Quelle: www.globallookpress.com Am 8. Mai 1945 wurde im Berliner Vorort Karlshorst der endgültige Akt der bedingungslosen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands und seiner Streitkräfte unterzeichnet. Auf dem Bild: Marschall der Sowjetunion Georgi Schukow (Mitte) bei der Unterzeichnung der Erklärung.
Von Wladislaw Sankin
Die bundesdeutsche Erinnerungskultur hat sich mit dem Thema “NS-Verbrechen gegenüber der Sowjetunion” auch fast 80 Jahre nach dem Ende des Krieges nicht angefreundet. 27 Millionen Opfer, die Hälfte davon Zivilisten… Auch die aufrichtige Freude über den Sieg über den Hitler-Faschismus ist ihr wesensfremd ‒ trotz all der endlosen Hitler- und Goebbels-Dokus im Fernsehen. Der Grund dafür: Wie zu Hitlers Zeiten liegt auch heute der Feind im Osten. Denn wenn dem nicht so wäre, müsste man zusammen mit den Russen die Kapitulation Hitler-Deutschlands feiern.
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Aber das geht nicht, schließlich sind die Russen bekanntlich abstoßende, einfach unappetitliche Genossen ‒ das weiß man aus unseren Medien nur zu gut. Zu ihnen muss man Sicherheitsabstand einhalten. Zu kitschig-pompös ist ihre Erinnerung an den Krieg, zu militaristisch, zu putintreu sind sie im Allgemeinen, und alles, was sie berühren, wird sowieso zur Propaganda ‒ ein Grund für die Abneigung findet sich immer. Kratzt man bei einem politischen Bundesdeutschen ein bisschen an der Oberfläche, findet man schnell diesen abgrundtiefen Russenhass.
Dies ist zugegebenermaßen eine krude These, und sie blendet jene unserer Freunde aus, die mit uns jährlich am 9. Mai die Blumen zu Ehren der Sieger im monumentalen Treptower Park niederlegen. Allerdings haben diese ehrlichen Deutschen in Berlin kein Mitspracherecht und können die Walze des um sich greifenden Geschichtsrevisionismus nicht stoppen. Diese Walze macht nun auch vor dem Ort der Kapitulation, dem Museum Berlin-Karlshorst (vor der Umbenennung im Jahr 2022: “Deutsch-Russisches Museum”), nicht mehr Halt.
Das “Problem” mit diesem Erinnerungsort stellen die Medien wie folgt dar: Zum Trägerverein dieses Museums gehören nunmehr seit 30 Jahren Vertreter dreier russischer Ministerien, nämlich des Verteidigungs-, Außen- und Kulturministeriums. (Die deutsche Seite ist hingegen ähnlich repräsentiert, und zwar durch das Auswärtige Amt, das Bundesministerium der Verteidigung, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, den Berliner Senat und eine Reihe weiterer staatlich finanzierter Einrichtungen). Die Russen haben im Verein die Sperrminorität. Finanziert wird das Museum dabei nur aus dem deutschen Haushalt, was in dieser Konstellation nun viele als ungerecht empfinden.
Außerdem habe der zweite Vorsitzende auf russischer Seite, Wladimir Lukin, Putin durch eine Ausstellung begleitet und dessen historischen Aufsatz, wonach auch Polen Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs haben soll, ausdrücklich gelobt. Man möchte mit “Kriegstreibern” und “Vertrauten des Kremlherrschers” nichts mehr gemein haben, so die deutschen Zeitungen.
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“Die Struktur des Vereins erscheint im Lichte der jetzigen politischen Situation nicht mehr tragfähig und muss verändert werden”, sagte ein Sprecher der Kulturministerin Claudia Roth noch vor einem Jahr. “Viel zu oft” seien Mitglieder, die Moskau in den Verein entsandt habe, “Werkzeuge der russischen Propaganda”. “Wie Claudia Roth verzweifelt versucht, sich von einer russischen Altlast zu befreien”, titelte Die Welt dazu. Der Wunschkatalog dazu, was mit dem Museum künftig geschehen soll, wird, wie gewöhnlich, von einem Funktionär aus Kiew angeführt: “Das Museum Berlin-Karlshorst sollte neu definiert und umgestaltet werden.” Das Museum müsse nun vor allem “russische Propaganda” aufdecken.
Was gefällt dem Ukrainer denn nicht? Im Museum werden die Vorgeschichte und der Verlauf des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion thematisiert. Auch solche vergessenen Opfergruppen der Nazis, wie sowjetische Kriegsgefangene, geraten in den Fokus. Mit Stolz beherbergt das Museum auch eine Top-Location von welthistorischer Tragweite: Das Offizierskasino der deutschen Wehrmacht, wo vom 8. auf den 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet wurde. Heute finden im ehemaligen Festsaal zahlreiche Podiumsdiskussionen statt. All das müsse nun mal neu “geframet” werden.
