Meinung
Nach dem Anschlag auf Nord Stream: Wozu noch demonstrieren?
Nord Stream 2 wurde bereits während der gesamten Bauphase angegriffen – und zwar ganz offen. Bereits im Februar versuchten polnische Schiffe aktiv, das Verlegeschiff Fortuna an der Fertigstellung von Nord Stream 2 zu hindern. Die Rohre wurden südlich von – Sie ahnen es – Bornholm verlegt.
Die NATO war ihrerseits sehr aktiv im Bereich der Unterwasserdrohnen. Die Amerikaner haben Zugang zu norwegischen Langstrecken-Unterwasserdrohnen, die mit anderen Designs modifiziert werden können. Alternativ könnten auch professionelle Marinetaucher für die Sabotage eingesetzt worden sein – auch wenn die Gezeitenströmungen um Bornholm ein ernst zu nehmendes Problem sind.
Das große Bild zeigt den kollektiven Westen in absoluter Panik, mit transatlantischen “Eliten”, die zu allem bereit sind – ungeheuerliche Lügen, Attentate, Terrorismus, Sabotage, Finanzkrieg, Unterstützung von Neonazis –, um ihren Abstieg in einen geopolitischen und geoökonomischen Abgrund zu verhindern.
Die Abschaltung der Nord Stream-Pipelines bedeutet die unwiderrufliche Beendigung jeder Möglichkeit eines deutsch-russischen Abkommens über Gaslieferungen, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass Deutschland auf den niedrigen Status eines absoluten US-Vasallen zurückgestuft wird.
Damit sind wir bei der entscheidenden Frage angelangt, welcher westliche Geheimdienstapparat die Sabotage geplant hat. Die Hauptkandidaten sind natürlich die CIA und der MI6 – wobei Polen als Sündenbock aufgestellt wurde und Dänemark eine sehr zweifelhafte Rolle spielt: Es ist unmöglich, dass Kopenhagen nicht zumindest über die Absichten “informiert” wurde.
Schon im April 2021 stellten die Russen Fragen über die militärische Sicherheit von Nord Stream.
Der entscheidende Punkt ist, dass wir möglicherweise mit dem Fall eines EU- und NATO-Mitglieds konfrontiert sind, das an einem Sabotageakt gegen die wichtigste EU-Wirtschaft beteiligt ist. Das ist ein Casus Belli. Abgesehen von der erschreckenden Mittelmäßigkeit und Feigheit der derzeitigen Regierung in Berlin ist es klar, dass der BND – der deutsche Geheimdienst – sowie die deutsche Marine und informierte Industrielle früher oder später die Rechnung aufmachen werden.
Dies war keineswegs ein isolierter Anschlag. Am 22. September gab es einen Anschlag auf TurkStream durch Kiewer Saboteure. Am Tag zuvor wurden auf der Krim Marinedrohnen mit englischsprachigen Kennungen gefunden, die vermutlich Teil des Komplotts waren. Hinzu kommen US-Hubschrauber, die vor Wochen die künftigen Sabotageknotenpunkte überflogen, ein britisches “Forschungsschiff”, das seit Mitte September in dänischen Gewässern herumlungert, und ein Tweet der NATO über die Erprobung “neuer unbemannter Systeme auf See” am Tag der Sabotage.
Zeig mir das (Gas-)Geld
Der dänische Verteidigungsminister traf sich am Mittwoch in einer Dringlichkeitssitzung mit dem NATO-Generalsekretär. Schließlich ereigneten sich die Explosionen ganz in der Nähe der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) Dänemarks. Das kann man bestenfalls als krudes Kabuki bezeichnen, denn genau am selben Tag hat die Europäische Kommission, de facto das politische Büro der NATO, ihr Markenzeichen vorangetrieben: weitere Sanktionen gegen Russland, einschließlich der nachweislich gescheiterten Deckelung der Ölpreise.
Unterdessen werden die Energieriesen der EU durch die Sabotage große Verluste erleiden.
Auf der Liste stehen die deutschen Unternehmen Wintershall Dea AG und PEG/E.ON, die niederländische N.V. Nederlandse Gasunie und die französische ENGIE. Dann gibt es noch diejenigen, die Nord Stream 2 finanziert haben: wieder Wintershall Dea sowie Uniper, die österreichische OMV, wieder ENGIE und die britisch-niederländische Shell. Wintershall Dea und ENGIE sind sowohl Miteigentümer als auch Gläubiger. Ihre wütenden Aktionäre werden ernsthafte Antworten von einer ernsthaften Untersuchung erwarten.
