Quelle: www.globallookpress.com © Roland Weihrauch/dpa Seriöse Recherchen oder doch nur Journalistendarsteller?
Eine Lesermeinung
Ich bin ein langjähriger Leser von RT und verfolge das Medium seit der ersten Stunde. Danke für eure Aufklärungsarbeit! Die Correctiv-Recherche – oder: krude Verschwörungsschwurbeleien von Nicht-Juristen. Zunächst muss ich für mich klarstellen, dass ich der AfD alles andere als freundlich gesonnen bin. Ich stelle mich mit meiner Stellungnahme auch nicht schützend vor diejenigen, die an der besagten Versammlung im Landhaus Adlon in Brandenburg teilgenommen haben.
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Ich stelle mich schützend vor unsere Verfassung und vor unseren demokratischen, sozial-liberalen Rechtsstaat. All den Kritikpunkten, wie sie zum Beispiel auf RT schon von Gert Ewen Ungar, Tom J. Wellbrock oder Dagmar Henn vorgetragen wurden, kann ich mich vollumfänglich anschließen. Die alles entscheidende Frage wurde bisher aber noch nicht gestellt, nämlich: Darf man das? Oder konkreter formuliert: Durften die Teilnehmer der Versammlung das tun, was ihnen vorgeworfen wird?
Diese Frage wird von der Correctiv-“Recherche” nicht nur nicht gestellt, sondern es wird unausgesprochen unterstellt, dass man das eben nicht dürfe und dies sogar verfassungsfeindlich sei. Nun muss ich kurz wiederholen, was diese Vorwürfe ausmacht: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und “nicht assimilierte Staatsbürger” sollen “remigriert” werden, oder klarer gesagt: Sie sollen Deutschland dauerhaft verlassen. Nach der Rechtsauffassung der Correctiv-Autorenschaft soll dies “ein Angriff auf das Grundgesetz – auf das Staatsbürgerrecht und auf den Gleichheitsgrundsatz” sein.
Nun befindet sich unter der Autorenschaft ganz offenbar kein einziger seriöser Jurist, ansonsten würde man so ein dummes, falsches Zeug nicht behaupten. Damit zur Frage: Durften die das? Unausgesprochen wird die Behauptung aufgestellt, das Verhalten der Teilnehmer sei verfassungsgefährdend, also verboten.
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Dazu will ich den für mich tief prägenden Merksatz meines Professors für Verfassungsrecht im ersten Semester zitieren, der das Verhältnis zwischen Staat und Bürger nach unserem Grundgesetz aufzeigt, an dem sich seit über 70 Jahren nichts, aber auch gar nichts geändert hat: “Der Staat darf nichts, es sei denn, es ist ihm erlaubt – der Bürger darf alles, es sei denn, es ist ihm verboten.” Und mit verboten oder erlaubt sind freilich nicht markige Worte eines Bundeskanzlers, Bundespräsidenten oder Bundesverfassungsschutzpräsidenten gemeint, sondern verfassungsgemäße Gesetze.
Um das für den juristischen Laien noch einmal verständlicher zu beschreiben: Der Staat darf einschränkend nur in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen, wenn er dazu ausdrücklich durch unsere Verfassung ermächtigt ist, das heißt, wenn das betroffene Grundrecht eine Einschränkung vorsieht und wenn diese Ermächtigung durch ein verfassungsmäßiges Gesetz konkretisiert wurde.
Auf der anderen Seite dürfen die Bürger beziehungsweise sogar alle Menschen, die sich in Deutschland aufhalten, alles. Das geht aus Artikel 2 Abs. 1 GG hervor, der die allgemeine Handlungsfreiheit schützt. Ursprünglich sollte dieses recht abstrakt klingende Grundrecht volksnäher heißen: “Jeder darf tun und lassen, was er will.”
Wäre man doch dabei geblieben. Der Mensch beziehungsweise Bürger darf also erst einmal alles, es sei denn, es ist ihm durch ein verfassungsgemäßes Gesetz verboten. Und damit kommen wir zurück zu der Frage: Durften die das? Also müssen wir fragen: Existiert für das behauptete Verhalten eine – immer mitgedacht: verfassungskonforme – Verbotsnorm? Die einfache Antwort ist: nein!
Das Verhalten der Teilnehmer ist nicht verboten und damit durften sie das! Man mag die Positionen politisch verwerflich finden, sie sind aber erlaubt! Jeder in unserem Staat kann im Übrigen darüber frei diskutieren, unsere Verfassung zu ändern, ja sogar, diese abzuschaffen und mittels Volksabstimmung durch eine andere zu ersetzen! Dieses Recht ist das oberste und grundlegendste Recht der ersten Gewalt: der verfassungsgebenden Gewalt, des Volkes.