Ich war in den Jahren 2016 bis 2020 häufiger Gast im Museum und führte Gespräche mit dessen Mitarbeitern. In den Gesprächen ging es auch darum, das Museum und seine Thematik im bildungspolitischen Sinne sichtbarer und bekannter zu machen. Darum hat sich das Museum nach Kräften bemüht. Seit Eskalation des Ukraine-Krieges im Februar 2022 geht es dem Museum jedoch nur darum, sich dem allgegenwärtigen antirussischen Zeitgeist anzupassen.
Es wurden die ukrainische Flagge gehisst und Statements zur Verurteilung Russlands veröffentlicht. Kontakte zu offiziellen russischen Akteuren wurden aufgekündigt, was die Arbeit des Trägervereins auch paralysierte. Stattdessen lädt das Museum “im Exil lebende Russinnen und Russen” zur Mitarbeit ein, um “propagandafreie Geschichtsaufbereitung” zu ermöglichen. “Propagandafrei” heißt, kritisch bis ablehnend zum russischen Staat und dessen Erinnerungskultur zu stehen.
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Der langjährige Museumsdirektor Dr. Jorg Morré wirft Russland den Bruch des Völkerrechts und die “Instrumentalisierung der öffentlichen Beschäftigung mit Geschichte für politische Zwecke” vor ‒ all das macht “eine Zusammenarbeit, wie sie im Museum Berlin-Karlshorst vor 30 Jahren initiiert worden war, momentan nicht möglich”. Fast wortgleich klingt auch der Vorwurf der Bundesregierung: Nicht vorstellbar sei die Zusammenarbeit, weil Russland verzerrte historische Narrative zur Legitimation des “Angriffskrieges gegen die Ukraine” anführe. Der Wissenschaftler und die Politik reden mit einer Zunge.
Doch juristisch ist es schwer möglich, die Russen aus dem Trägerverein zu “schmeißen”, wie der Merkur es formuliert. Laut seinem aktuellen Bericht soll dazu vom Kanzleramt ein Veto gekommen sein. Aber: “Die beteiligten Ressorts arbeiten derzeit daran, eine neue, dauerhaft tragfähige Lösung für den Trägerverein des Museums zu finden.”
Der Druck auf das Kanzleramt wächst. In den vorigen Jahren hat der Ex-Direktor des Museums Hohenschönhausen und glühende Antikommunist Hubertus Knabe die Medienkampagne für die Liquidierung des Museums Berlin-Karlshorst in seiner jetzigen Form angeleitet. Er bediente sich starker Sprachbilder und nannte die Situation für die Deutschen “babylonische Gefangenschaft” und “zweite Kapitulation”(!).
Nun kümmert sich der bekannteste FDP-Falke und Dauer-Talkshowgast Marie-Agnes Strack-Zimmermann um das Thema. Gegenüber der “geschundenen Ukraine” sei das Ganze unerträglich und inakzeptabel. Außerdem übermittle das Verbleiben der Russen im Trägerverein “ein fatales Signal der Schwäche” an Moskau.
Sitzend von links nach rechts: Luftwaffen-General Hans-Jürgen Stumpff, Generalfeldmarschall und Generalstabschef Wilhelm Keitel und Admiral Hans-Georg von Friedeburg von der deutschen Marine posieren vor der offiziellen Unterzeichnung der endgültigen deutschen Kapitulationsurkunde in Karlshorst AFP
Es besteht kein Zweifel, dass der “Rausschmiss” der Russen aus dem Trägerverein gravierende Auswirkungen auf die thematischen Schwerpunkte des Museums haben würde ‒ bis zur Unkenntlichkeit. Nur dank ihrer Mitarbeit konnte die Museumssammlung so angereichert werden, wie sie jetzt ist. Nun wird die Büchse der Pandora zur Umgestaltung bereits mit dem Begriff “Multiperspektivität” geöffnet: Unter diesem Dach finden im Museum auch die “konkurrierenden” historischen Narrative aus Osteuropa Platz.
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Dazu hat das Museum noch vor einem Jahr die Veranstaltungsreihe “Geschichte im Konflikt. Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg im östlichen Europa” ins Leben gerufen. Manchen dieser Narrative zufolge war der deutsche Vernichtungskrieg ein unbedeutender Gewaltexzess, die wahren Aggressoren und Besatzer aber waren und sind die Russen. Deshalb müssen auch die Denkmäler an ihre Soldaten, welche die Hitler-Deutschen unter dem höchsten Blutzoll verjagt haben, weg. Ein Foto, das die Demontage eines Sowjet-Denkmals in Litauen dokumentiert, “schmückt” vielsagend das Werbeplakat dazu.
Und was sehen wir da? Da kommt der Leiter des “Okkupationsmuseums” in Riga zu einer Podiumsdiskussion und hält einen Impulsvortrag, der die restlose Entfernung der sowjetisch und russisch geprägten Erinnerungssymbole aus dem öffentlichen Raum begründet. Er macht keinen Hehl daraus, dass Riga eine knallharte antirussisch inspirierte Geschichtspolitik verfolgt. Von anwesenden leitenden Mitarbeitern des Museums Berlin-Karlshorst muss der staatlich bezahlte Propagandist aus Lettland keinen Widerspruch fürchten.
