Quelle: Gettyimages.ru © Tom Williams Der CEO von TikTok Shou Zi Chew während der Anhörung des Energie- und Handelsausschuss des Kongresses am 23. März 2023.
Eine Analyse von Timur Fomenko
Während die Vereinigten Staaten erwägen, TikTok zu verbieten, beschuldigen sie Peking, die beliebte chinesische Social-Media-Anwendung als Mittel zur Spionage zu verwenden, und behaupten, dass die Kommunistische Partei Chinas Zugriff auf die Daten ihrer Nutzer hat.
Ironischerweise ist Washington selbst bekannt dafür, genau das zu tun, was US-Politiker nun China vorwerfen. Die USA nutzen den einzigartigen Vorteil, die Gerichtsbarkeit über die besten Internetunternehmen zu haben, und haben sich das Recht eingeräumt, die private Kommunikation ausländischer Bürger überall auf der Welt einzusehen. Kombiniert man diesen Datenaustausch zwischen den Geheimdiensten der USA und ihren Verbündeten, steht man dem umfassendsten Spionagenetzwerk der Welt gegenüber.
Meinung Gefährlich beliebte Datenkrake: Wie die Social-Media-App TikTok Nutzer ausspioniert
Während amerikanische Politiker und Medien ständig über ihre Angst vor chinesischer Spionage sprechen, sollte die nahezu fehlende Berichterstattung über Washingtons eigene Spionagebemühungen uns daran erinnern, wo die wahre Macht liegt. Was die zwielichtigen Machenschaften von CIA und NSA betrifft, erfährt die Öffentlichkeit meist erst Jahre später aus freigegebenen Dokumenten – oder in seltenen Fällen über einen Edward Snowden –, was sie “die ganze Zeit getrieben” haben, während Diskussionen und Spekulationen darüber, was sie “möglicherweise gerade treiben”, tendenziell als Verschwörungstheorien abgetan werden. Umgekehrt werden Vorwürfe chinesischer Spionageaktivitäten trotz des Mangels an handfesten Beweisen in der Öffentlichkeit ständig als “wir alle wissen genau, dass sie es tun” erklärt.
Diese Warnzeichen erinnern uns daran, dass die kryptischste Quelle aller Spionage auf der Welt nicht China, sondern die USA sind. Seit dem Zweiten Weltkrieg unterhalten die USA zusammen mit Australien, Kanada, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich ein weltweites Spionagenetzwerk, das als “Five Eyes” – die fünf Augen – bekannt ist und im Zeitalter der Massenkommunikation so konzipiert wurde, dass jede Regierung ihre eigenen Gesetze zum Datenschutz und gerichtliche Einschränkungen umgehen kann, um die Bürger des jeweils anderen Partners auszuspionieren. Diese Informationen werden dann innerhalb der Gruppe zur Verfügung gestellt. Wie von Snowden enthüllt, haben sie dafür bereits eine Reihe von Abhör- und Überwachungsprogramme entwickelt: PRISM, ECHELON, XKEYSCORE, usw.
Durchgesickertes Dokument enthüllt, welche Messenger die meisten Daten an das FBI senden
Natürlich haben die USA fast ein Monopol über die Mittel zur Informations- und Datensammlung –, definitiv mehr als jedes andere Land. Dies liegt daran, dass sie das Privileg haben, die weltweit dominierenden Internetunternehmen wie Google, Microsoft, Twitter und Meta auf seinem eigenen Hoheitsgebiet zu haben. Diese Unternehmen sind gesetzlich verpflichtet, Daten an die US-Regierung und Behörden weiterzugeben, falls diese es verlangen. Aber die USA sind sogar noch weiter gegangen, wie die Washington Post im Jahr 2020 enthüllte: Die CIA hatte heimlich eine Schweizer Firma für Kryptografie erworben und dies dafür genutzt, um deren Verschlüsselungsmaschinen zu manipulieren, damit alle ausspioniert werden konnten, die sie benutzten.
Im Zuge ihres umfassenden Spionageregimes haben die USA Freund und Feind gleichermaßen im Auge behalten. Dazu gehörte das Abhören der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Koordinierung mit den Geheimdiensten anderer Länder, um kommerzielle Interessen zu untergraben, wie im Fall von Dänemark und dem Eurofighter-Programm. Die Liste könnte endlos weitergeführt werden.
Und dennoch sind amerikanische Gesetzgeber der Meinung, dass man sich vor TikTok fürchten sollte, während sie sich darauf vorbereiten, Abschnitt 702 des Foreign Intelligence Surveillance Act FISA (Gesetz über ausländische Geheimdienstüberwachung) erneut zu genehmigen, der es US-Geheimdiensten ermöglicht, ohne Gerichtsbeschluss Telefone und Online-Kommunikation ausländischer Bürger auszuspionieren. Abschnitt 702 des Gesetzes wurde 2008 legalisiert und muss alle paar Jahre erneuert werden, um nicht unter eine Verfallsklausel zu fallen. Der Kongress verlängerte es 2012 und erneut 2018, und es gibt wenig Grund zu der Annahme, dass dies vor der nächsten Frist, die für Dezember dieses Jahres angesetzt ist, nicht erneut geschehen wird.
Anteile verkaufen oder US-Verbot: US-Regierung stellt TikTok-Mutterkonzern ByteDance Ultimatum
Das eigentliche Problem, das Washington mit TikTok hat, ist nicht die angebliche Spionage zugunsten Pekings. Es ist die Tatsache, dass TikTok das erste globale soziale Netzwerk dieser Größenordnung ist, das nicht unter US-Kontrolle steht – und daher nicht von den USA als Werkzeug für seine eigene Spionage benutzt werden kann. Dies schwächt das von den USA aufgebaute globale Überwachungssystem, was möglicherweise die Hauptmotivation hinter Washingtons Besessenheit ist, die Kontrolle über die “Zukunft des Internets” aus Pekings Händen zu halten. Es ist mehr als eine Frage von Spionage – es ist eine Frage der Hegemonie, und als solche ist es eine reine Projektion aus Washington, wenn es Alarm schlägt über die angeblichen Verletzungen der Privatsphäre durch TikTok.
Derzeit verfügen die USA über ein konkurrenzloses digitales Spionagenetzwerk und sind die größte Einzelbedrohung für die Privatsphäre des Einzelnen im Internet. Wenn große Internetunternehmen nicht im Besitz oder unter der Kontrolle Washingtons oder seiner engsten Verbündeten stehen, wird die Privatsphäre von Einzelpersonen auf der ganzen Welt erhöht, nicht verringert. Die USA haben sich nie dafür entschuldigt oder offen darüber gesprochen, wie sie die Kommunikation von Milliarden von Menschen überwachen. Selbst wenn man China misstrauisch gegenübersteht, wie können Washingtons Behauptungen über TikTok und die Motive hinter dem zunehmenden Druck auf die Social-Media-Plattform für bare Münze genommen werden?
Source