Quelle: Sputnik © Mihail Andronik Schulterabzeichen, Mariupol, 15.03. 2022
von Dagmar Henn
Als sich im Jahr 2014 in Westeuropa das große schwarze Loch des Schweigens auftat, um das Massaker von Odessa zu verschlingen, das ein klarer Beleg für fest etablierten Nazismus war, war bereits zu ahnen, dass dieses Gift seinen Weg zurück an seine Quelle finden würde. Was ich mir aber nicht vorstellen konnte, war, wie sehr die Geschichte verdreht und wie klar jede Vorstellung von Antifaschismus in ihr Gegenteil verkehrt würde. Ein besonders abstoßendes Beispiel lieferte jüngst die CDU Pankow, die vorschlug, das Denkmal für Ernst Thälmann einzuschmelzen, um den Erlös des Metalls an die Ukraine zu spenden.
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Man will um jeden Preis, selbst den des eigenen Untergangs, die Ukraine nutzen, um Russland anzugreifen, und dafür muss jetzt erbarmungslos für ukrainische Nazis geworben werden. Es reicht nicht mehr, so zu tun, als gäbe es sie nicht, oder sie zu verharmlosen, indem man erklärt, sie hätten ja so wenige Sitze im Parlament, während sie sich in Wirklichkeit austoben dürfen wie kolumbianische Todesschwadronen: Nein, inzwischen geht es darum, sie zu lieben und alles Russische zu hassen.
Die Volten, die dabei geschlagen werden, sind abscheulich und vernichten jedes bisschen Ehre, das dieses Land nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus zurückgewinnen konnte. Das war 2014 bereits zu ahnen, als die ganze deutsche Presse die Aussage Poroschenkos, für jeden toten ukrainischen Soldaten müssten Hunderte “Separatisten” mit dem Leben bezahlen, kommentarlos wiedergab, ohne auf die Ähnlichkeit mit Wehrmachtsbefehlen hinzuweisen. Inzwischen darf ein Herr Melnyk, der nicht nur von sich behauptet, Botschafter zu sein, sondern auch noch hofiert wird, ungestraft alle Russen zu Feinden erklären. Denn jetzt sollen alle Russen – Nazis sein. Schließlich hat das bei Joschka Fischer schon so gut geklappt, der “wegen Auschwitz” Belgrad bombardierte.
Der Korrespondent der ARD in Moskau ist ein besonderer Experte im Etikettentausch. Wobei – allzu viel Arbeit muss er sich da nicht machen, er kann auf die ukrainische Propaganda zurückgreifen, und das tut er: “Seit dem Einmarsch in die Ukraine wird Russland immer wieder mit Nazideutschland verglichen.” Dass ein solcher Vergleich erstens eine unfassbare Unverschämtheit ist, insbesondere aus dem Mund eines Deutschen, und zweitens jeder Grundlage entbehrt – was macht das schon. Ist ja nur die wichtigste Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens. Natürlich wird da nicht argumentiert; es wäre auch schwer, die Lager mit verhungernden Kriegsgefangenen zu finden, die in die Zwangsarbeit Verschleppten, die ausgelöschten Orte, die lebend in Bergwerksschächte Geworfenen, die in Kirchen zusammengetriebenen und verbrannten Opfer; wer so etwas behauptet, hat sich nie genauer damit befasst, was die Naziarmee in der Sowjetunion angerichtet hat.
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Aber nun wird zu einem hinterhältigen Trick gegriffen. Es wird der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden der Ukraine zitiert, der erklären darf, das russische Vorgehen “ähnele in der Tat der Praxis der Nazis während des Zweiten Weltkriegs”. Wenn das ein Jude sagt … Natürlich, wer etwas mehr über die Ukraine weiß, weiß auch, dass Igor Kolomoiskij, der Asow mit aus der Taufe gehoben hat, ebenfalls Jude ist, ebenso wie Selenskij, der gerade erst einen gemeinsamen Videoauftritt vor dem griechischen Parlament mit zwei Vertretern dieser nazistischen Verbrecherbande absolviert hat, oder der oben zitierte Poroschenko; sich aber auf der anderen Seite, der der Donbassrepubliken beispielsweise, ebenfalls eine ganze Reihe jüdischer Ukrainer finden, von Russland ganz zu schweigen; das Argument also keines ist, weil Gesinnung nicht in den Genen sitzt. Aber für den durchschnittlichen Zuschauer der Tagesschau ist Jude und Nazi gleichzeitig unvorstellbar, und damit wird diese Aussage, so falsch sie ist, unanfechtbar.
