zum Hindukusch eine gewaltige wirtschaftliche, politische, kulturelle und religiöse Anziehungskraft ausgeübt wird, Faktoren, mit der nicht nur die äußersten Enden Eurasiens – vom Mittelmeer bis nach China – verbunden werden, sondern seine jahrhundertealte Geschichte bestimmt und auch weiterhin bestimmen wird.
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Auf den alten Seidenstraßen ging es nicht nur um Seide, sondern auch um Gewürze, Porzellan, kostbare Pelze, Gold, Tee, Glas, Sklaven, Konkubinen, Krieg, Wissen, Seuchen – und so wurden sie zum Symbol des Austauschs zwischen den Menschen in ganz Eurasien, wie es Xi Jinping und die Pekinger Führung heute anpreisen. Um mit ihrer Vergangenheit Schritt zu halten, bedeutet dies für die neuen Seidenstraßen auch alle Arten von Austausch zwischen Ost und West. Der Handel entlang dieser Routen ist in diesem Fall nur die materielle Grundlage.
Der Austausch zwischen Europa und China begann möglicherweise erst im ersten Jahrhundert v. Chr. Es waren nur wenige, die tatsächlich die Eurasische Unermesslichkeit durchquerten. Im Jahr 98 brach ein Botschafter vom chinesischen Gan Ying auf, um sich auf den Weg nach Daqin zu machen – also nach Rom. Er ist nie angekommen. Im Jahre 166 trifft schließlich der Botschafter des Antoninus Pius in China ein, der aber in Wirklichkeit nur ein abenteuerlustiger Kaufmann war. Dreizehn Jahrhunderte lang entstand dann eine riesige Lücke.
Trotz der gewaltigen Ausbreitung des Islam und der Omnipräsenz muslimischer Kaufleute seit dem siebten Jahrhundert nahmen die Europäer erst im dreizehnten Jahrhundert – zur Zeit der letzten Kreuzzüge und der Eroberung durch die Mongolen – den Weg in Richtung Osten wieder auf. Und dann, im 15. Jahrhundert, schnitten die Ming-Kaiser, die auf die Mongolen folgten, China vollständig von der Außenwelt ab.
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Dass es im sechzehnten Jahrhundert endlich zu einer Begegnung kam, ist nur zu einem gewissen Teil den Jesuiten zu verdanken – wenn auch siebzehn Jahrhunderte zu spät: Europa begann sich mit China auseinanderzusetzen und sich Wissen über das Reich der Mitte anzueignen. Erst um 1600 scheint den Europäern bewusst geworden zu sein, dass Nordchina und Südchina auf demselben Kontinent liegen. Daraus kann man schließen, dass China im Westen erst nach der “Entdeckung” Amerikas wirklich bekannt wurde. Obwohl die zwei Welten einander lange ignorierten, bewegte sich der Handel entlang der Routen mitten durch die Steppen von einer Seite Eurasiens zur anderen.
Jetzt ist es an der Zeit für einen weiteren historischen Vorstoß – selbst wenn ein chaotisches Europa von einer Kabale imperialer Neokonservativer und neoliberaler Konservativer als Geisel gehalten wird. Duisburg im Ruhrtal, der größte Binnenhafen der Welt, bleibt immerhin der wichtigste Knotenpunkt der eisernen Seidenstraßen, der über endlose Eisenbahnlinien mit Chongqing in China verbunden sein ist. Wacht auf, ihr Deutschen: Eure Zukunft liegt im Osten.
Übersetzt aus dem Englischen.
Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt “Raging Twenties” (Die wütenden Zwanziger). Er wurde von Facebook und Twitter aus politischen Gründen verbannt, aber man kann ihm auf Telegram folgen.
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