Meinung
Historiker Alexander Rahr: Russen sind über deutsche Anmaßung verärgert
Am 26. Mai veröffentlichte der Leiter des Verlages “Russische Schweiz” Alexander Peske sein Interview mit dem russischen Nahost-Experten und Wissenschaftler Ewgenij Satanowskij. Satanowskij gilt in regierungsnahen Medien wegen seinem breiten Allgemeinwissen und rhetorischen Geschick als gefragter Kommentator für alle politische Fragen. In den 2000er Jahren war Satanowskij drei Jahre Präsident des jüdischen Kongresses. In den von ihm moderierten Radiosendungen kommt er immer wieder auf seine jüdischen Wurzeln und den daraus resultierenden Hass auf den Nazismus zu sprechen. Im Interview mit Peske machte der Politkommentator eine aufsehenerregende Aussage zum Verhältnis der Russen zu Deutschland, die danach auf zahlreichen Telegram-Kanälen verbreitet wurde.
“Abgesehen von Putin gibt es im Moment nichts, was den Instinkt des größten Teils der Bevölkerung des Landes, in dem ich lebe, bremsen könnte, dass es kein Deutschland mehr geben wird. Und dass, wenn nötig, alle Länder in Europa, die jetzt Waffen an die Ukraine liefern, in einen flachen, leicht geschmolzenen Ort verwandelt werden sollten. Den Menschen wird jede Möglichkeit gegeben, in Frieden zu leben. Und dann liefern sie Waffen in die Ukraine, die unsere Leute töten sollen? Die Ukraine ist unsere Familienangelegenheit, keine europäische Angelegenheit”
Die große Hoffnung für Europa und Amerika, überhaupt eine Zukunft zu haben, sei ihm zufolge “seltsamerweise” Putin, der der “prowestlichste” russischer Politiker sei. Seine Nachfolger würden nicht die gleichen Zwänge, Verpflichtungen und “Sympathie für dieses Deutschland” haben wie er.
“Die überwältigende Mehrheit derjenigen, die seine Nachfolge antreten, wird nichts anderes als das grausame Gefühl der Demütigung, der auf die Spitze getriebenen Feindseligkeit und der Erkenntnis haben, dass es auf der anderen Seite der Grenze einen Feind gibt. Und ein Feind, der noch nicht erledigt wurde und der erledigt werden muss”, schloss Satanowskij.
Ob es stimmen könnte, dass derart antideutsche Stimmungen in Russland nun tatsächlich mehrheitsfähig sind, fragten wir den führenden russischen Deutschland-Experten und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexander Kamkin. Er konnte die Wut des ehemaligen Vertreters der russischen Juden nachvollziehen. “Satanowski hat gewissermaßen Recht. Viele in Russland verstehen nicht, warum der Westen und insbesondere Deutschland, wo Rechtsradikale von der Politik, den Medien und der Zivilgesellschaft verfolgt werden, in Bezug auf die Neonazis in der Ukraine auf dem rechten Auge blind sind”, sagte der Experte. Die Fackelzüge der Bandera-Anhänger fänden in der Ukraine seit vielen Jahren statt und die deutschen Medien hätten sie weder erörtert noch kritisiert. “Das gleiche gilt fürs Erwachen des Neonazismus in den baltischen Staaten”.
“Die Unterstützung der Nazis in der Ukraine – lassen wir uns im Klartext reden – hat in der russischen Gesellschaft diese Phantomwunden des Großen Vaterländischen Krieges erweckt und historische Vorurteile gegenüber Deutschland wiederbelebt”, so Kamkin.
Am 13. Mai berichtete RT DE über die Aussagen von Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin, die er in einer Radiosendung tätigte. So nannte er Scholz’ Worte, dass Deutschland gezwungen sei, der Ukraine Waffen zu liefern, “völlig flegelhaft”. “Wir dachten, dass es eine Entnazifizierung Deutschlands und der ganzen nazistisch-faschistischen Achse gegeben hat”, merkte Rogozin an und führte weiter aus: “Wir vergeben alles, und jetzt spucken die uns ins Gesicht, deren Großeltern unser Land einst ausraubten und mordeten”.
Der Politikwissenschaftler Kamkin stimmte Satanowskij auch in seiner Einschätzung zu, dass Wladimir Putin ein prowestlicher Politiker sei. Ein Traum von Wladimir Putin sei, eine stabile und strategische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland.
“Aber da das heutige Deutschland ein Vasallenstaat der USA ist, kann man von einer strategischen Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Russen leider nicht reden. Deutschland bleibt im Fahrwasser des großen Bruders in Washington”
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“Es wird Nacht über Deutschland, aber ich will mich dieser Dunkelheit nicht beugen” – Ein Abschied
Als “Point of no return” in den deutsch-russischen Beziehungen nannte Kamkin den Beschuss der Bundesregierung, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Er merkte auch an, dass die Panzerfahrzeuge und sonstige Waffensysteme, die Deutschland bislang geliefert hat oder nun liefern will, veraltet seien. Auch hält er Deutschland für nicht selbständig genug, um allein über solche Fragen entscheiden zu können. “Man muss aber sagen, dass Deutschland erpresst wurde und die Zögerlichkeit von Olaf Scholz wurde vielfach kritisiert von vielen anderen NATO-Staaten, insbesondere der Angel-Sachsen”. Er hob auch die Rolle der transatlantisch ausgerichteten deutschen Medien bei der Entfachung der anti-russischen Hysterie hervor, während die deutsche Bevölkerung für sich genommen keinen Krieg gegen Russland wünsche.
Im Laufe des Gesprächs nannte der russische Deutschlandexperte die Presse, die gegen Russland, prorussische Politiker oder europäische Souveränisten wie Marie Le Pen oder Gerhard Schröder hetzt, “Medienterroristen”. Deutschland sei ihm zufolge ein “Vasallenstaat”, der im Fahrwasser der US-Politik bleiben muss, während die USA selbst ein “Schurkenstaat” seien, “der eigentlich wie ein Bandit in der Weltpolitik spielt”.
Auf die Frage, ob er zustimmen könne, dass in dieser neuen Phase des hybriden Krieges mit dem Westen in Russland, bei ihm und vielen anderen Experten die rhetorischen Dämme gebrochen sind und sie die diplomatische Ausdruckweise abgelegt haben, antwortete Kamkin mit einem klaren “Ja”.
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