Meinung Geistiges Ringen, moralisches Argument – ein US-Marine über den russischen Einsatz in der Ukraine
Mit der uneingeschränkten Selbstbestimmung will sich die ukrainische Führung einen Freibrief verschaffen, um mehrere der eingegangenen Verpflichtungen nicht umsetzen zu müssen. Welche Kiewer Ziele in Moskau zu Verärgerung und schließlich zu einem offenen Widerstand führten, lässt sich an der ukrainischen Politik der letzten acht Jahre ablesen. Dies bestanden darin,
– den neutralen Status aufzugeben und die Aufrüstung zu forcieren,
– eine Mitgliedschaft in der NATO anzustreben und ihr später die Möglichkeit zu geben, Militärbasen entlang der russischen Grenze zu errichten,
– Ultranationalisten und Nazi-Sympathisanten unbehelligt agieren zu lassen,
– historische Ereignisse gemäß einer antirussischen Agenda umzuinterpretieren,
– Russland-freundliche politische Kräfte einzudämmen,
– die russische Sprache und Kultur zu unterdrücken,
– eine Autonomie des Donbass zu verhindern,
– den Donbass und die Krim notfalls mit Gewalt zu übernehmen.
Dass es sich vornehmlich um diese Ziele handelt, für die Soldaten an der Front kämpfen und Zivilisten Entbehrungen und Zerstörungen erleiden, ist der ukrainischen Bevölkerung nur begrenzt bewusst. Reinhard Merkel dürfte die Kiewer Absichten dagegen kennen, blendet sie jedoch in seinen Betrachtungen aus. Dies erscheint deshalb unverständlich, weil sie zweifellos einen Einfluss auf das Leidensniveau haben, das den Bürgern unter Bedingungen eines Militärkonflikts zugemutet werden kann. Je schwieriger es ist, den Kriegsgrund zu verstehen und zu akzeptieren, desto geringer ist die Opferbereitschaft.
Die Bedeutung des militärischen Kräfteverhältnisses
Ebenso wenig nachvollziehbar ist, dass Merkel dem zu erwartenden Ausgang der kriegerischen Handlungen keine Bedeutung beimisst. Die Bereitwilligkeit, Entbehrungen in Kauf zu nehmen, steigt mit der Überzeugung, einen bewaffneten Konflikt gewinnen zu können. Dies erfordert entweder eine militärische Überlegenheit oder die Möglichkeit, einen Guerillakrieg mit überschaubaren eigenen Verlusten zu führen.
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Tatsächlich ist die Ukraine nicht das einzige Land, auf dessen Staatsgebiet sich ausländische Armeeeinheiten befinden. Guantánamo Bay auf Kuba ist die älteste genutzte US-Militärbasis in Übersee. Panama erhielt die Kanalzone erst, nachdem eine proamerikanische Regierung an die Macht gelangt war. Palästina ist weiterhin von Israel besetzt, und auf syrischem Territorium befindet sich – entgegen dem erklärten Willen der Regierung – gleichzeitig US-amerikanisches, türkisches und israelisches Militär. Jedoch keiner dieser Staaten entschließt sich zum offenen Kampf gegen die illegal stationierten Einheiten. Der Grund ist simpel: Es würden massive Gegenschläge drohen, und ein militärischer Sieg wäre von vornherein ausgeschlossen.
Im Fall der Ukraine sieht derzeit kein seriöser Militärexperte das Land auf der Siegerstraße. Die militärische Überlegenheit Russlands ist erdrückend, und daran werden auch die geplanten Lieferungen schweren Geräts aus dem Westen nichts ändern. Wenn westliche Politiker unter diesen Umständen für weitere Waffenlieferungen votieren, provozieren sie bewusst eine Fortsetzung der Kampfhandlungen. Die Behauptung, die Verhandlungsposition der Ukraine stärken zu wollen, erweist sich angesichts der militärischen Konstellation als Augenwischerei. Ehrlicher war Annalena Baerbock mit der Ankündigung, Russland ruinieren zu wollen. Damit gesteht sie aber ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der ukrainischen Bevölkerung ein. Dass die realen Chancen für einen Waffenstillstand, die Ende März bestanden, durch Intervention des Westens zerstört wurden, macht sein Verhalten besonders verwerflich.
Verhandeln heißt nicht Kapitulieren
Reinhard Merkel betont schließlich, dass Verhandeln nicht Kapitulieren bedeutet. Die Ukraine kann ihre Rechtsposition beibehalten, wenn sie auch akzeptieren muss, dass Teile ihres Territoriums unter Kontrolle der Russischen Föderation verbleiben. Zur Krim hat er eine besondere Sichtweise, weil “aus der ehedem rechtswidrigen Okkupation (…) der stabile Zustand einer befriedeten Ordnung entstanden” ist. Deren Eroberung durch Kiew ist für ihn inakzeptabel, und er fordert westliche Politiker auf, mit solchen Plänen die Unterstützung zu versagen. Besonders an dieser Position stoßen sich die meisten Kritiker, wie dem Vorspann der Veröffentlichung bei Karenia zu entnehmen ist.
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Zusammenfassend ist zu sagen, dass Merkel sich davor zu hüten scheint, “heiße Eisen” anzufassen. Seine Überlegungen, die von einem ethischen Standpunkt ausgehend die Leiden der Zivilbevölkerung und die Verantwortung der Regierung in den Fokus rücken, verdienen dennoch Anerkennung. Allerdings kann aus seinen Ausführungen der falsche Schluss gezogen werden, dass die Haltung zu einem bewaffneten Widerstand allein vom Umfang der Opfer abhängt. Daher erscheint es unverzichtbar, zusätzlich die Ziele und die Erfolgsaussichten der attackierten Konfliktpartei wie auch die Interessen des Kontrahenten zu berücksichtigen. Im Fall der Ukraine würden diese Kenntnisse Merkels Position, dass Kiew eine baldige Verhandlungslösung anstreben müsse, allemal stützen.
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