Meinung
Wahl-Boykott, Aktivismus, Nazivergleiche – Die Deutsche Welle und ihre “Werte” im Praxistest
Russland hat sich bezüglich seines deutschsprachigen Auslandssenders nach der Rückkehr zur Gestaltung desselben als klassischen in Moskau ansässigen Auslandsdienstes für Serbien als Lizenzstaat entschieden, indem das deutschsprachige Programm von RT in Serbien upgestreamt wird.
Das ist – anders als die Medienanstalt Berlin-Brandenburg es behauptet – auch keine unzulässige Umgehung der deutschen Normen. Eine Umgehung wäre es dann, wenn ein offensichtlich und ausschließlich deutscher Betreiber den Sitz formell ins Ausland verlegen würde, um in den Genuss einfacherer Lizenzierungsvorgaben in einem anderen Land zu kommen. Bei Russia Today besteht indes kein Zweifel, dass es ein deutschsprachiger Dienst eines anderen Staates ist (daraus leiten die Gegner von RT DE ja gerade dessen grundsätzliche Nichtzulassungsfähigkeit in Deutschland her). Dann wird aber nichts umgangen, sondern der ausländische Sender macht schlicht und ergreifend zulässigerweise von seinen Gestaltungsspielräumen Gebrauch. Es hätte ja auch von Anfang an auf den Versuch, einen Sender in Deutschland anzusiedeln, verzichtet werden und stattdessen ein deutschsprachiger Dienst in Moskau aufgebaut werden können. Warum die Rückkehr zu diesem für einen staatlichen Auslandssender naheliegenden, ja natürlichen Modell eine Umgehung deutscher Gesetze sein soll, ist weder mit gesundem Menschenverstand noch mit juristischer Dogmatik nachvollziehbar.
Serbische Lizenz – wer entscheidet über die Gültigkeit?
Auch wenn Deutschland nun der Meinung ist, dass Serbien die Lizenz zu Unrecht erteilt hat, kann es diese nicht einfach ignorieren und aus eigener innerstaatlicher Hoheit für unwirksam erklären. Eine erteilte Lizenz wird durch divergierende Auffassungen der Mitgliedstaaten nicht unwirksam. Vielmehr sind in dem Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen Mechanismen der Streitschlichtung festgelegt, auf die Deutschland zurückgreifen muss, um gegebenenfalls die Rücknahme der Lizenz durch Serbien zu erreichen.
Diese Mechanismen sind in den Artikeln 24, 24 a, 25 und 26 des Übereinkommens geregelt.
Der Fall, den Deutschland, konkret die innerstaatlich zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) annimmt, nämlich die missbräuchliche Erteilung der serbischen Lizenz ist explizit in Artikel 24a des Übereinkommens geregelt:
Ein Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn das Programm eines Rundfunkveranstalters vollständig oder hauptsächlich auf das Hoheitsgebiet einer Vertragspartei gerichtet ist, deren Rechtshoheit der Rundfunkveranstalter nicht unterliegt (die ‹empfangende Vertragspartei›), und wenn dieser Rundfunkveranstalter sich in der Absicht niedergelassen hat, sich den Gesetzen in den von diesem Übereinkommen erfassten Bereichen zu entziehen, die auf ihn anwendbar wären, wenn er im Hoheitsgebiet dieser anderen Vertragspartei niedergelassen wäre.
Und selbst in diesem Fall, selbst dann also, wenn die deutsche Deutung der Gestaltung von RT DE als klassischem Auslandssender zutreffend wäre, wird die serbische Lizenz nicht automatisch nichtig, wie aus dem weiteren in Art. 24a vorgesehenen Procedere unzweifelhaft hervorgeht. So müsste Deutschland vorgehen:
“Wenn eine Vertragspartei einen Rechtsmissbrauch behauptet, findet folgendes Verfahren Anwendung:
a) die betroffenen Vertragsparteien bemühen sich um eine gütliche Beilegung;
b) wenn sie innerhalb von drei Monaten zu keiner gütlichen Beilegung gelangen, legt die empfangende Vertragspartei die Angelegenheit dem Ständigen Ausschuss vor;
c) nach Anhörung der betroffenen Vertragsparteien nimmt der Ständige Ausschuss innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag, an dem ihm die Angelegenheit vorgelegt wurde, Stellung zu der Frage, ob ein Rechtsmissbrauch begangen wurde oder nicht, und notifiziert diese Stellungnahme den betroffenen Vertragsparteien .”
