Kunstobjekte im Nationalmuseum Lwow warten am 7. März 2022 auf ihren Abtransport Dan Kitwood / Gettyimages.ru
Wie The Art Newspaper im Mai 2022 berichtete, “handelt es sich bei den 86 sichergestellten antiken Metallarbeiten um Anhängerkreuze aus dem 11. bis 14 Jahrhundert. Auch Scheibenanhänger mit einem Kreuz aus einer ähnlichen Zeit, die den Einfluss des Christentums zeigen, sind Teil des Fundes”. Laut der Zeitung konnten die Kunstgegenstände “nicht identifiziert” werden. Trotzdem habe man die Entscheidung getroffen, sie an das Nationale Historische Museum der Ukraine in Kiew zurückzugeben. Allerdings erst später. Vorerst werden sie im Britischen Museum in London ausgestellt und in Großbritannien so lange festgehalten, “bis sie aus logistischer Sicht sicher in die Ukraine zurückgebracht werden können”. Was passiert mit der wertvollen Sammlung, falls dies in absehbarer Zeit nicht der Fall sein wird? Darüber schweigt man.
Selbstverständlich haben die Kriegshandlungen die Situation der Unterschlagung des ukrainischen Kunstbesitzes verschlimmert.
Ende März 2022 tauchte in den sozialen Medien das folgende Augenzeugenvideo auf. Laut Beschreibung handele es sich um ein Museum in Kiew, aus dem Kultur- und Kunstgegenstände “unter dem Vorwand, es vor Kriegshandlungen zu retten”, entfernt wurden.
Das Schicksal der aus diesem Museum “evakuierten” Museumsstücke ist unbekannt.
Es ist auch nicht bekannt, was mit den Sammlungsbeständen der meisten Museen in Kriegsgebieten wie Mariupol geschehen ist. Laut Rossijskaja Gaseta existiert das kulturelle und historische Erbe von Mariupol praktisch nicht mehr. “Von den 60.000 einzigartigen Museumsraritäten haben nur wenige überlebt”, heißt es. Natalija Kapustnikowa, Leiterin des Heimatmuseums von Mariupol, sagte der Zeitung:
“Bevor die russischen Truppen kamen, wurden im Museum Teile des nationalistischen Asow-Regiments stationiert. Sie stahlen alles, was sie für wertvoll hielten. Ein Säbel aus der Zeit des Bürgerkriegs verschwand, während ein Fragment eines kumanischen Säbels aus dem 11. Jahrhundert glücklicherweise verblieb, weil die Verbrecher seine Einzigartigkeit und seinen Wert nicht erkannten. Auf dem Rückzug warfen sie Molotowcocktails auf das Museum und setzten das Gebäude in Brand. Was nicht durch das Feuer zerstört wurde, wurde von Plünderern gestohlen.”
Das Schicksal des Kuindschi-Kunstmuseums in Mariupol ist noch trauriger, denn es wurde vollständig zerstört. Medienberichten zufolge konnten einige Exponate jedoch gerettet werden. Zum Beispiel Werke von Archip Kuindschi und Iwan Aiwasowski. Kuindschis Skizze des Gemäldes “Roter Sonnenuntergang” wurde von der Museumsleiterin gerettet und in einem Haus versteckt, schrieb die ostukrainische Online-Zeitung Odna Rodina . Der geschätzte Wert des Kunstwerks beträgt fast 690.000 Euro. Aktuell befindet sich das Gemälde im Metropolitan Museum in New York. Der Zeitung zufolge sei auch ein einzigartiges Porträt von Archip Kuindschi erhalten geblieben. Eines der letzten Porträts, die zu Lebzeiten des Künstlers entstanden seien. Die geborgenen Exponate wurden nach Donezk geschickt, wo sie protokolliert und restauriert werden sollen.
“Bewahrt für die Nachkriegszeit” ?
“Bewahrt für die Nachkriegszeit” – so elegant betitelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Artikel über die Ausstellung der geschmuggelten ukrainischen Kunstgegenstände im Britischen Museum, die natürlich als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine gesehen wird.
Es fällt jedoch auf: Neben den Solidaritätsbekundungen europäischer Kulturschaffender und Politiker gibt es keine wirkliche Unterstützung für den Erhalt des Kulturerbes der Ukraine. The Art Newspaper hat zum Beispiel in Erfahrung gebracht, dass das Land von Großbritannien kein Geld für den Kulturschutz bekommen hat.
Wie die Zeitung schrieb, habe der Kulturschutzfonds der britischen Regierung im laufenden Haushaltsjahr keine Mittel für Soforthilfe an die Ukraine bereitgestellt. Obwohl “der Fonds im März 60.000 Pfund für die Ukraine bereitstellen konnte, wurde im laufenden Haushaltsjahr kein Geld zur Verfügung gestellt, wenngleich die tragische und weit verbreitete Zerstörung von historischen Gebäuden und Museen unvermindert anhält”.
Unterdessen bereitet sich Europa auf eine Flut illegaler Kunst aus der Ukraine vor.
März 2022: Leergeräumte Ausstellungshallen im Nationalmuseum in Lwow Dan Kitwood / Gettyimages.ru
Wie The Art Newspaper berichtete, hat Interpol bereits über 200 ukrainische Kunstwerke auf seine mobile Anwendung ID-Art hochgeladen. Von jedem Werk sei “bekannt, dass es entweder vor oder während des Krieges illegal aus der Ukraine geschmuggelt wurde”. Und beim International Council of Museums (ICOM) sei man dabei, eine sogenannte “Rote Liste” für die Ukraine zu erstellen. Der Schwerpunkt der ICOM-Arbeit ist das Vorgehen gegen den illegalen Kunsthandel. Die Roten Listen, die über Krisengebiete erstellt werden, enthalten Objekte, die besonders gefährdet sind. Sie sollen den Strafverfolgungs- und Zollbehörden sowie Sammlern und Händlern helfen, illegal auf den Markt gebrachte Objekte schneller zu identifizieren.
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Nach Angaben von The Art Newspaper , nehme die Erstellung einer solchen Liste in der Regel etwa ein Jahr in Anspruch. Für die Ukraine werde sie in wenigen Monaten erstellt und das Verzeichnis an die Strafverfolgungsbehörden übergeben. “Wir sagen den Sammlern: ‘Halten Sie die Augen offen und seien Sie vorsichtig'”, so Sophie Delepierre, Leiterin des Bereichs Denkmalschutz bei ICOM gegenüber der Zeitung.
Einige Museumssammlungen will die ukrainische Regierung sogar offiziell an Europa übergeben. Wie die Nachrichtenagentur TASS Ende Mai berichtete, hätten sich ukrainische Behörden bereit erklärt, dem spanischen Nationalmuseum Prado Kunstwerke zur Aufbewahrung zu überlassen. Igor Schowkwa, stellvertretender Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, sagte laut TASS :
“Mehrere unserer Museen sind zerstört worden und einige Kunstwerke haben wir gerettet. Es wäre gut, wenn diese Kunstwerke im Prado-Museum oder in anderen europäischen Museen aufbewahrt werden könnten.”
Da der Ausgang des Konflikts in der Ukraine jedoch nicht vorhersehbar ist, könnte dies dazu führen, dass Kunstobjekte einem jahrelangen Rechtsstreit unterliegen und nie wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Wird die Ukraine also zu einem “Selbstbedienungsladen unter freiem Himmel”? Oder ist sie bereits zu einem geworden?
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