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Guatemala: Amtseinführung des neuen Präsidenten als Hürdenlauf

Guatemala: Amtseinführung des neuen Präsidenten als Hürdenlauf

Quelle: AFP © Emmanuel AndresGuatemalas Präsident Bernardo Arevalo spricht mit einer indigenen Frau nach der Teilnahme an einer Maya-Zeremonie zu seinen Ehren in der archäologischen Stätte Kaminaljuyu in Guatemala-Stadt am 16. Januar 2024.

Von Maria Müller

In Guatemala wurde der gewählte Präsident Bernardo Arévalo am vergangenen Sonntag kurz nach Mitternacht (Ortszeit) vereidigt. Die Opposition versuchte bis zum letzten Augenblick, seinen Amtsantritt zu verhindern. Nach vielen Stunden des angespannten Wartens aufgrund von chaotischen Auseinandersetzungen im Kongress erhielt Arévalo die Präsidentenschärpe und leistete den Amtseid als Präsident von Guatemala. An seiner Seite stand die Vize-Präsidentin Karin Herrera, die ebenfalls ihren Eid auf die Verfassung schwor. Die Zeremonie sollte eigentlich nachmittags um 15:00 Uhr stattfinden. Der scheidende Präsident Alejandro Giammattei weigerte sich, seinem Nachfolger die Insignien des Präsidialamtes in der üblichen Zeremonie zu übergeben und ihn zu vereidigen. Der neue Vorsitzende des Kongresses, Samuel Pérez Álvarez, ein Abgeordneter der “Semilla”-Partei des neuen Präsidenten, musste diese Aufgabe ersatzweise übernehmen.

Hindernisse im Parlament führten zur Verzögerung

Die gewählten Vertreter von “Semilla” mussten noch in letzter Minute um ihre Anerkennung als vollwertige Parlamentsmitglieder kämpfen. Die Opposition hatte mithilfe eines regelrechten juristischen Feldzuges gegen Arévalo und seine politische Organisation deren demokratische Rechte beschnitten. Anschließend blockierten die gegnerischen Abgeordneten stundenlang die offizielle Vereidigung der neuen Kongressmitglieder.

Die zum Teil lautstark geführten Debatten im Parlament lassen nichts Gutes für die Regierbarkeit des Landes ahnen. Die “Semilla”-Partei muss als Minderheit mit anderen politischen Fraktionen Vereinbarungen treffen.

Erneute Demonstrationen für die Demokratie

Was geschah, hielt das Land in Atem, und für einen Moment glaubte ein Teil der Bevölkerung, dass der im vergangenen August mit 60,9 Prozent Zustimmung gewählte Präsident sein Amt möglicherweise nicht antreten könnte. In der Hauptstadt Guatemala-City versammelten sich die Menschen wieder auf den Straßen und protestierten gegen die Manöver im Parlament. Vor allem vor dem Kongressgebäude kam es zu Konflikten zwischen Polizei und Demonstranten.

​Am Sonntagnachmittag richtete der neue Präsident einen mahnenden Aufruf an das Parlament:

“Die Abgeordneten haben die Verantwortung, den bei den Wahlen zum Ausdruck gebrachten Willen des Volkes zu respektieren, anstatt mit Illegalitäten, kleinlichen Schikanen und Machtmissbrauch die Demokratie zu verletzen.”

Die größten internationalen Institutionen intervenierten

Der 65-jährige progressive Soziologe und Diplomat Bernardo Arévalo erhielt nach seinem Wahlsieg im August 2023 eine in Lateinamerika noch nie erlebte Unterstützung seitens der größten internationalen Institutionen. Die Vereinten Nationen, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die Europäische Union appellierten mehrfach an die extrem feindlichen Oppositionskräfte, das Wahlergebnis anzuerkennen und die Demokratie zu wahren. Sie drohten zudem mit unmittelbaren Sanktionen. Die Mächtigen der westlichen Welt verurteilten diesmal den in Gang gesetzten, justiziell verbrämten Putschversuch in Guatemala, mit dem die Wahlergebnisse zensiert werden sollten.

Gibt es eine Wende? Mithilfe der Justiz wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche progressive Präsidenten abgesetzt und auch inhaftiert. So geschehen in Brasilien, Paraguay, Ecuador, Bolivien, Argentinien und zuletzt in Peru (der immer noch ohne Prozess inhaftierte Ex-Präsident Pedro Castillo).

