Meinung Der 24. Februar 2022 – Aufbruch zu einer Neuordnung der Welt
Die Klagelieder aus Warschau ziehen aber auch in alle europäischen Salons. So hat in Brüssel, in der ersten Februarwoche, auch der polnische Botschafter bei der EU, Andrzej Sadoś, mit Beschwerden um sich geworfen: “Warum arbeitet die EU nicht seit einem Monat am 10. Sanktionspaket?” – sprich, seit Neujahr.
Die EU hat es letztendlich dann knapp geschafft, das 10. Paket zum ersten Jahrestag des Beginns der militärischen Spezialoperation Russlands in der Ukraine das Licht der Welt erblicken zu lassen. Die letzten Schritte dessen wurden aber begleitet von ständigen Mahnungen der Polen, dass wenn das neueste Sanktionspaket “zu lasch” ausfällt, die Polen ihr historisch bewährtes Veto einwerfen würden. Der mittlerweile anerkannte und leicht beobachtbare Bumerangeffekt interessiert Warschau natürlich nicht: umso “weniger lasch” die Sanktionen gegen Russland, umso viel schlimmer die eigentlichen Folgen für Europa selbst.
Wären demnach die Sanktionen wahrlich zu lasch ausgefallen, würden wohl wieder die Deutschen von Wildsteins obiger Deutungsschablone als die “russophilen” Unruhestifter und Saboteure erfasst werden. Dabei haben die letzten drei Sanktionspakete bereits die Schmerzgrenzen Europas spürbar angetastet – und zwar nicht nur die Deutschlands. Selbst mit der neuesten Einigung geht es der polnischen Führung alles zu langsam und die Dringlichkeit vervielfacht sich mit den mageren Aussichten für einen militärischen Sieg Kiews. Wenn das so weiter geht, platzt den Polen bald der Kragen.
So auch dem polnischen Staatsoberhaupt Andrzej Duda. Dieser hatte Anfang Februar bei einem Besuch in Lettland Folgendes zum Thema Russland erläutert:
“Wenn ich ‘Russkiy mir’ höre, sehe ich Armut, Elend, Versklavung, Gesindel. Und was normalerweise durch Nieten oder Bolzen verbunden sein sollte, ist durch Schnur oder Draht verbunden. […] Was Russland in letzter Zeit getan hat, zeigte dem Rest der Welt, dass alle Geschichten über das Ende der Geschichte und alle Geschichten über einen ein für alle Mal gegebenen Frieden und Ruhe, insbesondere in Europa, ein absolutes Hirngespinst waren.”
Der Präsident erklärte des Weiteren, dass zwischen Polen und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite ein eiserner Vorhang “bis zu den Wolken” errichtet werden soll. Fernab jeglicher Präferenzen für den Ausgang des Ukraine-Krieges hat Duda sicherlich vollkommen recht. Ein solcher “Eiserner Vorhang”, wie ihn damals auch Winston Churchill 1946 – am Vorabend zum Kalten Krieg – in die Existenz sprach, wird sicher errichtet. Wo genau – gemeint ist, entlang welcher geografischen Gebiete – ist noch offen. Aber durch die geplante Lieferung von Langstreckenraketen durch den Wertewesten an das Kiew-Regime kann sich Warschau sicher sein, dass Wladimir Putins Anmerkungen dazu – nämlich, dass dann die “ukrainische Pufferzone” dementsprechend um viele Dutzend Kilometer weiter nach Westen verschoben werden muss – sehr ernst gemeint sind.
Eine Bombe – unmöglich zu entschärfen
Das Ego polnischer Machteliten wird von den USA regelmäßig mit Lob weiter aufgepustet. Im Hinblick auf die geleistete Hilfe an die Ukraine hatte kürzlich der US-Botschafter in Polen, Mark Francis Brzezinski, noch einmal unterstrichen, dass die polnische Regierung und die polnische Bevölkerung die allererste war, die reagiert hat. Brzezinski ist der Sohn des 2017 verstorbenen US-Sicherheitsberaters und einer der geopolitischen US-Architekten für den heutigen Ukraine-Krieg, Zbigniew Kazimierz Brzeziński. Für den Flüchtlingsstrom westwärts hat der Mann mit seiner Beobachtung jedenfalls vollkommen recht. Die polnische Gesellschaft war tatsächlich den geflüchteten Ukrainern unglaublich zuvorkommend, hilfsbereit, selbstaufopfernd und solidarisch gegenüber.
EU-Staaten können sich nicht auf neue Russland-Sanktionen einigen
Umso härter werden die Folgen sein für die bisher nicht aufgearbeitete, gemeinsame polnisch-ukrainische Geschichte.
Mittlerweile wird die polnische Zivilgesellschaft nämlich immer öfter aufmerksam auf die kulturell-historischen Änderungen, die durch die Anwesenheit ukrainischer Geflüchteter innerhalb Polens auftreten. So hatte kürzlich die unabhängige, konservative, NATO- und EU-skeptische Myśl Polska in einem Kommentar analysiert, wie viele der zugereisten Ukrainer ihr Nazi-Vermächtnis mit ins Gastland hineingetragen haben. Das jüngste Beispiel ist das eines viral gegangenen Fotos, das ein Schulkind in der polnischen Stadt Poznań zeigt. Auf der Jacke des Jungen ist klar eine Flagge zu erkennen, die die “Ukrainische Aufständische Armee” (UPA) und die “Organisation Ukrainischer Nationalisten” (OUN) darstellt. Die Taten beider Organisation, die während des Zweiten Weltkrieges an polnischen Zivilisten begangen worden sind, gehören zu den schlimmsten dieser Zeit.
Selbst deutsche Nazis sollen damals von der blutrünstigen Vorgehensweise der faschistischen UPA und OUN gegen die polnische Bevölkerung schockiert gewesen sein. Diese Geschichte haben die Polen und die Ukrainer vollkommen verpasst aufzuarbeiten. Ganz im Gegenteil, die Symbole und das Gedankengut wird mit steigender Tendenz in Polen sichtbar und trägt zu einer Neuevaluierung der Situation bei. Der Autor vermutet, dass die überaus großzügige und verschwenderische polnische Hilfe, die den Ukrainern zuteilgeworden ist, in vielen Zugereisten eine dreiste, undankbare Attitüde hervorbrachte. Von den Millionen, die gekommen sind, seien viele Tausende “aggressive Nationalisten”, die “Polen, polnische Menschen und alles Polnische hassen”.
Die derzeitige PiS-Regierung in Polen hat aber einiges an Mühe auf sich genommen, einen Diskurs in diese Richtung zu meiden. Denn ein solcher wird nicht nur proaktiv nicht unterstützt – nein, es ist den Polen verboten, dieser Art Geschichtsaufarbeitung in der heutigen Zeit, wo der Feind ganz woanders sein soll, nachzugehen.
Schmerzhafte und traumatische, historische Wahrheit dieser Größenordnung durch staatliche Verordnung tief zu vergraben und ihre Enthüllung künstlich hinauszuzögern, führt später nur zu einer umso stärkeren Detonation innerhalb der Zivilgesellschaft. Die Warschauer Führung hat allem Anschein nach diese Detonation vorsätzlich in Planung, auf die man im Innern tüchtig hinarbeitet. Gleichzeitig wird selbstgefällig eine Zweifronten-Konfrontation – mit “dem größten Feind Europas” in Berlin und dem “ewigen Russen” in Moskau – verfolgt, erzwungen und begierig heraufbeschwört. Was könnte da noch schiefgehen?
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