“Auf scharfe Fragen hätte es scharfe Abfuhr gegeben”: Peskow erläutert Details zu Carlson-Interview
Als “langjähriger Moskau-Korrespondent” sollte er die erforderlichen Fakten eigentlich im Kopf haben, weil die Lektüre von ein, zwei Büchern über russische Geschichte die Voraussetzung für diese Tätigkeit sein sollte. Wäre dem so, und wäre Putins Darstellung tatsächlich falsch gewesen, hätte er ja mühelos ein, zwei Punkte in seinem Kommentar erwähnen und damit seine eigene Ablehnung begründen können. Er reiht lieber eine Behauptung an die andere.
Aber nun zu Dunning-Kruger. Eine zentrale Aussage, die von Osten zu Putins Ausführungen macht, lautet:
“An sämtliche getätigten Aussagen von ihm muss man sowieso ein großes Fragezeichen setzen.”
Nun, wenn man sich die Mühe macht, Putins Reden und die tatsächliche russische Politik zu beobachten, über einige Jahre hinweg, fällt einem auf, dass Aussagen und Handlungen zueinander passen, und die Aussagen in der Regel um Einiges konkreter sind, als man es derzeit von westlichen Politikern gewohnt ist, die sich gerne in Sprechblasen und Wertegeschwalle ergehen.
Natürlich könnte es sein, dass von Osten nur um das Verständnis jener buhlt, die ungerne Informationen aufnehmen und am Liebsten vom Nachdenken verschont bleiben. Dass er nur die Botschaft weitergeben will, Fragen, die sich aufdrängen, zu ignorieren und die eigene Neugier zu zügeln. Dass all seine Formulierungen, wie, “Putins Geschichtsmonolog dürfte eher abschrecken” oder “Wer will sich schon mit der mittelalterlichen Geschichte auf dem Territorium der Ukraine im Detail beschäftigen?” nur den Eindruck vermitteln sollen, er sei so, wie er seine Zuschauer darstellt.
Der letzte Satz könnte sogar ein Hinweis in diese Richtung sein, schließlich hat er es nicht über sich gebracht, von einer “mittelalterlichen Geschichte der Ukraine” zu schreiben, also immerhin noch Hemmungen, völligen Unfug zu formulieren. Aber der ganze Text hat so einen gewissen Tonfall: Unwissenheit ist Stärke.
Die eine Seite der Haltung, die von Osten geradezu begrüßt, lautet, doch bitte nicht mit Fakten belästigt zu werden. Welch ein Abstieg für die Tagesschau, deren satzungsgemäßer Auftrag wäre, den Bürgern des Landes dabei zu helfen, selbst ein informiertes Urteil zu fällen, und nicht, ihnen ein Urteil vorzubeten! Welch ein Armutszeugnis für das Land, dass derartige Kommentare in einem bedeutenden Medium möglich sind!
Aber es gibt eben noch eine zweite Seite. Von Osten schreibt so, als wäre ein Verweis auf die Geschichte grundsätzlich verdächtig. Als wäre Argumentation verdächtig. Und das ist der Moment, in dem Dunning-Kruger zuschlägt. Paradox, wie üblich.
Weil die grundlos Selbstsicheren eben ihr eigenes Handeln nicht in Frage stellen, nicht gegenüber einer inneren Instanz begründen müssen, verstehen sie jene nicht, die für jedes Handeln nachvollziehbare Gründe brauchen. Es gibt nur eine Ausnahmesituation, in der auch sie, gezwungenermaßen und entsprechend ungern, sich Argumente zurechtlegen – wenn sie etwas angestellt haben, das gravierend genug ist, dass sich ihr Gewissen meldet.
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Nun, es gibt Menschen, denen bereitet das Denken Vergnügen, und es gibt solche, denen es Schmerzen zu bereiten scheint. Oder Angst. Oder es fehlten die geistigen Erfolgserlebnisse. Oder sie sind schlicht nicht dafür gerüstet. Auf jeden Fall resultiert dies in einem tiefen, beständigen Misstrauen gegenüber allen, die ihnen zu schlau scheinen.
