Quelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christoph Hardt In Deutschland glaubt man an populistische Slogans und verweigert sich komplexer Zusammenhänge. Dass der Ukraine-Konflikt vor allem ein innerukrainischer Konflikt ist, machte der Politikwissenschaftler Nicolai Petro deutlich. Auch bei einem Rückzug Russlands wäre der Konflikt nicht vorbei.
In Deutschland lehnt man einen historischen Blick auf die Ursachen des Ukraine-Konflikts ab. Russland habe die Ukraine überfallen und müsse seine Soldaten abziehen, dann sei der Krieg vorbei, lautet die populistische Position, die von deutschen Politikern auch im Ausland vertreten wird.
Dass dies keineswegs zum Ende des Konflikts führen würde, macht ein Vortrag des US-amerikanischen Politikwissenschaftlers Nicolai Petro deutlich, den er im Rahmen eines Webinars der Freiburger Diskurse gehalten hat.
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Die Freiburger Diskurse sind eine Veranstaltungsreihe, die sich eigentlich auf ökonomische Fragen fokussiert. Es ist daher ein besonderer Verdienst der Veranstalter, dass sie sich des Themas angenommen und einen Wissenschaftler eingeladen haben, dessen Sicht auf die Entstehung des Konflikts in Deutschland Widerspruch hervorrufen muss.
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Gedacht war die Veranstaltung ursprünglich als Podiumsdiskussion. Allerdings haben die eingeladenen deutschen Osteuropa-Wissenschaftler abgesagt. Aufgrund der in Deutschland auch an den Universitäten verhärteten Haltung zu Russland und zum Konflikt in der Ukraine ist die Vermutung erlaubt, dass sie einer fundierten inhaltlichen Diskussion ausgewichen sind.
So wurde aus der Diskussionsveranstaltung die Präsentation des aktuellen Buches von Nicolai Petro “The Tragedy of Ukraine”. Der Qualität der Veranstaltung tat dies keinen Abbruch, denn Petro gewährt Einblick in viele Details, die für ein Verständnis des Konflikts notwendig sind.
Die Ukraine ist ein gespaltenes Land. Es teilt sich kulturell in einen westlichen, galizischen Teil, der seine Identität in Abgrenzung zur russischen Kultur konstruiert, sowie einen östlichen Teil, der sich der russischen Kultur und Tradition zugehörig fühlt, führt Petro aus. Genau dort verläuft die Konfliktlinie. Sie verläuft dort nicht erst seit der Unabhängigkeit der Ukraine, sondern schon seit langer Zeit. Daher war zu erwarten, dass bei einer Destabilisierung des Landes der Konflikt genau da aufbricht, wo er schließlich aufgebrochen ist.
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Petro verweist auf eine bereits in den 90er-Jahren beginnende Reihe von Abspaltungsversuchen der Krim. Schon unmittelbar nach der Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion fand ein erstes Referendum statt, dem weitere folgten. Russland lehnte die Integration der Krim in sein Staatsgebiet immer wieder ab. Klar ist jedoch, die Krim versteht sich selbst als russisch.
Auch im Donbass gab es unmittelbar nach dem Putsch in Kiew im Jahr 2014 Abspaltungsversuche, die aber von Russland zurückgewiesen wurden. Petro weist darauf hin, dass die Minsker Vereinbarung schließlich eine Art Tauschgeschäft gewesen sei. Die Krim, die sich im Jahr 2014 tatsächlich von der Ukraine abgespalten und der Russischen Föderation eingegliedert hat, verbleibt bei Russland, während der Donbass Teil der Ukraine bleibt.
Petro weist darauf hin, dass Putin die Revolte im Donbass 2014 nicht unterstützt hat. Das Minsker Abkommen, das sowohl von der Ukraine als auch von den westlichen Garantiemächten sabotiert wurde, sollte nach Vorstellung Putins die territoriale Integrität der Ukraine erhalten, wobei die Krim ausgeklammert wurde.
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Ein Rückzug Russlands würde daher den Konflikt nicht befrieden, da seine Ursachen innerukrainische sind. Es geht dabei um die Frage, wer bestimmen kann, was die ukrainische Identität ausmacht. Der westliche Teil der Ukraine versucht seine Vorstellung einer ukrainischen Identität mit Gewalt und unterstützt durch den Westen durchzusetzen. Daher sei eine Versöhnungsstrategie notwendig, die alle Ukrainer in ihrer Unterschiedlichkeit zusammenführt, führt Petro aus. Er schlägt als Lösungsweg das Modell der griechischen Tragödie vor, das über eine Katharsis zur Versöhnung führt.
Petro machte deutlich, dass er die Position seines Kollegen John Mersheimer nicht teilt, der die Schuld für den Krieg in der Ukraine beim Westen sieht und Russland weitgehend freispricht. Allerdings lehnt Petro dies aus einer grundsätzlichen ethischen Haltung gegenüber dem Krieg ab.
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