Quelle: www.globallookpress.com © Michael Kappeler/dpa Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij anlässlich der UN-Generalversammlung in New York, USA, 20. September 2023.
Am Sonntag berichtete die US-amerikanische Zeitung Washington Post über die anhaltende Diskussion, ob in der Ukraine trotz geltenden Kriegsrechts im nächsten Jahr Präsidentschaftswahlen durchgeführt werden sollen. Die letzte Präsidentschaftswahl fand in der Ukraine im Frühjahr 2019 statt. Eine Legislaturperiode dauert laut der Verfassung fünf Jahre.
Ausnahmen gelten nur unter Kriegsrecht, das die Austragung von Wahlen während eines Krieges verbietet. Erst im August stimmte das ukrainische Parlament einer Verlängerung des Kriegsrechts um weitere 90 Tage bis November zu und verschob damit eine Parlamentswahl, die eigentlich spätestens Ende Oktober stattfinden sollte. Damit Wahlen stattfinden können, müsste das Kriegsrecht für mindestens zwei bis drei Monate aufgehoben werden.
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Den Anstoß für die Diskussion lieferte mit einem entsprechenden Vorschlag der niederländische Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung, Martinus Cox. Schon im Mai hatte er Kiew in einem Interview aufgefordert, Wahlen abzuhalten, und zwar so “frei und fair wie möglich”. Später räumte Cox ein, dass in der Ukraine keine Wahlen stattfinden könnten, solange das Kriegsrecht gilt. Trotzdem solle Kiew so bald wie möglich mit den Vorbereitungen beginnen.
Auch der republikanische US-Senator Lindsey O. Graham und die demokratischen US-Senatoren Richard Blumenthal und Elizabeth Warren sprachen sich im August für Wahlen aus. Graham machte seinen Vorstoß auf einer Pressekonferenz vor einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij in Kiew. Dort sagte er, es sei Zeit für die Ukraine, den nächsten Schritt in der Entwicklung der Demokratie zu tun, nämlich im Jahr 2024 Wahlen abzuhalten. Laut eigener Aussage wolle er, dass die Ukraine “freie und faire Wahlen” abhält, “auch wenn sie angegriffen wird”.
Ukrainische Beamte: Wahlen könnten das Land zerstören
Demgegenüber sprachen sich ukrainische Beamte gegen Wahlen aus, da man sie praktisch nicht durchführen könne, sie aber auch nicht ratsam seien. Dabei wird darauf verwiesen, dass ein Fünftel des ukrainischen Territoriums von russischen Truppen besetzt sei, dass Millionen von Ukrainern vertrieben wurden oder im Ausland lebten und Zehntausende Soldaten an der Front im Einsatz seien.
Wahlen abzuhalten würde demnach erhebliche finanzielle, logistische und rechtliche Hürden mit sich bringen. Außerdem wird befürchtet, dass sich Russland in die Wahlen einmischen könnte. Die Russen würden über ihre “geheimen Kanäle” auf Wahlen drängen, wird ein ukrainische Sicherheitsbeamter von der Zeitung anonym zitiert. Denn Wahlen gäben Russland die Möglichkeit, die ukrainische Gesellschaft zu spalten und die Politiker zu manipulieren.
Wahlen seien riskant, schlecht für das Land und aus politischer Sicht sinnlos, schließt der Beamte. Sie würden die “sehr zerbrechliche politische Widerstandsfähigkeit des ukrainischen Staates untergraben”. Die Kehrseite ist, dass in Kiew gut verstanden wird, dass Wahlen aufgrund der Erwartungshaltung des Westens, auf dessen finanzielle und militärische Hilfe man angewiesen ist, irgendwann stattfinden müssen.
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Die Washington Post sieht hinter dem Druck, trotz dieser Hindernisse Wahlen abzuhalten, eine ständige Forderung westlicher Länder, dass die Ukraine ihr Engagement für die Demokratie unter Beweis stellen müsse. Dabei habe die Ukraine dies bereits zweimal getan, argumentiert die Washington Post mit Verweis auf die Farbrevolution 2003/2004 und ihre Neuauflage im Winter 2013/2014.
Selenskij entgegnete später auf Grahams Forderung, dass es für Wahlen nicht die nötige Infrastruktur gebe. Graham teilte daraufhin mit, er könne sich kein besseres Symbol für die Ukraine vorstellen als freie und faire Wahlen während eines Krieges. Selenskij sagte schließlich, dass der Westen dann bitte die Kosten von 135 Millionen US-Dollar übernehmen möge, wenn er Wahlen möchte. Er selbst werde kein Geld für Wahlen statt für Waffen verwenden. Außerdem müsse der Westen Wahlbeobachter entsenden, die zu den Soldaten in die Schützengräben gehen, so Selenskij.
In den USA stieß die Forderung des ukrainischen Präsidenten auf ein geteiltes Echo. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy warf Selenskij die “Erpressung der Wähler” vor. Anfang September hatte der US-Außenminister Antony Blinken Selenskij zwar aufgefordert, die Bürger und die Opposition zu befragen, wann die nächste Wahl stattfinden soll. Hochrangige Beamte der Biden-Administration erklärten hingegen, dass die Ukraine selbst entscheiden müsse, wann sie Wahlen abhält. Ein Beamter soll gegenüber der Washington Post anonym erklärt haben, dass man Kiew nicht drängen werde.
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