Quelle: www.globallookpress.com © The Swedish Coast Guard Nach dem Anschlag auf Nord Stream 1 aufsteigendes Erdgas (30. September 2022)
Von Dagmar Henn
Drei Monate nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines meldet sich nun die New York Times mit etwas zu Wort, das sie eine Untersuchung nennt. Aber gleich zu Beginn des Artikels wird klar, welchem Zweck er dient – Nebelkerzen zu werfen.
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Schon 2007 habe die Schwedische Verteidigungsforschungsanstalt (FOI) gewarnt, die Pipeline sei verwundbar: “Ein Taucher wäre genug, um eine Sprengladung anzubringen.” Und dann wird auf die kargen Informationen Bezug genommen, die aus Schweden bisher veröffentlicht wurden: “Behördenvertreter und Experten sagen, dass der Sprengstoff wahrscheinlich aus Schiffen heruntergelassen wurde oder – genau wie der schwedische Bericht gewarnt hatte – durch Unterseeboote oder Taucher am Meeresboden platziert wurde.”
Der Trick, den die New York Times gebraucht, ist, möglichst im Ungenauen zu bleiben. An der Explosionsstelle von Nord Stream 1 beträgt die Wassertiefe über 70 Meter. Der Meeresboden ist im Prinzip zwar für Taucher erreichbar, aber kaum ohne massiven Taucheranzug mit einer Schlauchverbindung; damit ist der ganze Vorgang weit weniger unauffällig. Das Schiff, das den Taucher mit Atemluft versorgt, müsste mindestens eine halbe Stunde vor Ort bleiben, weil das Auftauchen aus dieser Tiefe zusätzliche Zeit braucht, und der oder die mutmaßlichen Täter könnten sich keinesfalls per Flugzeug aus dem Staub machen, weil Fliegen nach einem Tauchgang auf solche Tiefen äußerst ungesund wäre.
“Die Ostsee”, schreibt die New York Times weiter, “war ein beinahe perfekter Ort für ein Verbrechen. Ihr Grund ist mit Telefonkabeln und Rohren übersät, die nicht eng überwacht werden. Aus den neun angrenzenden Ländern kommen und gehen ständig Schiffe, und die Fahrzeuge können sich leicht verbergen, indem sie ihre Transponder abschalten.”
Die Ostsee ist allerdings nicht ganz einheitlich, was das betrifft. Die Stelle, an der Nord Stream 1 gesprengt wurde, liegt nahe der Insel Bornholm, und auch nahe des Sitzes des dänischen Marinegeheimdienstes; man mag annehmen, dass an dieser Stelle die Ostsee deutlich dichter überwacht wird als, sagen wir einmal, im Bottnischen Meerbusen 100 Kilometer vor der finnischen Stadt Rauma.
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Ein Mitarbeiter des schwedischen Regierungsinstituts darf äußern, man wundere sich, warum diese Pipeline nicht überwacht worden sei, warum überhaupt so wenig überwacht werde. Das täuscht aber ein wenig. Denn abgesehen von Satellitenüberwachung und dem Tracking von Schiffen hängt gerade dieser Teil der Ostsee voller Mikrofone, und sei es zur Überwachung der Schweinswale. Auch aus akustischen Aufzeichnungen an verschiedenen Orten lassen sich Standorte und Bewegungsmuster triangulieren.
Die nächste Nebelgranate nennt sich Altlasten. Die Tatsache, dass am Boden der Ostsee noch reichlich Munitionsreste aus den Weltkriegen lauern, wird erwähnt, um dann anfügen zu können, dass mehrere Länder entlang der Ostsee Tauchmannschaften besitzen, die diese Überreste räumen können, und um das Ablenkungsmanöver damit zu krönen, dass Russland einen Ostseehafen besitzt und kleine, leise U-Boote.
Es ist schon raffiniert gemacht. Natürlich ist Russland nicht der einzige Besitzer von kleinen, leisen U-Booten; auch die Bundesmarine besitzt welche, sogar die Schweden. Und selbstverständlich besitzen auch die Briten und die USA U-Boote, ebenso wie Kampftaucher, auch wenn diese nichts mit der Altlastenräumung in der Ostsee zu tun haben. Die New York Times erwähnt aber nur russische U-Boote, dann, dass Polen und die Ukraine Russland beschuldigten und ein schwedischer Geheimdienstler dies ebenso tat. Wer erinnert sich da schon noch an diesen Tweet von Radosław Sikorski mit “Danke, USA”?
