Quelle: www.globallookpress.com © Philip Gordon/Impact Photos Archivbild: Ein Kriegsschiff der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte mit der Kyokujitsuki (Flagge der aufgehenden Sonne) im Vordergrund (5. Juni 2009)
Von Igor Malzew
Während über Europa, die USA und natürlich China sowie Iran viel gesprochen wird, geschieht auch in Japan Erstaunliches – bei genauem Hinschauen kann man nicht anders als eine Wiederbelebung des japanischen Militarismus festzuhalten. Und verbindet man diese Prozesse mit der beispiellosen Wiederaufrüstung der BRD, so kommt einem das Ganze glatt wie eine Wiederbelebung der Achsenmächte vor.
Wie soll man es auch anders sehen, wenn besiegte Mitgliedsstaaten der Hitlerkoalition, denen alle Gesetze einschließlich ihrer eigenen Verfassungen verbieten, ein größeres Militär aufzustellen als zur Selbstverteidigung nötig, also zum Beispiel drastisch und stark aufrüsten? Abgesehen davon sind solche Beschränkungen gerade in Japan überhaupt drakonisch.
Nur um das einmal deutlich zu machen: In Japan gibt offiziell es gar kein Militär. Die Angehörigen der japanischen SDF, also Selbstverteidigungsstreitkräfte – jawohl, so nennen sie sich –, sind alle Zivilisten. Denn das Grundgesetz des Landes verbietet unmissverständlich die Bildung jeglicher bewaffneter Formationen, und die SDF sind offiziell eine zivile (nicht-militärische) Organisation. Den Ausdruck “Armee” (軍) in ihrem Zusammenhang zu verwenden, wird in Japan tunlichst vermieden.
Wegen China: Japan will massiv aufrüsten – Ist es um das Militär tatsächlich so schlecht bestellt?
Umso schockierender also ist der jüngste Trend in Japan: Dank der Aufstockung des Verteidigungshaushalts um fast knapp 120 Milliarden auf knapp 300 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre kann von irgendwelchen “Selbstverteidigungsstreitkräften” überhaupt keine Rede mehr sein.
Die japanische Regierung verzichtet auf große Worte wie “Umschwung” oder gar “Zeitenwende”, ja, sogar auf das notdürftig vorsichtige “Übergang”. Überhaupt vermeidet sie, wie in Asien üblich, überflüssige Worte gänzlich. Das Sprechen übernehmen dafür jedoch die Summen: insgesamt fast 120 Milliarden Euro jährlich mehr und damit insgesamt fast 300 Milliarden Euro jährlich, fünf Jahre lang.
Kapitel II der japanischen Verfassung, das den Titel “Verzicht auf Krieg” trägt, enthält nur einen Artikel, nämlich Artikel 9. Dieser ist kurz genug, hier zitiert zu werden:
“(1) Im aufrichtigen Streben nach einem auf Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für immer auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt als Mittel, internationale Streitigkeiten zu regeln.
(2) Um das im vorangehenden Absatz bezeichnete Ziel zu erreichen, werden niemals mehr Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie andere Mittel zur Kriegsführung unterhalten werden.”
Und als wäre dies nicht eindeutig genug, stellt der Schlusssatz des zweiten Punktes dieses Artikels endgültig klar:
“Das Recht des Staates auf Kriegsführung wird nicht anerkannt.”
Doch was sehen wir heute? “Am 19. September 2015 genehmigte das japanische Parlament den Einsatz von Selbstverteidigungskräften in militärischen Konflikten im Ausland.”
Und alles so ruhig, voller geradezu häuslicher Gemütlichkeit. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass in der Presse, nicht einmal in der russischen, Aufhebens darum gemacht wurde.
Aufrüstung in Japan: Erster Flugzeugträger seit Zweitem Weltkrieg
In der Nachkriegszeit hat es mehrere Gesetze dieser Art gegeben – und jedes Mal standen die Besatzungsstreitkräfte und das Besatzungsland, die USA, dahinter. Immer, stets und unweigerlich. Es hat den Anschein, als bauten die USA absichtlich eine massive Militärmacht im Fernen Osten auf – und dieser Schein trügt nicht. Auch diese zusätzlichen fast 120 Milliarden Euro jährlich sind nicht ohne den Segen der US-Amerikaner im japanischen Militärhaushaltsplan gelandet. Schließlich liegt der Grund etwa dafür, warum es keinen Friedensvertrag zwischen Russland und Japan gibt, einzig und allein im Wunsch Washingtons, einen unsinkbaren Flugzeugträger am Unterleib der UdSSR (und später Russlands) zu besitzen. Auch vom sogenannten Streit um die vier Kurileninseln zu reden, ist irreführend: Er ist seinem Wesen nach kein Territorialstreit. Gleich nach ihrem Anschluss an Japan wären die Eilande schon am nächsten Tag zu US-Stützpunkten geworden. Das ist auch schon der Kern des ganzen Streits.
Jedenfalls hat dieses militaristische Kopferheben eines Landes, das vor gar nicht langer Zeit auf Hitlers Seite kämpfte, gerade für Russland und die Russen die stärkste denkbare symbolische Bedeutung und Aufladung. Denn hierzulande ist man doch jedes Mal fassungslos, wenn Deutsche sich über Russland auslassen – sei es über den Krieg, darüber, dass angeblich niemand jemandem etwas schulde, dass Russland schlecht und Deutschland gut sei oder worüber auch immer. Und niemand von den deutschen Politikern spricht noch von 20 Millionen ermordeten Russen. Gar nicht. Als sei überhaupt nichts gewesen.
Der japanische militaristische Aufstieg dafür – ja, der wiederum wurde sehr wohl von den Deutschen wahrgenommen. Einige sehen darin sogar ein positives Beispiel für Deutschland selbst. So sang der Japan-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gleichsam eine Lobeshymne auf die Aufrüstung wie auf die Austeritätspolitik zu deren Finanzierung:
“Japans ‘Zeitenwende’ – ein Vorbild für Deutschland. Japan weitet die Ausgaben für die Verteidigung drastisch aus. Bei der Finanzierung zeigt das Land den Deutschen, wie man es richtig macht. […] Japan versucht es ohne Schulden, mit Einsparungen und höheren Steuern.”
Dass in Deutschland beileibe nicht alle so denken, zeigte ein Leser mit einem kurzen und bündigen Kommentar an den Autor:
“Japan hat in China während des 2. WK monströse Kriegsverbrechen begangen. Das ist kein einseitiger Konflikt (böses China, guter Westen). Man sollte endlich mit solchen naiven Darstellungen aufhören. Und man sollte aufhören, Kriegsvorbereitungen als Beispiel hinzustellen ‘wie man es richtig macht’.”
In der Tat, das sollte man. Denn ansonsten läuft man Gefahr, es sehr weit zu treiben.
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