Meinung

Russland und der Westen gleichen die Weltuntergangsuhren ab

Russland und der Westen gleichen die Weltuntergangsuhren ab

Quelle: Sputnik © Grigori SyssojewSymbolbild

Von Dawid Narmanija

“Der Atombombenabwurf beendete den Krieg und ich vermute, war unvermeidbar”, sagte Japans Verteidigungsminister Fumio Kyūma im fernen Jahr 2007. Bezeichnenderweise wurde Herr Kyūma selbst 1940 in der Präfektur Nagasaki geboren. Er war keine fünf Jahre alt, als am 9. August 1945 in 60 Kilometer Entfernung von seinem Zuhause die Bombe “Fat Man” abgeworfen wurde.

Natürlich könnte die Meinung dieses hochgestellten Beamten für seine persönliche ausgegeben werden, zumal er sich selbst rechtfertigte: Er sei nur aus US-amerikanischer Sicht unvermeidbar gewesen. Doch Tokios Position in dieser Sache läuft auf ein einfaches “so hat es sich ergeben” hinaus, es sei nicht nötig, sich mit dem Alten zu befassen und nach Schuldigen zu suchen. Als wären die Bomben auf japanische Städte von sich aus abgefallen, und nicht von US-Amerikanern abgeworfen worden.

Rjabkow: US-Atomwaffen in Polen wären ein vorrangiges militärisches Ziel

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Die USA haben es selbstverständlich ebenfalls nicht eilig, Reue zu zeigen. Noch Truman antwortete auf die Sorgen Robert Oppenheimers, dass ihm und seinen Physikerkollegen “Blut an den Händen” kleben würde: “Machen Sie sich keine Sorgen, das lässt sich leicht mit Wasser abwaschen.”

Leider zeigt die Geschichte an diesem Beispiel mit gnadenloser Überzeugungskraft, dass es keine Gräueltat gibt, die nicht mit geschickter PR-Arbeit übertüncht werden könnte.

Zum Glück ist von russischer Seite – bisher, wohlgemerkt – keine Rede von einer Wiederholung dieser Erfahrung. Der Kreml kündigte lediglich Militärübungen zum Einsatz taktischer Atomwaffen an. Übrigens würden heute sowohl “Little Boy” als auch “Fat Man”, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, zu ebendieser Kategorie zählen: Die Sprengkraft jeder dieser Bomben betrug etwa 20 Kilotonnen TNT.

Diese Ankündigung sollte als Reaktion auf Versuche westlicher Länder gewertet werden, eine regulierbare Eskalation der Ukraine-Krise im Besonderen und der Beziehungen zu Moskau im Allgemeinen auszuspielen. Und derlei Versuche gab es zur Genüge: Dazu zählen sowohl Emmanuel Macrons Behauptungen über eine mögliche Entsendung französischer Truppen dem ukrainischen Militär zu Hilfe, als auch David Camerons Äußerungen über die Zulässigkeit von Angriffen auf russisches Gebiet mit britischen Waffen; Ankündigungen des polnischen Präsidenten bezüglich einer möglichen Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen auf polnischem Territorium, und sogar die jüngste Stationierung von Washingtons Mittelstreckenraketen auf den Philippinen. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg trauten sich die USA, diese Waffen außerhalb der eigenen Grenzen zu stationieren. Freilich werden sie nicht bis nach Russland reichen, doch es gibt jeden Grund zu der Annahme, dass im Falle des Fehlens eines ernsthaften Gegengewichts in Europa oder Japan genug Interessenten Manilas Beispiel folgen würden.

Russischer Botschafter: Manöver mit Atomwaffen sind Reaktion auf Aggressivität des Westens

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Russischer Botschafter: Manöver mit Atomwaffen sind Reaktion auf Aggressivität des Westens

Gerade damit erklärt sich der Wunsch des Kremls, für dieses Gegengewicht zu sorgen. In offen zugänglichen Quellen gibt es wenig Angaben zu Russlands taktischen Atomwaffen – Berichte darüber unterliegen keinen Abkommen, zu deren Erfüllung sich Moskau verpflichtet hätte. Sicher bekannt ist aber, dass sie vorrätig sind, und zwar in vielen Varianten: von Artilleriegranaten und Flugbomben bis hin zu Marschflugkörpern. Dieses “Pulver” wird gewiss trocken gehalten.

Bezeichnenderweise trug die Ankündigung der Militärübungen buchstäblich binnen weniger Stunden Früchte: Macron trat eilig mit der Erklärung an, dass Frankreich weder gegen Russland noch gegen Russen kämpfe, und sein Außenministerium begann, zu versichern, dass es keine französischen Truppen in der Ukraine gebe.

Die Politik war und bleibt die Kunst der Wahl. Diese besteht nicht nur in der Fähigkeit, die richtige Variante selbst zu wählen, sondern auch darin, den Opponenten vor das notwendige Dilemma zu stellen. Die USA und Europa vermuteten offenbar, dass sie zwischen einer garantierten Niederlage in der Ukraine und einem Versuch, das Blatt zu wenden, wählen müssten.

Doch zum Leidwesen des Westens steht er vor einer anderen Wahl. Von einem Krieg mit konventionellen Waffen gegen Russland kann keine Rede sein, “Freiwillige” müssen hier ausreichen. Deswegen wird ein vollwertiger Einmarsch ausländischer Truppen in die Ukraine zu einem Vorspiel ihrer Liquidierung mit Nuklearwaffen werden. Denn Russland wird im Falle einer Niederlage in der Ukraine viel mehr verlieren als der Westen. Gerade diese Position versucht Moskau zu vermitteln – damit sich niemand Illusionen macht.

Wenn vor einem Atomkrieg wenige Minuten verbleiben, gibt es schließlich immer noch die Möglichkeit, die Uhren abzugleichen. Möglicherweise ist es noch nicht zu spät, die Zeiger zurückzustellen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 7. Mai bei RIA Nowosti.

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