Studie zum Ukraine-Konflikt zeigt: Westen in der Welt isoliert
Einordnung der Fragen und Antworten
Wie es zusammenpasst, dass die Mehrheit der Jugendlichen sich für Geschichte interessiert, es aber gleichzeitig große Wissenslücken gibt, ergibt sich aus der Studie nicht. (Interesse an einem Thema setzt in der Regel sogar Wissenslücken voraus.) Die optimistische Interpretation der Studienergebnisse widerspricht dem Ergebnis der quantitativen Befragung teilweise erheblich.
Ein Problem liegt darin, dass die Studienmacher die Antworten ihrer Teilnehmer nicht hinterfragen. So sagt das rein subjektive Interesse an Geschichte wenig über das tatsächliche Wissen über Geschichte aus. Natürlich würden Jugendliche (und Erwachsene) auf Nachfrage nicht gerne zugeben, wenigstens unbewusst, wenn sie kein Interesse an der NS-Zeit hätten. Der Grund ist auch die Erwartungshaltung, die in Deutschland hierzu existiert. Ein einfacher Notenspiegel oder ein Quiz hätten mehr Aussagekraft besessen.
Ebenso bedeutet es nicht, dass sich jemand mit Geschichte auseinandersetzt, nur weil er sie als wichtig erachtet. Statt zu fragen, wie oft sich die Teilnehmer in ihrer Freizeit mit Geschichte auseinandersetzen, hätte man etwa fragen können, wie diese Auseinandersetzung stattfindet.
Im qualitativen Teil nannten 58 Prozent Themen mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg als besonders wichtiges Ereignis in der Geschichte, und 24,6 Prozent nannten Themen mit explizitem Bezug zum Nationalsozialismus. Daraus wurde in der Studie der “Kontext Zeit des NS”, den 82,6 Prozent für besonders wichtig hielten. Zu den letztgenannten Ereignissen gehörten hingegen der Nahostkonflikt, Wirtschafts-, Finanz- und Bankenkrisen oder die Gründung des Deutschen Kaiserreichs.
Könnte diese Wertung damit zu tun haben, dass die Nazi-Zeit in der Popkultur, die Jugendliche bekanntlich gerne konsumieren, stark überrepräsentiert ist, während andere Themen eher trocken bzw. unterrepräsentiert sind? Wenig überraschend gaben lediglich 4,5 Prozent der Befragten an, “noch nie” einen Spiel- oder Dokumentarfilm zum Thema NS gesehen zu haben.
Hier scheint auch das Hauptbetätigungsfeld der jugendlichen Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte zu liegen. Die meisten Jugendlichen suchen die Beschäftigung mit der NS-Zeit mithilfe von Dokus, Spielfilmen und Serien. Erst danach folgen Gedenkstätten, Unterricht und Bücher.
Die Frage, wie intensiv man sich in den letzten zwölf Monaten mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt habe, zielte erneut auf eine subjektive Selbsteinschätzung und scheint zu ignorieren, dass Jugendliche normalerweise Besseres zu tun haben, als sich in ihrer Freizeit mit Konzentrationslagern zu beschäftigen.
Ernst zu nehmende Schlüsse erlaubt die Studie womöglich nur dort, wo die Teilnehmer ihre Antworten selbst formulieren mussten. So gaben die Befragten an, beim Gedanken an die NS-Zeit zuerst Hitler, Verbrechen, KZ und Krieg vor Augen zu haben. Das offenbar verbreitete fehlende Vermögen, sich die NS-Zeit in einem größeren historischen Rahmen vorzustellen, zeigt sich an entsprechenden Kurzdarstellungen:
“Da war ein Mann, der selber nicht mal Deutscher war, der meinte, die deutsche Rasse aufrechtzuerhalten (blond und blaue Augen). Alle anderen Menschen und besonders Ausländer und Juden hatten kein Recht auf ein Leben und wurden in Konzentrationslager gesteckt oder vergast.”
Den Schülern, von denen Beschreibungen wie jene stammen, kann man schwer einen Vorwurf machen. In Bezug auf die deutsche Geschichte liegt, wie man heute sagen würde, zweifellos ein “strukturelles” Problem vor. Interesse haben die Schüler mit Sicherheit. Da ein Drittel der Befragten nicht richtig beantworten konnte, welcher Zeitraum in Deutschland als die “Zeit des Nationalsozialismus” bezeichnet wird, wird ihr Interesse nicht ausreichend befriedigt, sei es zu Hause oder durch die Bildungsinstitutionen.
Auf die Frage, was sie an der NS-Zeit interessiert, nannten die Jugendlichen die Rolle der passiven Bevölkerung und die Rolle Hitlers. Auch dies ist sicher kein Zufall, da die Erinnerungskultur in Deutschland vor allem eindeutige Opfergruppen der NS-Zeit darstellt.
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Interessen der Studienmacher
Könnte die Stiftung EVZ ein Interesse an einem bestimmten Ergebnis haben? Inwiefern waren die Macher der Studie an bestimmten Ergebnissen interessiert und legten die richtigen Antworten bereits in den Fragen an? Einerseits möchte die Stiftung ihr Angebot erweitern. Andererseits muss sie zeigen, dass ihr Engagement Früchte trägt. Dazwischen liegt das – im Fall der EVZ sehr große – Feld der Gründe für die Finanzierung.
Auch die genannten Wünsche der Studienteilnehmer könnten bereits von den Vorannahmen der Macher beeinflusst sein. Als “Träger der deutschen Erinnerungskultur” sind Jugendliche und junge Erwachsene für Stiftungen wie die EVZ eine “wichtige Zielgruppe” für die historisch-politische Bildungsarbeit. In diesem Sinne ist die EVZ daran interessiert, ihr Angebot und ihr Marketing zu verbessern.
Sehr zufrieden zeigte man sich daher bei der EVZ, wenn die Befragten zeigten, dass sie die Dispositive der deutschen Erinnerungskultur verinnerlicht haben, wie sich etwa an der Frage nach dem “Schlussstrich” unter die NS-Verbrechen zeigte. Nach Ansicht der meisten Teilnehmer dürfe es den nicht geben. Echte Defizite kann es aus Sicht der Studienmacher nicht wirklich geben, höchstens neue Betätigungsbilder oder Stellen, an denen nachjustiert werden muss, zum Beispiel beim Thema Kolonialismus und Ukraine.
Wie sich die Vertreter der Stiftung EVZ deutsche Vorzeigejugendliche vorstellen, wurde an den zwei Mitarbeitern des Anne-Frank-Zentrums deutlich. Zur Fragerunde nach dem Pressetermin durften sie unter Beweis stellen, wie gut sich in jungen Jahren bereits den Jargon der deutschen Erinnerungskultur beherrschten. Den durchschnittlichen Jugendlichen in Deutschland repräsentierten sie mit Sicherheit nicht.
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