Meinung Wie eine inkompetente Staatsführung die Ukraine in die Katastrophe getrieben hat
Es lässt sich also in diesem Artikel alles finden, was nötig ist, um alle Hoffnungen auf einen Sieg nicht nur der Ukraine, sondern auch der NATO selbst zu beenden. Da führt schlicht kein Weg hin. Aber diese ganzen Punkte sind in den Artikel eingestreut, während die Aufmerksamkeit gezielt auf eine ganz andere Geschichte gelenkt wird – auf die Kommunikation zwischen dem Pentagon und der ukrainischen Armee.
So soll der Chef von EUCOM, General Christopher Cavoli, den ukrainischen Generalstabschef Saluschny im Sommer wochenlang nicht erreicht haben. Die Ukrainer hätten den Beginn der Offensive immer weiter hinausgezögert. Und da wäre ja noch der große Fehler der drei Angriffskeile, die der ursprünglichen Planung widersprachen.
Es ist diese Geschichte, die beim unaufmerksamen Lesen die anderen Informationen überlagert, weil hier handelnde Personen aufeinanderprallen, US-Generalstabschef Mark Milley, Saluschny, Selenskij, Pentagon-Chef Lloyd Austin… Dass das Drama, in dem diese Personen aufgestellt werden, auch bei einem völlig anderen Verlauf nichts an den erwähnten objektiven Gegebenheiten ändern würde, ist eine Erkenntnis, die man sich bei der Lektüre selbst erarbeiten muss.
Zur Garnierung werden dann noch allerlei Vorurteile und Propagandabröckchen geliefert, die von der technischen Ebene ablenken. So wird zwar die Zahl ukrainischer Verluste bis Anfang 2023 mit 130.000 für westliche Medien relativ hoch angesetzt, aber es wird ebenfalls behauptet, die russischen hätten zur gleichen Zeit 200.000 betragen. Man habe die russische Bereitschaft unterschätzt, “Leben in einer Größenordnung zu opfern, die wenige andere Länder billigen könnten”, während die Ukrainer “sich vor katastrophalen Verlusten fürchteten”.
Von den Sperrtruppen, die die schlecht motivierten Soldaten an der Flucht hindern sollen (die, nebenbei, mit Videos belegt sind, allerdings bei der ukrainischen Armee), bis hin zur menschlichen Flut, die bei Angriffen die fehlenden Fähigkeiten ersetzen soll, wird fast jedes Klischee wiederholt, das schon über die sowjetische Armee im Umlauf war. Ein Musterbeispiel dafür liefert ein Zitat von CIA-Chef William J. Burns:
“Bei all ihrer Inkompetenz im ersten Kriegsjahr gelang es ihnen [den Russen], eine chaotische Teilmobilisierung zu starten, um eine Menge Löcher in der Front zu stopfen. In Saporoschje konnten wir sehen, wie sie wirklich ziemlich beeindruckende feste Verteidigungen aufbauten, schwer zu durchbrechen, wirklich teuer, wirklich blutig für die Ukrainer.”
Tatsächlich wurden besagte Verteidigungen nie durchbrochen, auch wenn die WaPo behauptet, etwa das endlos umkämpfte Dorf Rabotino liege hinter der ersten dieser Linien. Das Zitat von Burns belegt aber genau diese eigenartige Mischung aus Verachtung und Unglauben, die den Artikel prägt.
Bei den Planspielen in Wiesbaden war sogar eine Kapitulation Russlands als Möglichkeit erwogen worden. “Die Aufklärung während des Winters hatte gezeigt, dass die russische Verteidigung vergleichsweise schwach und überwiegend unbesetzt war, und dass die Moral der russischen Truppen nach ihren Niederlagen in Charkow und Cherson schlecht war. Die US-Aufklärung schätzte, dass die führenden russischen Offiziere von trüben Aussichten ausgingen.”
Man kann sich natürlich fragen, wie viel dieser Aufklärung von US-amerikanischer, und wie viel davon von ukrainischer Seite stammte. Aber an diesen Vorurteilen wird eisern festgehalten. Man hat sie schließlich nicht umsonst seit 1946 gehegt und gepflegt.
Es ist dieses erbitterte Festhalten am Feindbild, das in der Washington Post Sätze wie jenen von Mark Milley auftauchen lässt, den er in Grafenwöhr zu ukrainischen Diversanten gesagt haben soll:
“Es sollte keinen Russen geben, der sich schlafen legt, ohne sich zu fragen, ob ihn mitten in der Nacht nicht die Kehle durchgeschnitten wird.”
Dahinter ist die unausgesprochene Erwartung, dass besagte ukrainische Diversanten auf die bereitwillige Unterstützung der Bevölkerung hoffen können. Eine Erwartung, die vielleicht in Galizien eine Grundlage hat, aber nicht in jenen Gebieten, in denen die Kämpfe bisher stattfanden. Dass aber eine ordentliche, gesetzte Zeitung wie die WaPo (auch wenn sie enge Beziehungen zur CIA hegt) einen solchen Satz zitiert, als sagte man so etwas bei einem gepflegten Abendessen, zeigt schon, wie tief dieses verzerrte Bild der Russen sitzt.
Analyse “Es wird schwierig” – Was russische und ukrainische Soldaten im Winter erwartet
Wäre dem nicht so, wäre der Artikel zu einem wesentlich klareren Fazit gekommen. So sind es Unglaube und Unverständnis, die eine nüchterne Betrachtung des Scheiterns in der Ukraine verhindern. Was betrüblich ist, weil das wiederum wenig dazu beiträgt, die westlichen Regierungen zu einem auf Tatsachen und nicht Fantasien und Wünschen beruhenden Handeln zu bewegen.
Dabei gibt es in diesem Artikel einen Satz, der sämtliche NATO-Kriegsplaner bis in ihre Träume verfolgen sollte. Denn eigentlich war die Niederlage wesentlich schneller absehbar, der Zeitpunkt, an dem sich die Planungen als untauglich erwiesen, trat sehr früh ein. “Am vierten Tag hatte General Saluschny, der oberste Kommandeur der Ukraine, genug gesehen. Verbrannte westliche Rüstungsgüter – amerikanische Bradleys, deutsche Leopard-Panzer, Minenräumfahrzeuge – übersäten das Schlachtfeld. Die Zahl der Toten und Verwundeten untergrub die Moral. […] Monate der Planung mit den Vereinigten Staaten wurden an diesem vierten Tag in den Müll geworfen.”
Vier Tage, und ein Angriff, an dessen Vorbereitung die gesamte NATO mit Informationen, Planung und Material beteiligt war, ist gescheitert. Wie viele wären noch am Leben, wäre dieser Moment als das wahrgenommen worden, was er war. Wie viele könnten noch am Leben bleiben, wäre der Westen imstande, seine Vorurteile beiseite zu legen und auf die Tatsachen zu reagieren. Aber die Annäherung an diese Wahrheit ist zu schmerzhaft.
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