Meinung Läuft gerade eine große Kampagne für ein AfD-Verbot?
Gar nicht mehr wahrgenommen wird der komplette Austausch der Vorstellungen in Bezug auf Recht, Strafe und Resozialisierung. Wer heute einen Vorwurf daraus bastelt, dass AfD-Politiker Frau Malsack-Winkemann in der Haft besuchen, der ist auch der Überzeugung, dass jeder Kontakt zu den Gefangenen der RAF hätte abgebrochen werden müssen, dass jede Unterstützung, jede Demonstration, jede Erklärung falsch war. Und gleichzeitig wird zu erkennen gegeben, dass die Grundüberzeugung, das Ziel des staatlichen Handelns in der Justiz dürfe nicht Strafe und Vergeltung, sondern müsse Resozialisierung sein, nicht mehr gilt – zumindest nicht, wenn die Betroffenen nicht einer Personengruppe angehören, die man gerade für besonders schützenswert hält.
So ist das aber mit Prinzipien – man hält sich an sie, auch wenn sie einem gerade nicht gefallen, oder sie sind keine Prinzipien. Selbst wenn die wilden Vorwürfe der Rollator-Putsch-Geschichte allesamt wahr wären, wenn die Treffen dieser Rentnergruppe eine konkrete, fassbare Bedrohung für die staatliche Macht gewesen wären, wäre es immer noch ein Gebot der Menschlichkeit, Kontakte zuzulassen, und nicht gegenüber allen, die sie kennen, die Erwartung zu hegen, alle Kontakte abzubrechen. Wie, bitte, soll unter derartigen Bedingungen so etwas wie eine Resozialisierung gelingen? Seit wann ist soziale Isolation ein erkenntnisfördernder Zustand? Oder meinen all jene, die jetzt aus einer Besucherliste einer Untersuchungshaftanstalt den nächsten Skandal stricken, sie würden selbst jederzeit an die Stelle der bisherigen Besucher treten, um damit sicherzustellen, dass einzig die vermeintlich gefährliche politische Verbindung unterbunden wird, aber nicht der soziale Kontakt?
Natürlich nicht, denn Kontaktverweigerung, Isolation war ja schon bei den Ungeimpften das Mittel der Wahl. Auch das setzt ein gerüttelt Maß Arroganz voraus, als gäbe es keine schlimmere Strafe, als mit ihnen keinen Kontakt mehr zu haben. Aber von der eigenen Verweigerung bis zur Konstruktion eines Vorwurfs daraus, dass andere sie nicht nachvollziehen, ist schon noch ein Stück zurückzulegen.
Es gibt ja seit einigen Jahren bereits, aus den Ecken des grünen Geheimdienstes, den Vorwurf der Kontaktschuld, sobald sich jemand mit der falschen Person auch nur ablichten lässt. Was jetzt unauffällig in dieser Geschichte verpackt und etabliert wird, ist, dass selbst langjährige Kontakte abzubrechen sind, sofern eine Seite plötzlich als verdächtig gesehen wird. Wir reden hier immerhin von einer ehemaligen Bundestagsabgeordneten und ihren Kollegen, die schließlich über Jahre hinweg mit ihr in Fraktionssitzungen saßen, in der Kantine aßen und anderweitig zusammengearbeitet haben. Ist das jetzt das Maß der Menschlichkeit, auf Verfehlungen, auch auf bisher nur vermutete, mit einem Ende derartiger Beziehungen zu reagieren?
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Man würde sich jemanden wünschen, der ihnen allen, die Tagesschau eingeschlossen, auch nur das Ding mit dem Glashaus und den Steinen erklärt. Ich will nicht einmal so weit gehen, kulturelle Traditionen vorauszusetzen, die selbst in der nicht linken Variante so etwas wie Vergebung und Versöhnung kannten. Ein bisschen kategorischer Imperativ würde schon genügen.
Aber das ist nicht mehr zu haben, auch wenn es solche Prinzipien sind, die den Kern der Menschenwürde ausmachen. Mehr noch: Prinzipien, die es überhaupt ermöglichen, trotz divergierender Ansichten, Interessen und Bedürfnisse irgendwie zusammenzuleben. Denjenigen, dem man soziale Kontakte entzieht, erklärt man zum Nicht-Menschen. Die Bereitschaft, anderen das Menschsein abzusprechen, ist inzwischen ungeheuer groß geworden in Deutschland, und vorangetrieben wird das nicht von der AfD, sondern (auch) von der Tagesschau . Schämt euch.
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