Quelle: AFP © John Macdougal In die ukrainische Flagge gehüllte Frauen singen auf einer proukrainischen Kundgebung auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude in Berlin am 6. April “patriotische” Lieder, darunter auch die ukrainische Variante des weltbekannten italienischen Partisanen-Lieds “Bella Ciao”.
von Wladislaw Sankin
“Bella Ciao” kann man mit Sicherheit als das berühmteste Partisanenlied bezeichnen. Der als Liebeslied getarnte Text mit mitreißender Melodie handelt vom Kampf italienischer Partisanen in der Bergprovinz Modena gegen namentlich nicht genannte faschistische Besatzer im Zweiten Weltkrieg. Damit wurde der Song zum weltweiten Symbol des antifaschistischen Widerstands.
Doch zu oft wurde das Lied in den letzten Jahren als bloßes Party- oder Liebeslied verballhornt, auch im Deutschen. Nun sind es die Ukrainer, die das italienische Original neu “interpretieren”. So sang ein junges Mädchen, wohl noch im Schulalter, auf einer proukrainischen Kundgebung in Berlin den Refrain im Ukrainischen:
“Und unsere Leute, die Ukrainer,
haben die ganze Welt
gegen die ‘Russniaken’
vereinigt.
Und bald schon wird es
Gar keine Russniaken geben,
Und dann wird Frieden
Sein auf der ganzen Welt.”
Dem restlichen Text zufolge soll es infolge der gemeinsamen Anstrengungen der tapferen ukrainischen Kämpfer und des Westens gar keine “Russniaken” (die in der Ukraine übliche, äußerst abschätzige Bezeichnung für Russen) geben, wobei der Westen mit Waffenlieferungen, Sanktionen und freiwilligen Kämpfern helfe.
“Tod allen Russen” –Sowjetisches Ehrendenkmal in Berlin geschändet
Die Kundgebung fand im Berliner Regierungsviertel unter dem Eindruck der Ereignisse in der Kleinstadt Butscha bei Kiew am 6. April statt, als nach Abzug der russischen Truppen Dutzende männliche Leichen hauptsächlich auf einer einzigen Straße entdeckt worden waren. Auch forderten die Protestteilnehmer ein Kriegstribunal gegen Wladimir Putin und ein vollständiges Embargo gegen russische Energielieferungen. Am Ende der Aktion legten sich die Demonstranten auf den Boden, wobei sie die Augen schlossen oder die Hände auf den Rücken legten, als wären sie gefesselt. Eine abschließende und unabhängige Aufklärung der Vorgänge in Butscha steht nicht zu erwarten.
Das Singen des falschen “Bella Ciao” war also nur eine Episode einer größeren Aktion, die unbemerkt geblieben wäre, wenn der Auftritt der jungen Dame nicht zwei Tage später von russischen Telegram-Kanälen entdeckt worden wäre. Jetzt wird er auch in den deutschen sozialen Medien aktiv geteilt.
Und ja, der Auftritt hat es in sich – vor nun mal, sagen wir, sehr symbolbeladener Kulisse singt ein in die ukrainische Fahne gehülltes Mädchen, das dazu aufruft, dass Vertreter einer anderen Nation zum Zweck des Weltfriedens einfach mal eliminiert werden müssen. Dabei wird eifrig mitgesungen und zustimmend geklatscht. Haben wir Ähnliches vor ca. 80 Jahren ungefähr am gleichen Ort nicht schon mal gehört?
Nein, es ist wohl nicht so gemeint, und wenn doch, dann sind nicht alle gemeint, sondern nur einige. Das Argument höre ich jetzt schon. Und was haben die Russen erwartet, nachdem sie die Ukraine angegriffen hatten? Diese Melodie aus einem antifaschistischen Kontext wurde nicht zufällig ausgewählt. Denn der ersten Sängerin des Liedes zufolge sind heutzutage die Russen zu Nazis geworden, und die Ukrainer sind jene freiheitsliebenden Partisanen, die nun das Lied übernehmen dürften:
“In den ukrainischen Originaltexten wird anstelle von ‘Russen’ das Wort ‘Russnjaki’ (укр. русня, tr. rusnja) verwendet. ‘Russnjaki’ ist ukrainischer Slang für aggressive, fremdenfeindliche Russen, die von der Kreml-Propaganda des imperialen russischen Nazismus beeinflusst sind.”
