Analyse Türkei blockiert NATO-Schiffe für Kiew und sitzt dabei standhaft auf zwei Stühlen
Selbst wenn die Fracht abgeladen worden wäre, gäbe es eine Zuständigkeit des deutschen Zolls erst in dem Moment, wenn sie den Freihafen verlässt. Das ist es, was Freihafen bedeutet: zolltechnisches Ausland. Ganz zu schweigen vom Schiff selbst, das grundsätzlich Ausland ist, außer es führe unter deutscher Flagge.
Was also ist tatsächlich der Grund, warum die AN II nach wie vor in Rostock liegt? Seit Anfang März übrigens. Stimmt die Geschichte mit dem Zoll überhaupt?
Die Aussage des Zolls soll lauten, die Ermittlungen dauerten noch an, und Details zur Ladung wurden nicht bestätigt. Was bedeutet, weder die Angabe über angereichertes Uran noch die über Birkenholz ist tatsächlich gesichert. Allerdings bleiben die Grundvoraussetzungen bezüglich der Sanktionen gleich, egal, was wirklich die Fracht dieses Schiffes ist. Sollte die AN II, wie die Vorgeschichte des Schiffs nahelegt, auf dem Weg in die USA sein und nicht beabsichtigen, Teile dieser Ladung in Antwerpen zu löschen, das auf dieser Route als möglicher Zwischenhalt auftaucht, dann geht die Fracht den deutschen Zoll schlicht gar nichts an. Außer es handelt sich um Waren, die nicht nur in der EU sanktioniert sind, sondern auch aus anderen Gründen nicht transportiert werden dürfen.
Wobei das erste Gut, das einem in diesem Zusammenhang in den Sinn kommt – illegale Waffentransporte, aus Russland in die USA –, entweder überhaupt keinen Sinn machen, oder aber irgendeine krumme Nummer der Amis wären, in die sich der deutsche Zoll sicher nicht einmischen würde. Und als Drogentransportroute wäre Sankt Petersburg-Houston sicher auch keine gute Idee. Schlicht, weil die bekanntlich gerade unglaublich entspannten und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Russland das Risiko einer Entdeckung multiplizieren dürften, da man davon ausgehen kann, dass in den USA nach jeder Möglichkeit gesucht wird, um irgendeine kriminelle Absicht zu unterstellen – was es zu einer äußerst ungeeigneten Route macht, wenn man mit der transportierten Ware ein Geschäft machen will. So in etwa geht die Liste der Güter weiter, die eine Grundlage für ein legales Eingreifen des deutschen Zolls wären: illegale Tiertransporte, Organhandel … aber Birkensperrholz?
Und sonst? Was könnte es sein, das irgendwie den deutschen Zoll in Bewegung gesetzt hat? Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die AN II etwa in den Transport von Giftmüll verwickelt gewesen sein könnte oder dergleichen; im Gegenteil, im letzten Jahr transportierte sie Rotorblätter für Windturbinen aus der Türkei nach Deutschland. Vielleicht könnte man eine große Verschwörung aus der Tatsache ableiten, dass zum 17. Januar dieses Jahres explizit ein russischer Koch für dieses Schiff gesucht wurde; aber der Schiffselektriker, der zum 25.03. seine Arbeit antreten sollte, wurde ohne eine derartige Angabe gesucht. Ansonsten finden sich in der Vergangenheit ein ukrainischer zweiter Offizier, ein litauischer erster Offizier, ein ukrainischer Chefingenieur und ein rumänischer Kapitän. Wobei das Portal Balticshipping, dem man diese Details entnehmen kann, von deutschen Eignern schreibt, nämlich der NSC Holding in Hamburg. Es handelt sich, wie an der Liste der ehemaligen Schiffsnamen zu erkennen ist, um das gleiche Schiff.
Bundeskapitän Scholz und die Strategie der Piraten
Das einzige, was klar ist: Bei der Berichterstattung wird darüber geschludert, und auch das Hauptzollamt Stralsund verhält sich eigenartig, weil es tatsächlich erklärt, die Schiffsladung unterliege “wie alle in die EU verbrachten Waren der zollamtlichen Überwachung”. Übrigens, so sehr sich der Spiegel daran ergötzt, dass da womöglich Holz beschlagnahmt werden könnte, das einem bösen russischen Oligarchen gehören könnte, aller Wahrscheinlichkeit irrt er sich auch damit. Das im Fernhandel gebräuchlichste Verfahren besteht darin, dass die Waren vor der Verschiffung vom Käufer mit einem Wechsel bezahlt werden. Will heißen, rechtlich sind sie bereits in das Eigentum des amerikanischen Empfängers übergegangen, auch wenn dieser Wechsel erst nach Eintreffen der Ware gezogen wird. Das Hauptzollamt Stralsund ärgert im Moment jedenfalls vor allem US-Amerikaner.
Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Schaden an dem Schiff so schwerwiegend ist, dass es für längere Zeit ausfällt, und der Besitzer des Birkenholzes nun versucht hat, es in Europa zu verkaufen, wo es sanktioniert ist, um sein Geld schneller wieder freizubekommen … Ja, selbst dann macht die erzählte Geschichte keinen Sinn. Denn in diesem Fall hätte der Zoll es erstens gar nicht nötig, das Schiff festzuhalten, weil es ohnehin nicht fahren könnte, und zweitens könnte er ganz entspannt darauf warten, dass die Fracht abgeladen wird, ehe er das gefährliche Birkenholz beschlagnahmt.
Allerdings ist die ganze Geschichte nicht so banal oder locker, wie sie auf den ersten Blick aussieht; es könnte sich dabei eher um eine Kleinausgabe der berüchtigten EU-Pläne handeln, eingefrorene russische Vermögen zu beschlagnahmen. Denn wenn sich deutsche Behörden anmaßen, fremde Schiffe, die Deutschland nicht an-, sondern nur daran vorbeifahren, im Falle einer Havarie in einen deutschen Hafen zu zwingen, um dort dann – und das ist der entscheidende Punkt – in die Fracht einzugreifen, dann ist das im Kern ein Akt der Piraterie. So jedenfalls dürften das viele Chartergesellschaften sehen, und daraufhin nach Möglichkeit deutsche Gewässer ganz umgehen. Es ist also auch hier das Übliche: Die Gelegenheit, irgendetwas aufzublasen, wird um jeden Preis genutzt. Ungeachtet der Tatsache, dass derartige Eingriffe weit größere wirtschaftliche Schäden auslösen können, und dass internationaler Fernhandel auf der Einhaltung der Regeln beruht, die damit preisgegeben werden. Und das von einem Land, das sehr stark auf Exporte setzt …
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