Wahre Antifaschisten? Die Linke und RLS bei Anti-AfD-Kampagne ganz vorn mit dabei
Nun war dieses Verfahren im Grunde nur ein halbes, weil der Beschluss des Jahres 2017 ja bereits eine Bestätigung der Verfassungswidrigkeit enthielt, mit Ausnahme realistischer Chancen. Und man muss zugeben, auch wenn das Verfassungsgericht um die Frage des Rassismus herumeierte, sind die angeführten Zitate in dieser Hinsicht eindeutig. Also warum nicht dieser Weg?
Dazu muss man sich nun vor Augen führen, wie mit dem anderen, dem dehnbareren Begriff der Verfassungsfeindlichkeit, umgegangen wird. Während “verfassungswidrig” doch relativ klar definiert ist (und letztlich in diesem Urteil noch einmal ein klein wenig enger gezogen wurde, indem beispielsweise der Föderalismus aus den relevanten Fragen ausgeklammert wurde), ist “verfassungsfeindlich” sehr unscharf. Und schon in der Formulierung des Artikel 21 (2) Grundgesetz findet sich “die freiheitliche demokratische Grundordnung beeinträchtigen”, was ebenfalls nicht wirklich klar ist. Meine Suche danach (zugegeben, nicht sehr langwierig), was nun eine Beeinträchtigung sei, verlief jedenfalls erfolglos. Ich würde ja instinktiv und naiv sagen, dass die Corona-Maßnahmen eine derartige Beeinträchtigung waren und der gegenwärtige Umgang mit der Meinungsfreiheit eigentlich auch eine solche Beeinträchtigung darstellt, aber das würde ja die Frage aufwerfen, wie viele der heutigen Parteien überhaupt…
Nein, diesem Gedanken wollen wir nicht weiter folgen. Sondern den Punkt aufgreifen, an dem dieses Urteil auf universelle Verwertbarkeit ausgelegt ist. Denn auch wenn das 2017 eingefügte Verfahren den Eindruck erweckt, es ginge nur um jene Parteien, deren Verfassungswidrigkeit bereits festgestellt sei, denen nur die Wirkmächtigkeit fehle, es also nur die NPD betreffe, ist dies auch nach dem Urteilstext mitnichten so.
Das ist die Passage des Urteils, in der es um die “Beeinträchtigung” geht (Randziffer 261):
“Von einer ‘Beeinträchtigung’ ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirken will. Ein ‘Beeinträchtigen’ liegt daher bereits vor, wenn eine Partei, selbst wenn sie noch nicht erkennen lässt, welche Ordnung an die Stelle der bestehenden treten soll, qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt. Ausreichend ist, dass sie sich gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet, da diese miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen. […]
Allerdings ist nicht jede den Vorgaben des Grundgesetzes widersprechende Forderung für sich genommen ausreichend, um das Ziel einer Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung annehmen zu können. Entscheidend ist vielmehr, dass sich eine Partei gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind, da allein so sichergestellt ist, dass ein Parteiverbots- oder Finanzierungsausschlussverfahren nur zu Zwecken des präventiven Verfassungsschutzes und nicht auch zur Ausschaltung unliebsamer politischer Konkurrenz eingesetzt werden kann.”
Wie üblich muss man das Juristische hier erst einmal übersetzen. Also, es reicht, wenn eines der “Wesenselemente” abgelehnt wird und sich die Partei gegen Spielregeln wendet, die für zentral gehalten werden. Das verursacht ein klitzekleines unheimliches Gefühl, denn das, was in den letzten Jahren so als Verhaltensnorm etabliert wurde oder zumindest versucht wird zu etablieren, hat doch sehr viel von “gehorche und halte die Klappe”, und man möchte nicht wirklich das Ergebnis sehen, sollte man “Delegitimierung des Staates”, diese hübsche neue Bezeichnung für ernsthaftere Kritik, als einen Verstoß gegen eben jene “Prinzipien, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind”, betrachten.
Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts über AfD: “Halte einen Verbotsantrag derzeit für falsch”
Wenn man einfach mal hypothetisch annimmt, dass eine derartige Position, die unverkennbar sowohl von der EU als auch von den deutschen Verfassungsschutzämtern bereits eingenommen wird, auch vom Bundesverfassungsgericht geteilt und auf alle Parteien angewandt würde, dann blieben tatsächlich nur die NATO-treuen Parteien übrig, und auch die Linke oder die Basis könnten sich mitnichten in Sicherheit wiegen.
