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Weshalb der Fortbestand Israels auf lange Sicht nicht garantiert ist

Weshalb der Fortbestand Israels auf lange Sicht nicht garantiert ist

Quelle: www.globallookpress.com © Cameron Smith/White HouseUS-Präsident Biden mit Netanjahu in Israel, 18.10.2023

Von Fjodor Lukjanow

Das Schicksal Palästinas, des Heiligen Landes der großen Weltreligionen, steht nicht erst seit Jahrhunderten, sondern schon seit Jahrtausenden im Mittelpunkt der akutesten gesellschaftlichen und politischen Prozesse. Doch wenn wir nicht bis in die Antike zurückgehen, sondern uns nur auf die Neuzeit konzentrieren, werden wir feststellen, dass die Palästinafrage in ihrer ganzen Komplexität die Quintessenz der internationalen Politik des 20. Jahrhunderts bildet. Wahrscheinlich erleben wir gerade das Ende dieser Politik und der Ergebnisse, die sie hervorgebracht hat.

Terroranschlag der Hamas auf Israel: Schrecklich, aber nicht "unprovoziert"

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Dieses Paradigma umfasst die wichtigsten Ereignisse des letzten Jahrhunderts, beginnend wohl mit dem Ersten Weltkrieg, der den Zusammenbruch der europäischen Imperien und die grundlegende Neuzeichnung der Grenzen einleitete. Infolge des Ersten Weltkrieges setzte sich im gesamten Nahen Osten der Gedanke der Selbstbestimmung durch – auch in Palästina, das von verschiedenen Völkern als ihre angestammte Heimat betrachtet wurde.

Der Zweite Weltkrieg mit den Alpträumen des Holocaust veranlasste die führenden Mächte der Welt, die Notwendigkeit der Schaffung eines jüdischen Staates in Betracht zu ziehen, dessen Gestaltung von Anfang an Gegenstand heftiger Konflikte war. Dies war Teil des “Kalten Krieges” mit seiner Aufteilung der Einflusssphären und der damit verbundenen Bevormundung verschiedener Regionalmächte durch die Großmächte. Die bipolare Welt hat dem Nahen Osten keine Ruhe gebracht, sondern eine Reihe von bewaffneten Auseinandersetzungen ausgelöst, aber sie bot einen Rahmen, um die unkontrollierte Ausbreitung der internationalen Protektion zu verhindern.

Mit dem Ende des Kalten Krieges glaubten alle eine Zeitlang, es würde Ruhe und Gerechtigkeit herrschen. Was letztlich zu dem Friedensprozess führen sollte, der 1994 mit dem Friedensnobelpreis gekrönt wurde. Die Schaffung zweier Staaten in Palästina, die 1948 ausgerufen worden war, wurde als erreichbares Ziel angepriesen und ihre Realisierung wurde mit Nachdruck verfolgt. Es wurde jedoch bald klar, dass der elegant ausgearbeitete Plan an den historischen und soziopolitischen Gegebenheiten der Region scheitern würde, und der anfängliche Vorstoß für eine palästinensische nationale Autonomie mündete nicht in einen vollwertigen Staat. Was folgte, war eine auf allgemeiner Heuchelei beruhende Stagnation – niemand brach den Prozess ab, aber es gab auch keine Fortschritte. Die letzte große Neuerung waren die “freien demokratischen Wahlen”, welche Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde im Jahr 2006 auferlegt wurden.

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Damals glaubten die Amerikaner, dass alle Probleme des Nahen Ostens mit der dortigen Einführung der Demokratie gelöst werden würden. Hierin liegt die Ursache für die Geißel der Hamas in ihrer aktuellen Form – zunächst erzwangen die USA die Wahlen, die von der islamischen Widerstandsbewegung gewonnen wurden, und dann weigerten sie sich selbst, die Ergebnisse anzuerkennen. Die anschließende gewaltsame Machtergreifung der Hamas im Gazastreifen schuf genau die Enklave, von der aus Israel diesen Monat angegriffen wurde.

