Meinung
Der westliche Scheinriese und die Sanktionen
Nach dem Rückzug westlicher Unternehmen aus dem Land besetzten russische Unternehmen allmählich die frei gewordenen Marktnischen, so Putin weiter. Gleichzeitig dürfte die Getreideernte in diesem Jahr einen neuen Rekord in der Geschichte Russlands verzeichnen, wodurch der Inlandsbedarf des Staates gedeckt und der Export von Nahrungsmitteln gesteigert wird. Die Budgeteinnahmen von Januar bis April überstiegen dabei die Ausgaben um 2,7 Billionen Rubel.
Außergewöhnliche Unterstützung
Georgi Ostapkowitsch (Direktor des Zentrums für Konjunkturforschung am Institut für statistische Studien und Wissensökonomie an der Wirtschaftshochschule Moskau, HSE) erklärte gegenüber RT , dass in der akuten Phase der Wirtschaftsturbulenzen die Maßnahmen der Zentralbank am effektivsten gewesen seien. Zur Stabilisierung des Finanzsektors hatte die Zentralbank den Leitzins kurzzeitig auf 20 % pro Jahr angehoben, den Kapitalabfluss ins Ausland eingeschränkt und ein befristetes Umlaufverfahren für Bargeld im Lande eingeführt. Des Weiteren waren die Exporteure verpflichtet, 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen zu verkaufen. Ostapkowitsch sagte:
“Die Zentralbank hat mit den richtigen Maßnahmen reagiert, was eine rasche Normalisierung der Lage im Finanzsektor ermöglichte. Die Regierung konzentrierte sich indessen auf die Unterstützung der Bevölkerung. Zum Beispiel haben die Behörden bereits Zusatzzahlungen für die am wenigsten geschützten Kategorien von Bürgern genehmigt – Familien mit Kindern.”
Daneben hat das Kabinett eine Reihe von Initiativen zur Unterstützung des Geschäftslebens beschlossen. Unter anderem, so Wladimir Putin, wurde ein Programm zur Finanzierung systemrelevanter Unternehmen in Höhe von 1,6 Billionen Rubel ausgearbeitet. Einzelne Unterstützungsmaßnahmen betrafen die Luftfahrt, die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion. Parallel dazu vereinbarte die Regierung eine Stundung der Versicherungsbeiträge.
Gleichwohl, so der Präsident, bedürfe eine Reihe wirtschaftlicher Tendenzen weiterhin besonderer Aufmerksamkeit. Beispielsweise bleibe die Inlandsnachfrage immer noch unter dem Vorjahresniveau, und die Bankguthaben der Unternehmen und der Bürger seien weiter rückläufig. Putin weiter:
“Es ist offensichtlich, dass diese Faktoren einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Dynamik haben. Und solche Risiken müssen verringert werden, unter anderem gestützt auf unsere erfolgreichen Erfahrungen der gezielten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Pandemie 2020–2021. Heute wie damals ist der wichtigste Indikator für den Erfolg der Sozial- und Wirtschaftspolitik das Einkommen der Bürger Russlands.”
Nach Einschätzung von Georgi Ostapkowitsch sei unter den aktuellen Bedingungen die geplante Indexierung der Sozialleistungen dazu geeignet, die Realeinkommen der Russen zu stützen. Es sei anzunehmen, dass die Regierung in naher Zukunft zusätzlich den Mindestlohn, das Existenzminimum sowie die Sozialleistungen und Renten erhöhen werde. Eine derartige Initiative werde helfen, die Bevölkerung für den Anstieg der Verbraucherpreise teilweise zu entschädigen, meint der Experte. Und er fügte hinzu:
“Eine Indexierung – das ist die Grundlage für eine schrittweise Erholung von der Krise. Schließlich werden höhere Auszahlungen und steigende Löhne die Kauftätigkeit anregen, was die Hersteller ermutigen sollte, mehr Waren auf den Markt zu bringen.”
In mancherlei Hinsicht hat sich die Wirtschaft Russlands bereits an die Sanktionen angepasst und reagiert nun weniger empfindlich auf neue restriktive Maßnahmen. Diese Meinung vertrat Nikolai Wawilow, Experte an der Abteilung für strategische Forschung bei Total Research, in einem Gespräch mit RT. Der Analyst erklärte:
“Weitere Einschränkungen sind im Wesentlichen nur noch kosmetisch. Bislang ist das Hauptproblem die Einfuhr von Warengruppen, die in Russland nicht produziert werden. Zuallererst geht es um den Technologiesektor. Doch die Legalisierung von Parallelimporten und die Kooperation mit China könnten uns hier helfen.”
Analyse
“À la guerre comme à la guerre”: Russland greift zu Gegenmaßnahmen
Eine ähnliche Sichtweise vertritt Georgi Ostapkowitsch. Ihm zufolge versuchten Ministerien und Unternehmen derzeit, die Logistikketten neu aufzubauen und die Versorgung mit notwendigen importierten Komponenten aus dem Osten zu organisieren. Zudem arbeiteten die Behörden verstärkt an der Importsubstitution.
Indessen wird Russland noch ein Jahr lang mit gewissen Schwierigkeiten infolge der Sanktionen zu kämpfen haben, meint Ostapkowitsch. Seiner Einschätzung nach könne die Wirtschaft des Landes nur im Falle erfolgreicher Importsubstitutionsprozesse ab der zweiten Hälfte des Jahres 2023 in die Phase des qualitativen Wachstums eintreten. Der Experte schlussfolgerte:
“Wir müssen verstehen, dass die Sanktionen nicht ewig andauern werden. Seit langem ist Russland in die Weltwirtschaft integriert, wir sind ein bedeutender Lieferant von Energieressourcen für die Weltmärkte. Damit sollte man rechnen. Deshalb wird in dem Maße, wie der politische Konflikt sich entspannt, auch der Sanktionsdruck allmählich abnehmen.”
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