Zwei kleine weitere Passagen sind in diesem Zusammenhang wichtig:
“Ein strafrechtlich relevantes Handeln erfordert Art. 21 Abs. 2 GG dagegen nicht, da dies mit dem präventiven Charakter der Norm nicht vereinbar wäre. Ebenso wenig ist es erforderlich, dass sich das der Partei zurechenbare Handeln als gesetzeswidrig darstellt.” (Rz 281)
“Dass das Handeln der Partei bereits zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG führt, ist nicht erforderlich.” (Rz 282)
Wenn eine Partei als verfassungsfeindlich klassifiziert wird, dann reicht der Beleg für “ein planvolles Vorgehen zur Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele”. Und hier wird es wirklich interessant, denn ein derartiger Beleg besteht, wenn man das Urteil liest, schlicht darin, dass sie tut, was Parteien zu tun pflegen: zu Wahlen auf Bundes- und Landesebene antreten, öffentliche Veranstaltungen durchführen, Infostände, ja, selbst die Präsenz in sozialen Medien dient als Beweis dieses “planvollen Vorgehens”. Das ist tatsächlich eine deutliche Veränderung zu dem, was noch im KPD-Verbot von 1956 stand, der gerade vorgeworfen wurde, nicht so aufgebaut zu sein und sich nicht so zu verhalten wie bürgerliche Parteien. Nichts an dem, was in diesem Urteil als “planvolles Vorgehen” angeführt wird, weicht vom üblichen Handlungsprogramm jeder vorhandenen Partei ab.
Obwohl also im konkreten Fall der NPD ja sogar eine Kontinuität zur NS-Ideologie belegt wird, was noch eine weitere, ganz andere Verbotsgrundlage liefern würde, wird die Unschärfe des eingefügten Absatzes in Artikel 21 von diesem Urteil nicht verringert, sondern noch erhöht. Dem Gesetzgeber ging es darum, eine Art Universalwaffe zu erhalten, nicht nur darum, gegen die NPD vorzugehen. Und das Bundesverfassungsgericht hat diesem Bestreben keinen Einhalt geboten, sondern den Spielraum noch ausgeweitet.
Umfrage: Wagenknecht-Partei zieht in Thüringen und Brandenburg an fast allen Ampelparteien vorbei
Wenn man dann die Debatte betrachtet, die derzeit stattfindet (sofern man diese Propagandawelle noch mit Fug und Recht eine Debatte nennen kann, das ist mehr oder weniger ein Streit um ein oder zwei Stück Würfelzucker im Milchkaffee), dann besteht die einzige Differenz darin, ob ein Verbot der AfD taktisch sinnvoll sei; eine Debatte darüber, ob ein derartiger Versuch politisch legitim sei, findet bereits gar nicht statt. Natürlich ist ein guter Teil des ganzen Spektakels genau das, eine Inszenierung, von der “Enthüllung” über das “gesunde Volksempfinden” bis hin zur Eingliederung dieses Urteils und der Forderung nach einem AfD-Verbot, und natürlich ist klar, dass ein Verbotsantrag das konkrete und dringende Problem des Absturzes der Ampel in den Umfragen nicht lösen wird. Dass sich in Deutschland tatsächlich eine Million Menschen finden lassen, die sich trotz der absolut ruinösen, verwerflichen Politik der Ampel schützend vor diese werfen lassen, in der vermeintlichen Absicht, “gegen rechts” zu demonstrieren, ist peinlich, aber letztlich politisch wirkungslos.
Aber das, was jetzt losgetreten wurde, und in das sich dieses Urteil eingliedert (oder eingegliedert wurde), genügt, um eine ganze Palette von Maßnahmen loszutreten, die ebenfalls bereits andiskutiert werden. Einen Ausschluss von AfD-Mitgliedern aus dem öffentlichen Dienst beispielsweise. Oder, das scheint nicht ausgeschlossen, tatsächlich ein Antrag darauf, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen, nur um dann auf dem Weg des einstweiligen Rechtsschutzes eventuell zu verhindern, dass er zu den anstehenden Thüringer Landtagswahlen überhaupt antreten kann.
Sofern das überhaupt das Ende der Fahnenstange ist. Dass auf einer dieser Demonstrationen ungehindert ein Transparent mitgeführt werden konnte, auf dem stand “AfDler töten”, bleibt ein sehr beunruhigendes Zeichen, selbst wenn die Aachener Staatsanwaltschaft dazu ermittelt. Es ist ein Symptom der Tatsache, dass es derzeit die Regierung selbst ist, die die realen Grundlagen eines demokratischen Zusammenlebens erodiert. Man muss die Aussagen der AfD nicht mögen, aber die Aussagen aus der CDU/CSU vor zwanzig Jahren gingen vielfach noch wesentlich weiter, doch damals wäre auch in der Antifa keiner auf den Gedanken gekommen, “CDUler töten” auf ein Transparent zu schreiben. Weder die Polizei noch die anderen Demonstranten haben sich in Aachen daran gestört.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gießt gerade Öl in dieses Feuer. Was womöglich von ihm nicht beabsichtigt war, aber nur durch penibelste Vermeidung jeder Unschärfe hätte vermieden werden können. Diese Unschärfe allerdings, die eine Verwendung gegen andere Ziele möglich macht, hat das Gericht bewusst herbeigeführt.
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