Lebenslang für “Hassrede”: Kanada will mit neuem Gesetz “Gefahren des Internets” bekämpfen
Interessanterweise ist selbst die Funktion, Kommunikation zwischen “Abweichlern” zu unterbinden, nur vorübergehend wirksam. Sicherlich steigt erst einmal das Misstrauen, die Menschen werden extrem vorsichtig, worüber sie mit wem sprechen. Aber je tiefer die Schwelle gelegt wird – und der kanadische Gesetzentwurf ermöglicht ja selbst für “Markus Ganserer ist ein Mann” schon Höchststrafen – desto leichter wird es wieder, innerhalb einer Gruppe das Vertrauen herzustellen. Denn sobald in einer fiktiven Gruppe jeder “Markus Ganserer ist ein Mann” gesagt hat, wären alle gleichermaßen Verbrecher.
Die Trennung zwischen Wort und Tat zu schwächen, wie dies schon seit Jahren geschieht, stellt die bürgerlichen Grundrechte und die Rechtsstaatlichkeit infrage. Aber diese Trennung nicht nur aufzuheben, sondern die Wertungen geradezu umzukehren, wie das in diesem kanadischen Gesetz geschieht, greift die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens an. Bezogen auf den verkündeten Zweck ist es etwa so sinnvoll wie Waffenverbotsschilder in Bahnhöfen, aber die Nebenwirkung ergänzt die atomisierende Wirkung der Hyperindividualisierung noch um eine Rückkehr der individuellen Gewalt. In letzter Konsequenz (und hier rede ich von zumindest mehreren Jahren) wird damit einem staatlichen Gewaltmonopol jede Grundlage entzogen.
Sobald das Sprechen, das Äußern auch eines missliebigen Gefühls nicht mehr an die Stelle des ursprünglichen emotionalen Impulses treten kann, tritt eben dieser ursprüngliche Impuls wieder hervor. Als hätte man vergessen, dass jener erzieherische Schritt, der die körperliche Auseinandersetzung Regeln unterwirft und versucht, die Möglichkeit einer verbalen Klärung zu etablieren, keineswegs eine private Vorliebe ist, sondern vielmehr die Voraussetzung dafür, dass ein menschliches Zusammenleben oberhalb einer bestimmten Dichte und Menge überhaupt möglich ist.
Dabei sollte man nicht vergessen, dass dazu noch eine schwindende emotionale Selbstkontrolle kommt. Wenn berichtet wird, dass ein Robert Habeck zu cholerischen Ausbrüchen neigt, dann passt das zu seiner auch sonst erkennbaren Unreife. Wirkliche Kontrolle im Umgang mit stärkeren Emotionen erlangt man nur durch Einsicht, durch ein tatsächliches Begreifen menschlicher Gleichheit, nicht durch Verbote.
Wie weit nicht nur die Maßstäbe dafür, sondern sogar die Wahrnehmung der Fragestellung zivilisatorischer Einhegung von Gewalt verloren gegangen sind, zeigte sich gerade im Umgang der politischen Eliten in Berlin mit den historischen Daten 8. und 9. Mai. Während die Orgie der Gewalt, die Israel gerade im Gazastreifen begeht – nämlich eine dutzendfache Überschreitung selbst des Mottos “Auge um Auge, Zahn um Zahn” –, als “Selbstverteidigung” verharmlost wird, denkt niemand darüber nach, was das für Deutschland 1945 bedeutet hätte, wäre Derartiges für die Rote Armee akzeptabel gewesen. Bei 27 Millionen getöteten Sowjetbürgern wäre dann kein einziger Deutscher übriggeblieben. Keiner. Niemand. Kein Haus, keine Stadt, kein Acker.
Doch wenn selbst angesichts dieser Extremfälle, die die Frage der nötigen Grenzen menschlichen Verhaltens gewissermaßen im Großformat demonstrieren, die Wahrnehmung versagt, wie soll dann noch in den kleineren, schwerer wahrzunehmenden Momenten diese Grenze erhalten bleiben können?
Wenn in einer Kultur, die egozentrische Gier als Ideal setzt und die weit überwiegende Mehrheit – wenn überhaupt – mit flüchtigen Befriedigungen abspeist, schon die Artikulierung kollektiver Interessen untersagt und unterbunden wird, dann verwandelt sich auch das, was die Triebkraft einer positiven Entwicklung sein könnte, in ungeregelte, unkontrollierbare Gewalt. Es geht schon gar nicht mehr darum, die Demokratie vor ihren selbsternannten “Rettern” zu retten, es geht bereits darum, die Grundlagen von menschlicher, humaner Gesellschaft selbst zu bewahren.
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