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Warum die Kündigung des 2+4-Abkommens keine gute Idee ist

Warum die Kündigung des 2+4-Abkommens keine gute Idee ist

Quelle: Sputnik © Juri Abramotschkin / RIA NowostiEduard Schewardnadse unterschreibt für die Sowjetunion den 2+4-Vertrag (12.09.1990), dahinter stehend Michail Gorbatschow

Von Alexej Danckwardt

Selten löst eine Nachricht auf RT DE solche Euphorie in den Leserkommentaren aus, wie sie unter der Meldung über Gedankenspiele im russischen Parlament, das sogenannte “Zwei-plus-Vier-Abkommen” aufzukündigen, zu beobachten war.

In gewisser Weise kann ich das sogar nachfühlen: Der 1990 von DDR und BRD einerseits und den vier Siegermächten UdSSR, USA, Frankreich und Großbritannien andererseits ausgehandelte “Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland” steht für die deutsche Einheit und die Einbindung des vereinten Deutschlands in transatlantische Bündnisse und Abhängigkeiten. Die Entwicklung, die dieses vereinte Deutschland in den letzten 30 Jahren genommen hat, war mit Sicherheit nicht die, die wir uns 1990 in einem positiven Szenario ausmalten.

Der deutsche Imperialismus und Militarismus erheben immer selbstbewusster ihre Häupter, deutsche Waffen töten wieder russische Soldaten und Zivilisten, wir stehen so nah an der Schwelle zum Dritten Weltkrieg wie noch nie seit der Kuba-Krise. Innenpolitisch sieht es nicht besser aus: Mit der Wirtschaft geht es bergab, Lebensmittel und Energie werden unerträglich teuer und für die Bürger der ehemaligen DDR steht die “Wiedervereinigung” ohnehin für eine weltweit beispiellos rasante Deindustrialisierung. 

Kündigung des 2+4-Vertrags: Russischer Senator unterstützt Forderung der Krimdeutschen

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Die zentrale Frage ist: Was kann die Aufkündigung des 2+4-Vertrages an alldem ändern? Denken die euphorischen Kommentatoren wirklich, dass sich alle Entwicklungen der letzten 35 Jahre damit zurückdrehen lassen, die DDR wiederaufersteht und in die alte BRD das “goldene Zeitalter” ihrer wirtschaftlichen Blüte zurückkehrt? Ich schlage vor, sich das noch einmal nüchtern, mit kühlem Kopf zu überlegen. 

Anders als viele denken, hängen Existenz, Souveränität und Legitimität eines Staates nicht von der Gültigkeit und Makellosigkeit eines juristischen “Gründungsaktes” ab, ob nun Vertrag, Deklaration, Verfassung oder Stiftungsurkunde. Ein Staat existiert, weil er existiert, in den Grenzen, auf die er seine Staatsgewalt ausdehnen kann. Seine Legitimität leitet sich nicht von einem Stück Papier ab, sondern von seiner faktischen Anerkennung im Inneren, durch das auf dem Staatsgebiet lebende Volk, und im Äußeren durch andere Staaten und Völkerrechtssubjekte. “Normative Kraft des Faktischen” nannte es Franz Josef Strauß einst überaus treffend.

Erkennt ein Teil des Volkes auf einem Teil des Staatsgebiets die Legitimität des Staates nicht mehr an, entsteht ein Konflikt zwischen der Souveränität dieses Staates und dem Selbstbestimmungsrecht dieses Teils des Volkes, was aber ein anderes Thema ist. Wichtig für das Thema heute ist: Solange ein Staat von seinem Volk und von anderen Staaten anerkannt ist, kann man kündigen, was man will, es bleibt ohne Folgen. Dem Bestand und der Legitimität dieses Staates fügt das nicht den geringsten Schaden zu. 

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Aber vielleicht meinen die euphorischen Optimisten, dass durch die Aufkündigung des 2+4-Vertrages die Besatzungsrechte wieder aufleben, besonders dasjenige der Sowjetunion, das in anerkannter Rechtsnachfolge auf Russland übergegangen sein würde? 

Ich bin heute nicht in der Lage zu sagen, ob es juristisch so zu werten wäre, da sind so viele Aspekte einzukalkulieren, dass ich für eine qualifizierte Meinung mehr Zeit bräuchte. Doch selbst im günstigsten Fall: Was würde das denn praktisch bedeuten? Die USA könnten sich freuen, sie hätten ein weiteres Argument zur Begründung ihrer faktisch ohnehin ausgeübten Macht über Deutschland. Die Stationierung ihrer Truppen hat die Überseemacht bislang über NATO-Abkommen und bilaterale Verträge gesichert, jetzt hätte die De-facto-Besatzung ein weiteres juristisches Standbein.

Aber Russland? Es reicht nicht, ein Recht zu haben, man muss auch über eine reale Möglichkeit verfügen, es auszuüben. Als die Sowjetunion im Mai 1945 Hitlerdeutschland besiegte, hatte ihre Armee eine Stärke von 11,5 Millionen Mann. Allein an der Berliner Operation waren auf sowjetischer Seite direkt und indirekt mehr als 4 Millionen Soldaten und Offiziere beteiligt. Heute ist man in Moskau schon froh, die nominelle Stärke der Streitkräfte auf 1,3 Millionen Mann angehoben zu haben, rückwärtige Dienste inklusive.

