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Ein weiterer Forschungsskandal rüttelt derzeit den Wissenschaftsbetrieb auf und wirft einige unangenehme Fragen auf. Ausnahmsweise geht es diesmal nicht um die aktuell offenen Fragen zur COVID-19-Pandemie, sondern um die Alzheimer-Forschung. Der französische Forscher Sylvain Lesné soll über Jahre hinweg mehrere Studien zu dem Thema gefälscht haben. Zuvor hatte das Wissenschaftsmagazin Science ausführlich darüber berichtet.
Die wissenschaftlichen Publikationen von Lesné legten nahe, dass ein Molekül mit dem Namen Amyloid-beta*56 (Abeta*56) eine der Ursachen der Gehirnstörungen bei einer Alzheimer-Erkrankung sei. Doch mittlerweile steht nicht nur dieser Zusammenhang infrage, sondern sogar, ob das entsprechende Molekül im menschlichen Gehirn überhaupt vorkommt. Die Vorwürfe: Lesné soll zahlreiche Abbildungen, die die Existenz des Moleküls beweisen sollten, massiv manipuliert haben.
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Dabei soll er eine Methode angewandt haben, die sich am besten mit der Wirkungsweise der Software Photoshop zur Bearbeitung digitalisierter Abbildungen vergleichen lässt. So scheint Lesné seine publizierten Abbildungen aus Teilen von Fotos unterschiedlicher Experimente zusammengesetzt zu haben. Da einige Teile der Abbildungen jedoch mehrfach vorkamen und exakt gleich aussahen, flog diese Manipulation nun auf – durch eine Bildanalyse. Demnach könnten die Daten verändert worden sein, um besser zur Hypothese zu passen und die Anwesenheit von Abeta*56 vorzutäuschen.
Erstmals fälschte der Biochemiker diese Darstellungen in einer der meistzitierten Alzheimer-Studien dieses Jahrhunderts, die im Jahr 2006 im Fachmagazin Nature erschien. Doch dabei blieb es nicht: Mehr als 20 weitere seiner Publikationen sollen laut Science gefälschte Abbildungen erhalten.
Die Debatte dreht sich nun darum, inwiefern Lesné der gesamten Alzheimer-Forschung und auch den betroffenen Patienten damit geschadet hätte. Zahlreiche Experten bewerteten seine Arbeit einst als Beweis, dass die sogenannte Amyloid-Hypothese die Entstehung einer Alzheimer-Erkrankung erklärt. Diese Hypothese besagt, dass sich zunächst Protein-Moleküle im Gehirn zu sogenannten Amyloid-Plaques verklumpen und an den Nervenzellen anlagern. Im nächsten Schritt bilden sich feste Faserbündel in den Nervenzellen. Sowohl die Plaques als auch die Fasern sind giftig für die Nervenzellen, sodass diese Neuronen im Laufe der Zeit absterben. Dieser dramatische Verlust an intakten, vernetzten Neuronen wiederum führt zu den für eine Alzheimer-Erkrankung charakteristischen geistigen Defiziten.
Lesnés Publikationen waren auf dem Gebiet der Neurologie ein Vorstoß für jene Forscher, die glaubten, dass nicht die Verklumpungen, sondern bereits die Proteinschnipsel als deren Ausgangsmaterial für die Entstehung einer Alzheimer-Erkrankung verantwortlich wären. Vertreter der Amyloid-Hypothese wurden dementsprechend mit einem Großteil der weiteren Forschungsgelder ausgestattet. Die Vertreter der Hypothese leisteten auch erfolgreich Lobbyarbeit, sodass andere Ansätze kaum Förderung erhielten. So gut wie nie ging es darum, die Amyloid-Hypothese zu hinterfragen.
Weltweit investierten Universitäten und auch Pharmakonzerne Milliarden US-Dollar oder Euro in die Entwicklung von Stoffen, die die Bildung der Plaques möglicherweise verhindern könnten. Doch in den letzten Jahren machte sich Ernüchterung breit: Zwar fand man tatsächlich Substanzen, welche die Klumpen an den Nervenzellen auflösen konnten. Doch am dramatischen Krankheitsverlauf änderte sich dadurch so gut wie nichts.
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Inwiefern die Vorwürfe an Lesné die Grundlagen der Alzheimer-Forschung infrage stellen, ist Gegenstand der gegenwärtigen Debatte. So äußerte der Alzheimer-Forscher Robert Perneczky von der Universität München gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung die Ansicht, dass Lesnés Arbeiten in den letzten Jahren nicht entscheidend für die Medikamentenentwicklung gewesen seien. Viele Experten seien zudem der Meinung, dass die Amyloid-Plaques und die Faserbündel zwar eine Rolle bei Alzheimer spielen, doch die Kausalkette für die Erkrankung sei komplexer, als man früher annahm. Es gebe eine Vielzahl von Risikofaktoren:
“Dazu zählen lösliche Klumpenbestandteile, Klumpen, Faserbündel jeweils im Gehirn, diverse Genmutationen, aber auch Übergewicht, Bluthochdruck, übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen, Gehirnverletzungen, Einsamkeit, geringe Bildung und eine Depression.”
Dennoch werfen die Vorwürfe zahlreiche Fragen zum Wissenschaftsbetrieb an sich auf: Sollten sich die Nachlässigkeiten bestätigen, müssen sich auch Lesnés Vorgesetzte, aber auch die Fachverlage und die von ihnen beauftragten Gutachter fragen lassen, warum das mutmaßliche jahrelange Fälschen von Ergebnissen bis vor Kurzem niemandem aufgefallen war. Jeder derartige Skandal erschüttert den Wissenschaftsbetrieb zudem generell, denn auf diese Weise geht Vertrauen in die Wissenschaften verloren.
Auch für Personen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs ist das Thema relevant, denn falls Lesné betrogen haben sollte, handelt es sich auch um einen enormen wirtschaftlichen Schaden: Sein Betrug hätte dann Unsummen in eine falsche Richtung der Forschungsförderung gelenkt.
Bezeichnend für die heutige Zeit ist auch, dass es sogar wiederum kapitalistische Profitinteressen waren, welche die Zweifel an den Arbeiten von Lesné weckten: Laut Science stieß der Neurowissenschaftler Matthew Schrag auf die Unstimmigkeiten in Lesnés Arbeiten, als er im Auftrag eines Anwalts nach Unregelmäßigkeiten in Forschungsarbeiten für ein experimentelles Medikament mit der Bezeichnung Simufilam als Therapeutikum gegen die Alzheimer-Krankheit suchte. Bei den Mandanten des Anwalts handelte es sich um zwei prominente Neurowissenschaftler, die auch sogenannte Leerverkäufer an der Börse sind, also davon profitieren, wenn der Aktienkurs eines bestimmten Unternehmens fällt. Diese waren der Ansicht, dass die Arbeiten im Zusammenhang mit dem Medikament Simufilam “betrügerisch” gewesen sein könnten. Schrags Nachforschungen führten ihn jedoch schließlich auf die Unstimmigkeiten in den Arbeiten von Lesné.
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