Das Leitmotiv der wechselvollen hundertjährigen Geschichte ist, dass alles, wenn nicht unter dem Diktat, so doch unter aktiver Beteiligung äußerer Kräfte stattgefunden hat. Die Zusammensetzung Letzterer hat sich gewandelt, aber in jeder Kombination haben jene Akteure den Ton angegeben. Die Veränderung, die nun eingetreten ist, besteht darin, dass die externen Spieler und Kräfte gezwungen sind, auf die von regionalen Kräften initiierten Ereignisse zu reagieren. Diese Reaktion beruht auf gesammelten Erfahrungen, aber sie funktioniert nicht mehr so wie früher. Der Grad der Selbstbestimmung der Staaten in der Region (nennen wir es die Verfolgung nationaler Interessen, wie sie sie verstehen) ist viel höher als in der Vergangenheit. Inzwischen gehen den großen Ländern jene Zwangsmittel aus, die im zwanzigsten Jahrhundert funktioniert haben.

Die Ankunft von US-Präsident Joe Biden in Israel inmitten der Gewalt könnte als Akt politischen Mutes beschrieben werden, wäre da nicht der Verdacht, dass Washington die Dringlichkeit der Lage einfach unterschätzt. Nach der schrecklichen Krankenhaustragödie in Gaza ist es verständlich, dass es zu einer scharfen Eskalation kommt. Zuvor jedoch dachten die Vereinigten Staaten wahrscheinlich, sie könnten sich zieren.

Die Idee scheint zu sein, Israel zu unterstützen, indem man seine gefährlichsten Aktionen vorwegnimmt und den arabischen Ländern – insbesondere am Persischen Golf – versichert, man werde zur Tagesordnung zurückkehren, sobald sich die Gemüter beruhigt haben. Außerdem soll eine iranische Einmischung verhindert werden, indem deutlich gemacht wird, dass dies ein amerikanisches Eingreifen des Militärs nach sich ziehen würde. Wenn Teheran sich dagegen zurückhält, ist eine Rückkehr zu Gesprächen über die Freigabe von Geldern und eine Wiederaufnahme der Beziehungen nicht ausgeschlossen. Schließlich möchte Biden einen Paketbeschluss über die Finanzhilfe für alle seine wichtigsten militärischen Kunden – Israel, Ukraine und Taiwan – garantieren, der es nicht zulässt, dass einer von ihnen einzeln blockiert wird.

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Im Moment hängt der ganze heikle Plan an einem seidenen Faden. Und das Problem liegt nicht in spezifischen politischen und diplomatischen Fehlern, sondern in der grundsätzlichen Unfähigkeit, Prozesse so zu steuern, wie es die USA und die großen Länder im Allgemeinen gewohnt sind, weil sie glauben, sie hätten die Hebel für alles Mögliche in der Hand. Es handelt sich um einen Systemwechsel, dessen Folgen alles Mögliche sein können.

Der Übergang von der externen Regulierung der Region zum internen Gleichgewicht ist schmerzhaft, und Erfolg ist nicht vorherbestimmt. Israels Problem besteht darin, dass der Vorteil seiner Übermacht, auf den es sich ein Dreivierteljahrhundert lang verlassen hat, keine zuverlässige Garantie für seine Existenz mehr ist. Das Gesamtgleichgewicht in der Region wird sich nicht zugunsten des jüdischen Staates verschieben, und die Aufmerksamkeit seines Schutzherrn könnte durch andere interne und externe Krisen abgelenkt werden. Indessen hat Westjerusalem keine Erfahrung darin, langfristige Vereinbarungen mit seinen Nachbarn zu treffen, ohne sich auf die USA zu verlassen.

Die Frage ist also, ob die Israelis noch Zeit haben, zu lernen, auf eine neue Art zu leben.

Dieser Artikel wurde zuerst von der Zeitung Rossijskaja Gaseta veröffentlicht, übersetzt und bearbeitet vom RT-Team.

Übersetzt aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Valdai International Discussion Club.

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