Im Spiegel ist ein langer Artikel mir der Überschrift “Russischer Offizier beschuldigt eigene Truppen der Folter – ‘Ich empfinde Reue, aber es gab keine Möglichkeit zu helfen'” erschienen, in dem ein angeblicher ehemaliger russischer Soldat ausführlich über angebliche Kriegsverbrechen der russischen Armee berichtet. Er will nach eigenen Angaben Zeuge von Folter und Plünderungen durch russische Soldaten gewesen sein.
Die Geschichte hat mindestens zwei Haken: Erstens weiß ich aus eigenem Erleben, dass zumindest Teile seiner Geschichte frei erfundene Lügen sind. Zweitens verschweigt der Spiegel, dass es sich bei der Geschichte um eine international koordinierte Medienkampagne handelt.
“Er sei mit seinem Trupp zuerst nach Melitopol im Gebiet Saporischschja geschickt worden, als Nachhut. Damals, Ende Februar, sei noch in der Stadt gekämpft worden (…) In der Ukraine will er neben all der Gewalt auch Plünderungen beobachtet haben. Diese Schilderungen decken sich mit bisherigen Berichten über das Verhalten russischer Soldaten in besetzten ukrainischen Gebieten. ‘Unsere Soldaten haben schon in Melitopol jeden Ramsch aus den Häusern der Ukrainer mitgenommen, in die Fahrzeuge gestopft. Es herrschte völlige Anarchie, niemand von der Militärführung hat eingegriffen’. Andernorts hätten russische Soldaten aus einem Lager für Haushaltsartikel Windeln, Puder und Seife gestohlen, Geldautomaten und Juweliergeschäfte seien reihenweise geplündert worden.
Soldaten hätten ukrainischen Bewohnerinnen und Bewohnern Waffen vorgehalten, sie verprügelt, um ihnen ihre Autos abzunehmen. Keiner der Vorgesetzten habe etwas dazu gesagt, dass ihre Männer plötzlich zu Dutzenden mit ukrainischen Privatautos herumfuhren. ‘Das galt als normal, die Kommandeure haben selbst Fahrzeuge und Traktoren auf die Krim und nach Russland geschafft.’ Einmal hätten Soldaten zwei Toyota Land Cruiser 200 und einen Toyota Pick-up gestohlen, hätten sie mit Z-Zeichen beklebt und seien damit Rennen gefahren. Andere hätte Koi-Fische aus einem Teich in einem Garten geholt und gebraten.”
Ich war auf meiner ersten Reise in das Konfliktgebiet Mitte März 2022 einen ganzen Tag in Melitopol und konnte dabei frei mit hunderten Menschen sprechen. Dabei habe ich auch Menschen gesprochen, die gegen die russische Intervention waren und die russischen Soldaten, die zu unserem Schutz dabei waren, wüst beschimpft haben. Von Angst vor den russischen Soldaten, sie könnten jemanden für die Beschimpfungen und anti-russischen Parolen bestrafen, verhaften oder gar foltern war nichts zu sehen, im Gegenteil.