Mit diesem YouTube-Kommentar wollte die ukrainische Lifestyle-Bloggerin Sofia Schkidtschenko ihren Aufruf zum Mord an Russen ein bisschen einschränken. Sie fügte ihn ca. eine Woche nach der Erstveröffentlichung des Liedes am 12. März hinzu. Hier ist das Video:
Im Lied äußert sie ihren Stolz darauf, dass die ukrainischen Kämpfer die Angreifer töten. Im italienischen Original ist allerdings vom aufopferungsvollen Tod eines Partisanen die Rede, der “Feind” wird nun mal kurz erwähnt, von jedweder Tötungsabsicht ist da gar nicht die Rede.
Meinung
Wie die Tagesschau lehrt, Nazis zu lieben
Damit das Blutrünstige im ukrainischen Lied nicht so ins Auge fällt, lehnen sich dessen Urheber auch an das Sowjeterbe an, indem sie das Lied nach dem Muster eines bekannten Sowjetliedes mit den Worten anfangen: “Eines frühen Morgens kam der Angriff unerwartet”. Damit spielen sie auf den heimtückischen Angriff Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion in Juni 1941 an, infolgedessen 27 Millionen Menschen gestorben waren.
Das aus dem ukrainischen öffentlichen Bewusstsein komplett ausradierte Sowjeterbe darf jetzt in der Kiewer PR-Strategie ausnahmsweise und nur in diesem Aspekt reaktiviert werden – gegen die russischen Nachkommen der Waffenbrüder von damals, als alle Republiken der Sowjetunion geschlossen gegen die Invasoren gekämpft hatten. Merkwürdig in einem Land, dessen Städte nun mal seit Jahren die Namen der berüchtigtsten Nazikollaborateure aus den Reihen der ukrainischen Nationalisten schmücken.
Die Szene, die sich vor Kurzem in einem Dorf vermutlich in der noch ukrainisch besetzten Donbass-Region abspielte, wurde zum Sinnbild und Symbol des Ukraine-Konflikts: Eine greise, zerbrechliche Dame, wohl denkend, dass in ihrem Dorf russische Soldaten auftauchten, begrüßte die Menschen in Militäruniform mit einer roten Siegesfahne. Ein ukrainischer Soldat rief ihr verachtend entgegen: “Ruhm der Ukraine”, nahm ihr die Fahne ab und trampelte darauf herum. Gleichzeitig bot er der alten Dame eine Tüte Lebensmittel an. Sie verweigerte die Hilfe und rügte den Soldaten:
“Dies ist die Fahne, mit der meine Eltern gekämpft haben, und Sie treten sie mit Füßen.”
Der Vorfall wurde in Russland in kürzester Zeit zu einem Meme:
Die alte Dame würdigte jene Fahne, die von den siegreichen Soldaten der Roten Armee auf dem Reichstagsgebäude gehisst worden war. Nun wird das Tragen dieser Fahne auch in einigen deutschen Bundesländern schon verboten, während die Mauern des Reichstages wieder Zeugen eines Mordaufrufs gegen eine ganze Nation werden.
Meinung
Kramatorsk: Auch ukrainische Lügen zu decken ist ein Verbrechen
Aber nicht nur wegen des völlig verfälschten Bezuges auf den Großen Vaterländischen Krieg ist das Cover des legendären Partisanenliedes zutiefst missbräuchlich. Dessen Urheber übersehen geflissentlich, dass der Krieg, den sie verurteilen, nicht eines Morgens in Februar dieses Jahres begann, sondern vor acht Jahren, als die nationalistische Putschisten infolge einer Reihe False-Flag-Attacken demokratisch gewählte Regierung in Kiew stürzten und wenige Wochen später Truppen in die dagegen rebellierenden Regionen entsendeten. Sie übersehen auch, dass ihre Regierung über alle diese Jahre hinweg bereit war, für den Beitritt zur NATO einen großen Krieg mit Russland zu riskieren.
Und wogegen rebellierten die Krim, der Donbass und andere Regionen im Osten des Landes, die allerdings von den neuen Machthabern mit Gewalt unterdrückt wurden? Auch und vor allem gegen Aufrufe zum Mord in Form zahlreicher faschistischer, russophober und offen rassistischer Parolen, die seit Beginn der “proeuropäischen” Maidan-Revolution im November 2013 in der Ukraine fest zum öffentlichen Raum gehören. Nun erreichten die Parolen ukrainischer Nationalisten, die ständig von Untergang und Zerstörung Russlands fabulieren, die deutsche Hauptstadt. Die Hauptstadt jenes Landes, dessen Außenministerin Russland mit Sanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine “ruinieren” will. Nun kommt zusammen, was zusammengehört.
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