Immerhin, nachdem ausgiebig mit dem Finger auf nur einen der möglichen Verdächtigen gezeigt wird, erwähnt dann selbst die New York Times , dass die Nord Stream AG gerade untersucht, was eine Reparatur kosten würde, und dass es doch nicht ganz zusammenpasse, etwas erst zu sprengen und dann reparieren zu wollen.
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Damit ist aber die Verpflichtung zu journalistischer Ehrlichkeit schon abgehandelt, und im weiteren Fortgang kann die Wirklichkeit wieder ein wenig korrigiert werden. Nord Stream 1, so wird noch einigermaßen korrekt erzählt, sei von Deutschland und Russland geplant worden, weil die Deutschen das billige russische Gas und die Russen die Ukraine umgehen wollten. In Wirklichkeit wollte Deutschland die Ukraine mindestens ebenso sehr umgehen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die dortigen Regierungen den Gastransit gern zu Erpressungen und Diebstahl nutzen. Das wird natürlich nicht erwähnt; Russland und die Ukraine hatten nur “eine schwierige Beziehung”. Alle anderen in Europa seien dagegen gewesen. Die New York Times erinnert dabei sogar an einen polnischen Verteidigungsminister, der 2006 Nord Stream 1 mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt verglich.
Dann wird aber neue Geschichte erfunden. “Bald nach Inbetriebnahme von Nord Stream 1 bemühte sich der Kreml um einen weiteren Satz Röhren.” Das ist nun eine völlige Verkehrung der Tatsachen. Wenn jemand mit dem Bau von Nord Stream 2 machtpolitische Pläne verband, dann war das die Bundesregierung; das Ziel war, selbst möglichst große Kontrolle über die Gaslieferungen nach Europa zu erlangen. Wie attraktiv diese Rolle ist, kann man gerade daran sehen, mit welcher Freude jetzt Recep Tayyip Erdoğan eine ähnliche Position für die Türkei sichert.
Dass die Ukraine sich durch Nord Stream 2 bedroht fühlte, muss nicht wundern; schließlich wären die Transitgebühren als Einnahmen endgültig entfallen. Aber die Vorgeschichte beider Nord-Stream-Pipelines ist noch ein wenig länger – ehe die Planungen für Nord Stream 1 begannen, hatte ein Konsortium identischer Zusammensetzung der Ukraine angeboten, die dortige Pipeline, die ihre erwartbare Lebensdauer bereits hinter sich hat und zunehmend leck wird, zu modernisieren.
Die ukrainische Regierung hatte das damals abgelehnt, weil sie keine russische Beteiligung in dem Konsortium gewollt hatte; nicht, weil das am Ablauf oder den technischen Gegebenheiten irgendetwas geändert hätte, sondern entweder aus reiner Russophobie oder, das legt solches Verhalten nahe, um die Möglichkeit weiteren Diebstahls nicht zu verlieren. Das Scheitern dieser Verhandlungen führte zum Bau von Nord Stream 1.
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Diese Information ist nicht so gut verborgen, dass die New York Times sie nicht hätte finden können. Sie wollte sie nicht finden, oder zumindest nicht an ihre Leser weiterreichen. Dabei hätte es die Ehrlichkeit den Lesern gegenüber geboten, zumindest darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung der Ukrainer wie der Polen schlicht auf Eigeninteresse beruht. Die Ukrainer wollten gern die Transitgebühren behalten, und die Polen hätten gerne welche eingenommen; eine Gaspipeline über polnisches Gebiet, die entsprechend entgolten werden müsste und Polen die Möglichkeit gegeben hätte, womöglich beide ungeliebte Nachbarn unter Druck setzen zu können, wäre jederzeit willkommen gewesen.