Im Gegenteil, der “Impuls” wird aufgefangen, und neben ihm im Sessel sitzt sein Berliner Kollege Morré und sinniert darüber, ob es sich lohnt, auch in Deutschland sowjetische Denkmäler abzureißen. Einmischung der Politik, verzerrende Geschichtsbilder, revisionistische Narrative oder gar Revanchismus kann er da nicht erkennen.
In der Veranstaltungsreihe kommen auch solche verdienten Wissenschaftler wie Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller zu Wort. Sein Steckenpferd ist die Leningrader Blockade und er hat viel dafür getan, dass dieses Thema zumindest in den Medien seinen gebührenden Platz findet. Gemäß dem Themenschwerpunkt des Museums spricht er allerdings im Saal der Kapitulation am Vorabend des 80. Jahrestages des Blockadendurchbruchs nicht von den Lücken in der Erinnerungskultur im Täterland, sondern bevorzugt es, den vermeintlichen Sowjet-Kitsch der Heldenverehrung der Lächerlichkeit preiszugeben. Egal, was der Russe macht, er macht es immer falsch, er kann nicht einmal die Opfer gebührend betrauern, lautet die unterschwellige Botschaft.
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Es ist jedoch wichtig zu differenzieren. Niemand beschuldigt an dieser Stelle die Mitarbeiter des Museums Berlin-Karlshorst, russophob zu sein. Im Gegenteil. Sie leisten ehrliche Arbeit und klären über Verbrechen des deutschen Nazismus in Osteuropa sachlich korrekt auf ‒ noch. Russlandhass ist nicht die Eigenschaft eines Einzelnen, sondern ein politischer Rahmen, ein Spannungsfeld, das Tür und Tor für Geschichtsrevisionismus öffnet. Sein Motto lautet: Egal, was passiert, Russland ist immer schuld. Nicht Kiew hat Nazi-Kollaborateure auf den Schild gehoben, nein ‒ Moskau hat darauf mit “verzerrenden” Narrativen reagiert. Niemand kommt in der Bundesrepublik auf die Idee, US-Amerikaner oder Israelis infolge von Völkerrechtsbrüchen ihrer Staaten aus irgendwelchen Gremien zu “schmeißen”. Mit den Russen ist dies nicht nur möglich, es ist erwünscht. Denn, wie erwähnt, sind sie unappetitlich.
Sie heben beispielsweise, wie im Welt -Artikel beschrieben, ihre Wodkagläser in einem von ihnen angemieteten Kellerraum des Museums auf. Manche von ihnen tragen Kosakenuniformen und posten öffentlich irgendwas Unterstützendes für den notleidenden Donbass. Ein Welt -Redakteur konfrontiert den Museumsdirektor Morré mit einem Foto dieser “obskuren” Männer. “Das ist gruselig. Das darf nicht passieren”, sagt er angewidert.
Nein, Herr Morré. Gruselig ist etwas anderes. Gruselig ist, Herr Morré, wenn ein bekannter deutscher Historiker und Ex-Museumsdirektor das Verbleiben der Russen im Trägerverein Ihres Hauses als “zweite Kapitulation” der Deutschen bezeichnet. Gruselig ist Ihr Schweigen zum Ausschluss der Russen aus dem Auschwitz-Gedenken und zur Lüge Ihrer Landsfrau Ursula von der Leyen, die Alliierten und nicht die Russen hätten Auschwitz befreit.
Gruselig sind zahlreiche Vorschläge ihrer Mitbürger in der Kommentarspalte unter dem besagten Welt -Artikel, ihr Museum finanziell auszutrocknen und ganz “dichtzumachen” und “Sowjet-Gerümpel” aus dem Treptower Park und anderen Gedenkanlagen zu entfernen. Toben da nicht etwa die so vielbeschworenen “Nazis”, gegen die jetzt überall “Zeichen” gesetzt werden?! Sie warten nur auf ihre Chance, die Geschichte der eigentlich unfassbaren deutschen Verbrechen auf sowjetischem Boden vergessen zu machen, und Ihre Hilfe zur Produktion zahlreicher Hetzartikel, die den “Rauswurf der Russen” fordern, bringt sie diesem Traum ein Stück näher.
Gruselig ist auch Ihre eigene Bereitwilligkeit, Geschichtsrevisionismus und Relativismus mit Euphemismen wie “neue Perspektiven” oder “kreative Umdeutung” zu übertünchen. Und da ist der angebliche neue politische Rahmen (in Wirklichkeit ein ganz alter) keine Rechtfertigung für all diejenigen, die die Freiheit der Wissenschaft und Meinung ernst nehmen und eigentlich genug Mut aufbringen sollten, dem russophoben Zeitgeist zu trotzen. Wenn das Fundament, auf dem das Museum Berlin-Karlshorst bislang gestanden hat, durch eine Änderung in der Struktur des Trägervereins (den Rauswurf) verwässert wird, wird es von der gefährlichen Flut der Geschichtsrevision ganz weggeschwemmt. Heute steht das Wasser schon im Keller.
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