Es ist im Grunde eine kindliche Sicht, weil die eigene Erfahrung einfach auf andere übertragen wird. Weil sie selbst nur dann über Gründe nachdenken, warum sie etwas tun wollen oder getan haben, wenn sie sich vor Strafe retten wollen, gehen sie davon aus, dass das bei anderen ebenso sein muss; dass also eine logische, klare, überzeugende Begründung des Handelns gleichsam Schuld schon voraussetzt. Und je klarer die Begründung ist, desto heimtückischer ist die eigentliche Absicht oder desto verwerflicher die begangene Verfehlung. Jede Argumentation erweckt bei ihnen den Eindruck verborgener Motive, weil die einzige Argumentation, mit der sie wirklich vertraut sind, die Ausrede ist.
Das ist eine kognitive Falle, denn das Bemühen um eine Vermittlung der Wahrheit erzeugt einen Eindruck der Lüge. Ein Punkt, von dem aus man sich in ganz andere Gefilde bewegen könnte. Etwa, ob die in vielen unterschiedlichen Religionen und Kulturen vorzufindenden Techniken der Gewissensbefragung nicht ein Trick sind, um auch jene, die an einem Mangel an Selbstzweifeln leiden, gewissermaßen durch Übung an die Grundlagen des Gedankenaustauschs heranzuführen, und der Verzicht auf jede Variante der Selbstrechtfertigung, wie er die aktuelle westliche Kultur prägt, am Ende zu einem Triumph der Dummheit führt. Und zwar nicht nur, weil die ungeheure Selbstsicherheit, die mit ihr einhergeht, schwer zu übertreffen ist, sondern auch, weil gerade das vernünftige, klar begründete Handeln einen wahren Abgrund an Verdächtigung auslöst.
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Was natürlich dadurch, dass jeder Mensch mit einer Intelligenz oberhalb des Durchschnitts schnell lernt sich äußerlich anzupassen, noch gefördert wird, weil das simple Motiv, dadurch Aggressionen der Dümmeren zu entrinnen, von diesen nicht wahrgenommen wird. Wenn es keine kulturelle Vorgabe gibt, die den Verstand begrüßt und fördert, entsteht eine sich selbst verstärkende Schleife aus Zurückweisung und Verdächtigung.
Allerdings ist die Nutzung eines solchen Mechanismus für Zwecke der Propaganda alles andere als unschuldig. Und auch in den Beschimpfungen, die mittlerweile all jenen gewidmet werden, die an falscher Stelle zu viel oder womöglich überhaupt nachdenken – Russlandversteher, Putintrolle, Querdenker und dergleichen – steckt dasselbe Misstrauen mit denselben Wurzeln wie gegenüber dem dämonisierten russischen Präsidenten selbst. Der schon alleine deshalb die ideale Projektionsfläche für all diese paradoxen Empfindungen ist, weil er gar keinen Grund hat, sich dümmer zu geben als er ist (etwas, was er im Interview selbst sogar den beiden US-Präsidenten Bush attestierte). Und weil er natürlich als ein Politiker, der seinen Wählern gegenüber rechenschaftspflichtig ist (ja, so etwas gibt es, Herr Scholz), sein Handeln in jedem Punkt begründen kann.
Was auf der Skala der Ausreden-Denker geradezu die Apotheose des Bösen sein muss. Und denjenigen, der versucht, die emotionalisierte Propaganda zu durchbrechen, die täglich aus den Hauptmedien rinnt, vor ein geradezu unlösbares Problem stellt. Denn emotionale Überwältigung lässt sich nur mit Vernunft wirklich durchbrechen; aber wenn Vernunft auf das Ausreden-Problem des Dunning-Kruger-Effekts trifft, löst sie eine entgegengesetzte Wirkung aus, sie kann die Propaganda nicht mehr entwaffnen, sondern verstärkt sie noch.
Was eine Erklärung dafür liefern könnte, warum die Wahrnehmung der Welt in unterschiedlichen Teilen der deutschen Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt, aber weder einen Ansatz bietet, das Dilemma der Aufklärung zu lösen, noch, eine Kultur des Arguments wiederherzustellen. Denn dafür bräuchte es eine Gesellschaft, in der Verstand und Vernunft mehr zählen als Willfährigkeit und Reichtum; und nie war Deutschland davon weiter entfernt als heute.
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