Wie auch immer, es folgen wieder einmal drei wahre Sätze: “Den Pipelines fehlte es also nicht an Gegnern. Aber die Sabotage eines Kernelements der Energieinfrastruktur könnte als ein Akt des Krieges gesehen werden. Hätte ein Mitglied der EU oder der NATO sie ausgeführt, hätte das bedeutende Konsequenzen und würde das Vertrauen in die zwei wichtigsten westlichen Partnerschaften erschüttern.” Wie praktisch, dass Großbritannien wie die USA nur Mitglieder der NATO sind … Immerhin, es steht zum ersten Mal ausgeschrieben in einem westlichen Mainstream-Blatt: “Die Sabotage könnte als ein Akt des Krieges gesehen werden.” Was die Deutschen schon stutzen lassen sollte, warum ihre Bundesregierung so herzlich wenig Interesse daran hat, zu wissen, wer ihr denn da den Krieg erklärt hat.
Die New York Times schwenkt natürlich wieder auf Russland. Es wird erwähnt, dass die Ukraine davon profitiert hat, dass die beiden Pipelines ausgeschaltet wurden; aber nicht, dass noch ein weiteres Land weit gewaltiger davon profitiert: das Land, in dem die New York Times erscheint, das, in dessen Interesse dieser Artikel geschrieben ist, die Vereinigten Staaten.
“Die Explosion nutzt Russland nicht direkt. Es muss weiter Transitgebühren an die Ukraine zahlen, es kann das Versprechen billigen Gases nicht nutzen, um Deutschland von seinen europäischen Verbündeten zu lösen, und es steht vor gesalzenen Reparaturkosten. Aber die Sabotage stellt so gut wie sicher, dass die Gaspreise für die Europäer bis in den Frühling unangenehm hoch bleiben. Und sie schafft einen Anreiz für die EU-Länder, die Ukraine zu einem schnell ausverhandelten Ende zu drängen, weil der Krieg die Landpipelines bedroht, die Gas nach Westen leiten.”
Diese Wendung ist nun wirklich dreist. Vom industriell-militärischen Komplex einmal abgesehen, haben die Europäer nichts von diesem Krieg in der Ukraine. Weder die Millionen Flüchtlinge, die untergebracht und versorgt werden müssen, noch die mindestens 100.000 toten Ukrainer bringen den Westeuropäern irgendeinen Nutzen; vom tröpfchenweisen Erwerb überteuerten US-Flüssiggases ganz zu schweigen. Folgten die EU-Staaten auch nur ansatzweise den Interessen ihrer Bürger, sie würden jeden Cent an Kiew von der sofortigen, bedingungslosen Aufnahme von Verhandlungen abhängig machen.
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Bei jeder nüchternen Betrachtung der Entwicklung seit vergangenem Februar kann man nur einen wirklichen Nutznießer einer fortgesetzten Auseinandersetzung sehen: die Vereinigten Staaten. Allein die Spekulation bei den Energiepreisen dürfte unzählige Milliarden in die Kassen von Hedgefonds und ähnlichen Finanzinstitutionen gespült haben; dazu noch die Rüstungsverträge, die Spekulation auf Getreide, der Druck auf die europäische Industrie, die Produktion in die USA zu verlagern … Nein, es gibt keinen, ganz sicher keinen einzigen Grund, der die USA motiviert haben könnte, die Pipelines anzugreifen.
Die beste Überwachung in dem Gebiet, sollen laut New York Times Sicherheitsexperten behaupten, erfolge durch russische Akustiksensoren. Wie bereits erwähnt, in der Nähe der Zentrale des dänischen Militärgeheimdienstes kann man das durchaus in Zweifel ziehen. “Es ist sehr faszinierend, aber sehr komplex”, darf zum Abschluss ein Herr Engelbrekt von einer schwedischen Militäruniversität raunen. “Und es ist sehr schwierig, anzufangen, Handelnde und Motive auszuschließen, ohne Zugang zu einigen dieser Daten zu haben.”
Das sagt also ein Schwede, dessen eigene Regierung eine Untersuchung der Explosion auf ihrem Staatsgebiet abgeschlossen, aber nicht veröffentlicht hat. Alles so unklar hier. Aber alles, was die New York Times in diesem Nebel, den sie selbst verursacht hat, erkennen kann, deutet auf Russland. New York ist eben eine Stadt in den Vereinigten Staaten.
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