Neues Organspendergesetz: Wer zu Lebzeiten nicht widerspricht, dem dürfen Organe entnommen werden
Wie würde die heutige westliche Gesellschaft reagieren, wenn es möglich wäre, Gehirne zu transplantieren? Man kann eine ganze Menge alter Literatur finden, die sich schon mit derartigen Fragen befasst hat und ziemlich genau prognostizierte, wohin derartige Entwicklungen führen. Dabei gehören grenzenloser Individualismus und Verleugnung der eigenen Sterblichkeit untrennbar zusammen; schließlich hängen an der Wahrnehmung, dass das eigene Leben endlich ist, all diese anderen Dinge wie: Was bleibt danach?, und: Wie würde ich erinnert werden wollen, wenn das alles ist, was bleibt, und welche Konsequenzen hat das auf meine eigenen Lebensentscheidungen?
Es ist im Grunde gleich, welche Kultur man betrachtet, die Lösung für die Sterblichkeit ist immer die gesellschaftlich Erinnerung, über die Kinder oder über andere Weisen, in denen man zu einer Gesellschaft beitragen kann. Was die kultische Individualität als Befreiung erscheinen lässt, weil all die Beschränkungen, die aus dieser Orientierung auf die Erinnerung folgen, fortfallen; aber letztlich ist es, da sich ja am Faktum der Sterblichkeit nichts ändert, eine Befreiung ins Nichts (und zwar nicht im buddhistischen Sinne).
Zurück zu unserer satanistischen Sekte und dem Bericht der Cosmopolitan. Dort heißt es:
“Bei einer Demonstration im Jahr 2016 unterbrachen Mitglieder des Tempels, mit Erwachsenenwindeln und Babymasken bekleidet, einen christlichen Anti-Abtreibungsprotest mit einem BDSM-Auftritt, bei dem sie einander mit Peitschen schlugen, was nach Aussage eines Mitglieds von TST ein Kommentar zur ‘Fetischisierung des fötalen Bildes’ durch die christliche Rechte gewesen sei.”
Für diese Truppe ist das Humor, und mir fallen spontan ein paar Deutsche ein, die derzeit als Comedians durchgehen, die das ebenfalls komisch fänden. Dabei richtet sich ein derartiger “Protest” eben nicht gegen die Einschränkung weiblicher Entscheidungsfreiheit, sondern macht sich darüber lustig, Schwangerschaft überhaupt mit Leben zu verknüpfen.
Vielleicht lässt sich der Kern des Problems am Leichtesten fassen, wenn man es in die Skala von Verben übersetzt: müssen, sollen, können, dürfen, nicht dürfen. Damit ist die gesamte Spanne abgedeckt, vom einen Extrem zum anderen. Wenn man die Geschichte der Abtreibungsdebatte betrachtet, begann sie damit, dass Frauen Kinder kriegen müssen, gleich, ob sie wollen oder sie aufziehen können. Die Pille tauchte erst auf dem deutschen Markt auf, als ich bereits geboren war. Inzwischen nähert sich die deutsche Gesellschaft, ebenso wie Teile der US-amerikanischen, längst dem anderen Extrem, dem nicht dürfen.
Moralische Entscheidungsfreiheit existiert aber nur im Zwischenbereich, zwischen sollen und dürfen, und die woke Szenerie behandelt alle derartigen Fragen nicht weniger als endgültig entschieden, wie dies einst die alleinseligmachende Kirche tat. Das, was eigentlich sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft das Entscheidende wäre, jenes zerbrechliche, mühsam zu erringende Gleichgewicht zwischen dem eigenen Wollen in der Gegenwart und dem Streben nach der kollektiven Erinnerung, geht in beiden Fällen gleichermaßen verloren.
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Eines aber zeichnet den extremen Individualismus aus, was ihn bezogen auf die Gesellschaft so destruktiv macht – nachdem der Bezug zur Gesellschaft gekappt ist und nur noch das eigene Leben von Bedeutung ist, ist der Weg frei für eine extreme Feindseligkeit gegenüber anderen. Das ist es, was diese Geschichte von der satanistischen Abtreibungsklinik so symbolisch macht: Wenn die Abtreibung selbst zum religiösen Ritual erklärt wird, ist es ein Akt einer Religion, die nicht mehr das Leben feiert, sondern den Tod. Die jene ganze kostbare Grauzone, in der die menschliche Ethik beheimatet ist, ausradiert, und die destruktive Seite des menschlichen Willens zum einzigen Maßstab erhebt.
Darunter liegt auch eine tiefe Ablehnung der biologischen Gleichheit. All die hundert Geschlechter sind letztlich ein Versuch, sich über den Körper, über die materielle Wirklichkeit zu erheben, die eben auch genau das ist, was alle Menschen miteinander verbindet. Ein Kult der Ungleichheit, der sich müht, einen nicht-fleischlichen Zustand zu erreichen, und das über eine Fetischisierung ausgerechnet der animalischsten Eigenschaft, der Sexualität. Als wäre es tatsächlich diese, die am Mühsamsten zu erringen ist, und nicht die wirkliche Nähe.
Wenn eine satanistische Abtreibungsklinik durch einen derartigen Artikel in den Status einer gesellschaftlich anerkennenswerten Institution erhoben wird, ist das genauso disruptiv wie Menschen, die am helllichten Tag auf allen Vieren an Hundehalsbändern durch die Straßen laufen. Es sind Akte, die zugunsten einer flüchtigen Selbsterhebung ihre Verachtung für jede Form gesellschaftlicher Vergangenheit und Zukunft, jeder Form von Kollektivität zelebrieren. Und wenn man eine konkrete, rein wirklichkeitsbezogene Definition des Bösen finden wollte – das ist sie.
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