Mit wem also soll Russland dieses Mal in Berlin einziehen und das Gebiet der ehemaligen DDR “befreien”? Es hätte schon Schwierigkeiten, eine neue “Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland”, Personalbestand in den 1980ern über 400.000 Soldaten und Offiziere, zu formieren… So viel übrigens auch zur “Gefahr eines russischen Überfalls” auf Europa, mit der Kriegstreiber Kinder und unbedarfte Erwachsene in Angst und Schrecken versetzen. 

Also wäre die Kündigung des 2+4-Abkommens ein reiner Symbolakt und hätte keine praktischen Auswirkungen? Nein, auch das nicht. 

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In diesem Abkommen und den Protokollen dazu ist eine Reihe von Verpflichtungen enthalten, die das wiedervereinigte Deutschland übernommen hat. Darunter Regelungen für das Gebiet der früheren DDR, die Ostdeutschen, ob diese es zu schätzen wissen oder nicht, weitaus Schlimmeres erspart haben, als der Beitritt zur BRD ihnen bereits eingebrockt hatte. 

Da ist zum Beispiel die Bodenreform, von der Siegermacht UdSSR 1946 in ihrem Besatzungssektor durchgeführt. Junkerland und das Land von Nazi-Verbrechern wurde damals beschlagnahmt und unter Neubauern aufgeteilt. Ein Protokoll zum 2+4-Vertrag sichert die dadurch entstandenen Eigentumsverhältnisse “für alle Zeiten”. Das hat es ermöglicht, dass wenigstens die ostdeutsche Landwirtschaft in ostdeutschen Händen blieb und zehntausenden Familien bis heute eine auskömmliche Existenzgrundlage bietet.

Kündigt Russland das Abkommen, ist auch diese Vereinbarung hinfällig. Was hindert dann die Erben der damals Enteigneten, Restitution zu fordern? Deutsches und europäisches Recht steht, das haben die Restitutionsverfahren in allen anderen Bereichen gezeigt, klar und deutlich auf Seiten der Alteigentümer, der 2+4-Vertrag ist das Einzige, was ostdeutschen Bauern ihre Äcker sichert. Restitutionsgerichte kennen weder gutgläubigen Erwerb noch Verjährung. Kein Zweifel: Binnen weniger Jahre würden nahezu alle ostdeutschen Landwirte ihre Äcker verlieren und dürften bei den zurückgekehrten Junkern als Tagelöhner anheuern ‒ wenn sie die Preise ukrainischer und rumänischer Tagelöhner unterbieten können. “Danke, Moskau, danke, Putin”, werden sie dann gewiss sagen. 

Nehmen wir einen anderen Punkt des Vertrages. Deutschland hat darin, ebenso “für alle Zeiten”, auf die Beschaffung von ABC-Waffen (atomare, biologische und chemische) verzichtet. Wird der Vertrag gekündigt, entfällt diese Verpflichtung. Ist es Zufall, dass die Aufkündigung des 2+4-Vertrags ausgerechnet zu dem Zeitpunkt auf den Tisch kommt, wo in Joschka Fischer und andere Kriegstreiber laut über deutsche Atomwaffen nachdenken? Ganz zu schweigen davon, dass Deutschland in dem Vertrag auch auf das Gebiet Kaliningrad verzichtet hat. Wollen wir wirklich, dass in Berlin genauso laut über “Königsberg” nachgedacht wird, wie derzeit über deutsche Atomwaffen? 

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Es gibt viel mehr, das am 2+4-Vertrag und seinen Protokollen hängt, aber auch die zwei Punkte, die näher beschrieben sind, sollten hinreichend gezeigt haben, wie gefährlich eine Kündigung des Vertrags wäre. 

Sicher hat Dagmar Henn Recht: Deutschland hat bereits gegen diesen Vertrag verstoßen, in Jugoslawien, in der Ukraine, durch die Bereitstellung seiner Waffen zum Töten von Russen. Mindestens gegen den Geist des Vertrages, wohl auch gegen seinen Buchstaben. Doch die Kündigung des Vertrages mit einem Vertragsbrüchigen ist jedenfalls dann die falsche Konsequenz, wenn man seinerseits schon alles erfüllt hat, was man zu erfüllen hatte, und weder Kraft noch Möglichkeit hat, das Erbrachte auch tatsächlich zurückzuerlangen. Russland hat diese Kraft aktuell nicht, selbst wenn es überhaupt möglich wäre, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.

Zumal der Vertrag zumindest hinsichtlich des Fortbestands der durch die Bodenreform geschaffenen Verhältnisse direkt wirkt und die Ostdeutschen effektiv vor dem Verlust des Letzten, was sie noch haben, geschützt hat. Die Ostdeutschen sind an der Entwicklung, die Gesamtdeutschland genommen hat, am wenigsten schuld. Sie sind von allen Deutschen am wenigsten russophob und welcher ostdeutsche Bauer wählt schon die Grünen? Warum also ausgerechnet dieses Porzellan zerschlagen? 

Besser ist es, von Deutschland Erfüllung zu verlangen. Mit einem gültigen Vertrag als unabweisbarem Argument in den Händen.

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