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Ein Interview mit Bernardo Arévalo

In einem von der BBC durchgeführten Interview mit Bernardo Arévalo werden die Hintergründe der politischen Zuspitzung in Guatemala deutlich. Er beschreibt ein Netzwerk aus den Reihen der alteingesessenen Oligarchie und dessen Bestreben, das Land durch Mafia-Methoden unter seine Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig versichert er, es habe in Guatemala in den vergangenen Monaten eine positive politische Entwicklung gegeben. Ein Großteil der Bevölkerung habe sich dafür entschieden, die Demokratie zu verteidigen. Laut Arévalo bestehe darin inzwischen ein breiter Konsens:

“Die Leute haben uns gewählt, weil sie die Korruption satthaben”, sagt er.“Sie verteidigten mit massenhaften, friedlichen Demonstrationen die rechtmäßigen Wahlen, ihre Ergebnisse und die Demokratie insgesamt.”

Die Mobilisierung der Indigenen Bevölkerung war entscheidend

Bernardo Arévalo betonte, dass die Repräsentanten der indigenen Völker diese Mobilisierung angeführt haben, an der sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen beteiligten. Auch der Privatsektor habe sich angeschlossen und einen gemeinsamen Arbeitsprozess zwischen Unternehmen und der indigenen Führung mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Demokratie zu verteidigen:

“Die guatemaltekische Bevölkerung mobilisierte sich nicht für den einen oder anderen Kandidaten, oder für eine bestimmte Partei. Es ging ihr nicht in erster Linie um die Verteidigung von Bernardo Arévalo oder der Semilla-Bewegung, sondern um die Verteidigung des demokratischen Systems und der Wahlen.”

Eine kriminelle Machtelite auf der Basis von Korruption

Auf die Frage nach der Hauptursache der gegenwärtigen Krise in Guatemala erklärte er, es habe in Guatemala in den letzten zwei Jahrzehnten einen Prozess der Vereinnahmung staatlicher Institutionen durch eine kriminelle Machtelite gegeben. Sie habe sich in politischen Parteien organisiert und auf diesem Weg die Spitzen der städtischen Verwaltungen, den Kongress der Republik und andere Bereiche des Staates angegriffen:

“Die Beamten in den Institutionen stehen unter Druck, sie handelten nicht, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen, sondern vielmehr die Interessen anderer …”

Das Land brauche dringend umfassende Veränderungen, und die Voraussetzung dafür sei, die Korruption zu beseitigen. Sie verhindere die Entwicklung, denn sie verschlinge gut zwischen dreißig und vierzig Prozent des Staatshaushaltes. Guatemala erlebe gegenwärtig einen Rückschlag, eine Verschlechterung der Lebensbedingungen.

Arévalo wörtlich:

“Es gibt nicht nur eine Stagnation, sondern auch einen Rückgang der Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturindikatoren und sogar einen Anstieg der Armut. Das ist das Ergebnis der korrupten Vereinnahmung von Institutionen durch diese kriminelle politische Elite.”

Doch der Präsident ist optimistisch. Der Kampf gegen die Korruption, gegen die Geldwäsche und die länderübergreifende Schmuggelökonomie werde die finanziellen Mittel wieder bereitstellen, die Guatemala für seinen Entwicklungsprozess benötige.

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Umfassende Reformen und langfristige Entwicklungsziele

Seine Regierung will einen umfassenden Dialogprozess mit den verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren einrichten, um langfristige Vereinbarungen über die notwendigen öffentlichen Maßnahmen und Reformen zu erzielen. Der Kampf gegen die Korruption erfordere eine Verfassungsreform und eine Reihe von Gesetzesänderungen sowie eine besondere Ausstattung im Bereich der Justiz. Auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten müssten verbessert werden. Damit ist auch die rassistische, koloniale Apartheid-Kultur gegen die indigene Bevölkerung gemeint, die die Gesellschaft Guatemalas spaltet. Insgesamt gehöre es zu den ersten Aufgaben, das Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen wiederherzustellen.

Arevalo:

“Wir sehen den Kampf gegen die Korruption in Guatemala in einem breiteren Rahmen. Das ist eine Aufgabe, die in drei bis vier Jahren nicht gelöst werden kann. Aber wir können erhebliche Fortschritte machen, um das Land in die richtige Richtung zu lenken.”

Bernardo Arevalo bezieht sich auch auf das Vermächtnis seines Vaters Juan José Arévalo, der als erster (und einziger) demokratischer und reformistischer Präsident Guatemalas (1945 – 1951) in die Geschichte einging. Er habe von ihm gelernt:

“Wenn Politik nicht auf einer ethischen Grundlage ausgeübt wird, wird sie zur käuflichen Ware. Unsere Demokratie braucht die Wiederherstellung der ethischen Dimension. Außerdem heißt regieren nicht nur, unmittelbare Ergebnisse zu suchen, sondern über die großen Ziele nachzudenken, die das Land benötigt, und in diesem Sinne zu handeln.”

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