Und es kommt noch schlimmer: An der Front des Pipeline-Terrors gibt es keine Hindernisse mehr. Russland wird nicht nur wegen TurkStream, sondern auch wegen Power of Siberia in höchster Alarmbereitschaft sein. Das Gleiche gilt für die Chinesen und ihr Labyrinth von Pipelines, die in Xinjiang ankommen.
Unabhängig von der Methodik und den Akteuren, die in die Sache verwickelt waren, ist dies die – vorweggenommene – Rache für die unvermeidliche kollektive Niederlage des Westens in der Ukraine. Und eine grobe Warnung an den globalen Süden, dass sie es wieder tun werden. Doch Aktion erzeugt immer Reaktion: Von nun an könnten auch mit US-amerikanischen und britischen Pipelines in internationalen Gewässern “komische Dinge” passieren.
“Putin ließ Nord Stream schon beim Bau verminen” – Bild kassiert Shitstorm auf Twitter
Die EU-Oligarchie hat mit Lichtgeschwindigkeit ein fortgeschrittenes Stadium des Zerfalls erreicht. Das Zeitfenster, in dem sie zumindest versuchen konnte, eine Rolle als strategisch autonomer geopolitischer Akteur zu spielen, hat sich nun geschlossen.
Die Eurokraten befinden sich nun in einer ernsten Zwickmühle. Sobald klar ist, wer die Täter der Sabotage in der Ostsee sind, und sobald sie die tiefgreifenden sozioökonomischen Folgen für die Bürger der gesamten EU verstehen, wird das Kabuki aufhören müssen. Dazu gehört auch die bereits laufende, äußerst lächerliche Nebenhandlung, dass Russland seine eigene Pipeline in die Luft gesprengt hat, obwohl Gazprom einfach die Ventile für immer hätte abdrehen können.
Und es kommt noch schlimmer: Gazprom droht, das ukrainische Energieunternehmen Naftogaz wegen unbezahlter Rechnungen zu verklagen. Dies würde dazu führen, dass kein russisches Gas mehr durch die Ukraine in die EU geleitet wird.
Als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, ist Deutschland vertraglich verpflichtet, bis 2030 jährlich mindestens 40 Milliarden Kubikmeter russisches Gas abzunehmen.
Einfach nein sagen? Das können sie nicht: Gazprom hat einen Rechtsanspruch darauf, auch ohne Gaslieferungen bezahlt zu werden. Das ist der Sinn eines langfristigen Vertrags. Und das passiert jetzt schon: Wegen der Sanktionen bekommt Berlin nicht das ganze Gas, das es braucht, muss aber trotzdem zahlen.
Alle Teufel sind da
Jetzt wird schmerzlich deutlich, dass die imperialen Samthandschuhe ausgezogen sind, wenn es um die US-Vasallen geht. Unabhängigkeit der EU: verboten. Zusammenarbeit mit China: verboten. Unabhängige Handelsverbindungen mit Asien: verboten. Der einzige Platz für die EU ist die wirtschaftliche Unterwerfung unter die USA: eine geschmacklose Neuauflage der Jahre 1945 bis 1955. Mit einer perversen neoliberalen Wendung: Wir werden eure industriellen Kapazitäten besitzen, und ihr werdet nichts haben.
Die Sabotage von Nord Stream 1 und Nord Stream 2 ist Teil des imperialen feuchten Traums, die eurasische Landmasse in tausend Teile zu zerlegen, um eine transeurasische Konsolidierung zwischen Deutschland (stellvertretend für die EU), Russland und China zu verhindern: ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 50 Billionen Dollar auf der Grundlage der Kaufkraftparität (KKP) im Vergleich zu 20 Billionen Dollar in den USA.
Wir müssen auf den Geographen Mackinder zurückkommen: Die Kontrolle über die eurasische Landmasse bedeutet die Kontrolle über die Welt. Die amerikanischen Eliten und ihre trojanischen Pferde in Europa werden alles tun, um ihre Kontrolle nicht aufzugeben.
Die “amerikanischen Eliten” umfassen in diesem Zusammenhang die gestörte, von Strausschen Neokonservativen verseuchte “Geheimdienstgemeinschaft” und die großen Energie-, Pharma- und Finanzkonzerne, die sie bezahlen und die nicht nur vom “Endlosen Kriegs”-Ansatz des Tiefen Staates profitieren, sondern auch mit dem in Davos ausgeheckten “Great Reset” ein Vermögen machen wollen.
Die Raging Twenties (2020er) begannen mit einem Mord – an General Soleimani. Die Sprengung von Pipelines ist Teil der Fortsetzung. Bis zum Jahr 2030 wird es einen “Highway to hell” geben. Doch um es mit Shakespeare zu sagen: Die Hölle ist definitiv leer, und alle (transatlantischen) Teufel sind hier.
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