Statt RT DE (wem eigentlich?) das Senden zu verbieten, müsste Deutschland somit in Verhandlungen mit Serbien treten und, wenn keine Einigung möglich wird, den Ständigen Ausschuss, der auf Grundlage von Artikel 20 des Übereinkommens gebildet wird, anrufen. Nur dieser darf entscheiden, ob die serbische Lizenz rechtsmissbräuchlich ist oder nicht.
Das Übereinkommen geht aber weiter: Selbst eine Entscheidung des Ständigen Ausschusses, die Deutschland Recht gibt, macht die serbische Lizenz nicht unwirksam: Serbien muss aktiv werden und die erteilte Lizenz wieder einkassieren. Unterlässt der Balkanstaat dies, darf Deutschland nach sechs Monaten ab der Entscheidung des Ständigen Ausschusses ein Schiedsverfahren anstrengen.
Die gesamte Zeit dieses mehrstufigen Schlichtungsverfahrens bleibt die beanstandete Lizenz wirksam. Die Streitigkeiten um deren Gültigkeit muss Deutschland mit Serbien ausfechten, nicht mit einer Produktions-GmbH in Berlin-Adlershof, die nicht einmal in der Lage ist zu entscheiden, ob gesendet oder nicht gesendet wird. Den Streit um die Gültigkeit der serbischen Lizenz müssen nicht die RT DE Productions GmbH , ja nicht einmal der in Moskau ansässige tatsächliche Rundfunkveranstalter vor deutschen Gerichten austragen, sondern Deutschland und Serbien im Rahmen der im Europarat-Übereinkommen geschaffenen Verfahren.
Und der chinesische Staatssender?
Wie aber kommt es, dass der chinesische Auslandssender CGTN in Deutschland empfangen werden kann?
Analyse
“Gefahr” aus Wolgograd: Laut aktuellem Szenario bedroht Russland die Ukraine aus 400 km Entfernung
Ursprünglich war CGTN lizenziert von der britischen Medienaufsicht Ofcom und konnte daher auf Grundlage des Europäischen Übereinkommens über das grenzüberschreitende Fernsehen, auf das sich auch RT beruft, nach Deutschland senden. Ofcom entzog dem chinesischen Auslandssender die Lizenz am 4. Februar 2021. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass das Medienunternehmen, das die britische Lizenz von CGTN innehat, Star China Media Limited (SCML), “keine redaktionelle Kontrolle über seine Programme” hat. Vielmehr würde die Kommunistische Partei Chinas die redaktionellen Inhalte kontrollieren.
CGTN wandte sich daraufhin an die französische Medienaufsichtsbehörde Conseil Supérieur de l’Audiovisuel (CSA), um legalen Zugang zu europäischen Netzen zu erhalten. Die französische Regulierungsbehörde bestätigte, dass CGTN unter französischer Jurisdiktion senden darf.
Anders als häufig vermutet, hat dies jedoch nichts mit der Mitgliedschaft in der EU zu tun, sondern mit dem Vertrag, auf den sich auch Russland beruft: Das Europarats-Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen. Warum dies im Fall des chinesischen Senders problemlos akzeptiert wird, im Fall des russischen Pendants aber auf Widerstand stößt, ist Ansichtssache.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
In Vorbereitung dieses Artikels wurden mehrere amtierende und emeritierte deutsche Hochschullehrer, die als ausgewiesene Kenner des Rundfunk- und Medienrechts gelten, gebeten, zu den relevanten und in diesem Artikel besprochenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Obwohl es ein interessanter Präzedenzfall ist, der in dieser Konstellation noch nicht vorkam, bekamen wir leider keine Zusagen. Sollte sich doch noch ein Hochschullehrer finden, der den Thesen in diesem Artikel zustimmen oder widersprechen möchte, ist die Redaktion bereit, ihm die Möglichkeit dazu einzuräumen.
Source