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Dieses Recht kann ihm niemals und von niemandem genommen werden; nur seine Ausübung kann durch Gewalt verhindert werden. Wer dem Volk dieses Recht abspricht, der verneint damit die Demokratie an sich. An dieser Tatsache ändert auch das Widerstandsrecht aus Artikel 20 Abs. 4 GG nichts, denn ebendieses (Volks-)Widerstandsrecht ist ein Recht des Souveräns, das sich nicht gegen ihn richtet, sondern zum Beispiel gegen einen Putschversuch durch eine Volksminderheit ohne Parlament und Gesetz.
Nun haben die Väter unserer Verfassung hier – auf Druck der alliierten Machthaber – einen juristischen Taschenspielertrick verwendet, der weltweit einzigartig ist: Sie haben bestimmte Teile der Verfassung für dauerhaft unabänderlich erklärt, nämlich die sogenannten Ewigkeitsgarantien aus Artikel 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit den Artikeln 1 und 20 GG.
Unabänderlich sollen sein: Die Menschenwürde (deren Inhalt aber leider nur recht schwierig zu fassen ist) sowie die Staatsfundamentalprinzipien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, republikanische Staatsform, föderale Staatsorganisation und das Sozialstaatsprinzip. Nun kann man schon hier völlig zu Recht fragen, ob beispielsweise der Föderalismus – also die Teilung der Bundesrepublik in Bund und Länder – wirklich so bedeutsam ist, dass man dies für alle Ewigkeit zementieren müsste.
Viel berechtigter aber kann man fragen, ob diejenigen, die dies vor über 70 Jahren in der Verfassung festgeschrieben haben, das Recht hatten, dies zu tun? Sie alle sind längst tot und haben dem deutschen Volk ein Erbe hinterlassen, das es so vielleicht gar nicht mehr will. Selbst dann, wenn diese Verfassung durch eine Volksabstimmung legitimiert worden wäre – was sie bekanntermaßen nicht wurde –, wäre der damalige Volkswille heute längst nicht mehr existent und müsste neu bestimmt werden. Und so muss man auch hier fragen: Durften die das?
Die Antwort lautet schlicht und einfach: nein! Der Souverän, das deutsche Volk, hat sie nicht dazu ermächtigt. Viel mehr waren es fremde und damals zudem auch noch feindliche Mächte, nämlich die Alliierten, die sie dazu berufen haben. Also die Macht der Gewalt und nicht die Macht des Rechts. In Anbetracht der Verbrechen der Hitler-Faschisten mag dies verständlich erscheinen. Vereinbar mit dem Prinzip der Volkssouveränität war dies jedoch nicht.
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Um alle Zweifel, die hier entstehen könnten, sofort auszuräumen: Ich stehe weder auf der Seite sogenannter “Reichsbürger” noch auf der Seite von Menschen, die unsere Verfassung mittels Umsturz ersetzen möchten. Ich stehe auf der Seite der Volkssouveränität. Und diese braucht derzeit, vielleicht mehr als jemals zuvor seit 1933, Verteidiger, die für sie das Wort ergreifen. Wer also darüber diskutiert oder sich dafür organisiert, unsere Verfassung im Rahmen der vorgegebenen Ewigkeitsgarantien auf verfassungsmäßige Weise – also über Parlamente und Gesetze – zu ändern, der darf dies tun! Es ist nicht verboten und schon gar nicht verfassungsfeindlich.
Wer meint, wir müssten das Grundrecht auf Asyl ändern, der darf das tun. Wer meint, wir müssten das Grundrecht auf Asyl abschaffen, der darf das tun. Wer meint, wir dürften Staatsbürgern, die sich in hohem Maß rechtsfeindlich verhalten, die Staatsbürgerschaft auf verfassungskonforme Weise entziehen, der darf das tun! Und freilich darf er sich auch politisch organisieren, um das auf verfassungskonforme Weise – also durch Parlamente und Gesetze – durchzusetzen! Zwar gibt es Stimmen, die meinen (!), der Entzug der Staatsbürgerschaft verstoße gegen die Menschenwürde, aber das sind nur diskutierbare Rechtsauffassungen. Wenn man anderer Meinung ist, dann darf man das sein! Und es ist auch eine vertretbare Rechtsauffassung, wie Juristen das nennen.
Am Ende stehen viel eher die Correctiv-Autoren auf verfassungsfremden Boden, wenn sie die Menschen, die ihre verfassungskonformen Rechte ausüben, in eine verfassungsfeindliche Ecke zu stellen versuchen. Sie erklären sich zu Gesetzgebern und Verfassungsrichtern und gaukeln der Öffentlichkeit eine Verfassungswirklichkeit vor, die mit unserer Verfassung nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat. Das ist vielleicht noch nicht verfassungsfeindlich, aber mindestens demokratiefeindlich und zeigt ein autoritäres, obrigkeitsstaatliches Verfassungs(un-)verständnis.
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