Russland kämpfe gegen ein “angeblich neonazistisches Regime”. Hätte es das große Loch des Schweigens nicht gegeben, ein solcher Satz wäre in Deutschland unsagbar. In Frankreich gibt es übrigens gelegentliche Durchbrüche von Wahrheit. Das mag damit zu tun haben, dass die mit Bandera-Ukrainern bestückte SS-Division Galizien, die in der Westukraine so gern gefeiert wird, für das Massaker von Oradour verantwortlich war.
Der zweite Zeuge, den die ARD anführt, ist, das ist nur konsequent, ein Russe, der Philologe Gassan Gussejnow. “Der traditionelle Antifaschismus, so Gussejnow, sei reine Rhetorik, die sich hemmungslos nationalsozialistischer Stilelemente bediene.” Aha. Belege dafür? Keine. Auf ukrainischer Seite findet sich aber nicht nur der Satz von Poroschenko; auch der Gouverneur von Dnjepropetrowsk hat sich jüngst erst geäußert, man müsse jetzt alle Russen töten; als sei es sein Auftrag, den Generalplan Ost doch noch zu verwirklichen. Aufrufe von russischer Seite, alle Ukrainer zu töten, wurden bis heute nicht einmal von der ukrainischen Propaganda vorgelegt. Die faschistische Rhetorik klingt immer nur bei den Ukrainern durch.
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Aber Gussejnow sieht die “nationalsozialistischen Stilelemente” ganz woanders. “So spreche Moskau der Ukraine seit Jahren das Existenzrecht ab und diffamiere die Regierung als vom Westen protegiertes Nazi-Regime.” Wie sehr diese Ukraine vom Westen protegiert wird, kann man daran sehen, dass sie sieben Jahre lang die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen verweigert hat und weder aus der EU noch gar aus den USA dafür gerügt wurde. Und Naziregime? Ja, in jeder Hinsicht. “Dieses begehe angeblich einen Völkermord an russischsprachigen Menschen in der Ukraine und müsse mit Gewalt vernichtet werden – so, wie Hitlerdeutschland durch die siegreiche Rote Armee.”
Wie gesagt, die Zeugen sind sorgfältig ausgewählt. Nachdem man sich einen Juden holte, um Russland mit Nazideutschland gleichzusetzen, holt man sich einen Russen, um den Genozid im Donbass zu bestreiten. Das ist schon geschickt gemacht. Es ändert aber nichts daran, dass für all diese Aussagen zwar vom zitierten Philologen behauptet wird, da seien “nationalsozialistische Stilelemente”, solche aber bei Betrachtung seiner Beispiele nicht zu finden sind. Um in einem Bezug auf den Sieg der Roten Armee über den Hitlerfaschismus ein “nationalsozialistisches Stilelement” zu finden, muss man sein Hirn auf eine Art und Weise verrenken, die zumindest meine Fähigkeiten deutlich übersteigt.
Wirklich bizarr wird dann die Wendung, um Russland auch noch Nazisprache vorzuwerfen. Wie oben bereits angeführt, auf ukrainischer Seite lässt sich das mühelos finden, im originalen Tonfall, von vielen verschiedenen Sprechern; ich erinnere da nur an das Eichmann-Zitat, das vor einigen Wochen in einer ukrainischen Fernsehsendung serviert wurde, um zu begründen, warum man nicht nur die russischen Erwachsenen, sondern auch deren Kinder umbringen müsse. Nein, so offen sagten das nicht einmal die Nazis.
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Aber damit befasst sich die Tagesschau nicht, das würde die Vertauschung unmöglich machen. “Auch Nazi-Vokabular werde bedenkenlos übernommen, sagt Gussejnow. Außenminister Lawrow sagte, Russland sei einem ‘totalen Krieg des Westens’ ausgesetzt.” Schon erstaunlich, dieser Griff, für einen Philologen. Zumindest der sollte sprachlich so weit differenzieren können, dass ihm der Unterschied zwischen “wollt ihr den totalen Krieg” und der Formulierung, einem solchen ausgesetzt zu sein, auffällt. Er besteht darin, dass die erste Formulierung eine der Täter ist und die Tat als wünschenswert darstellt, während die zweite aus der Perspektive der Opfer erfolgt und sie eben nicht als wünschenswert sieht. Die Nazis sprachen nicht davon, einem totalen Krieg ausgesetzt zu sein. Sie wollten ihn führen.
Was Gussejnow in völliger Verleugnung seiner Fachkenntnisse als Nazivokabular bezeichnet (vielleicht sollte er mal Klemperer lesen, das kleine Reclam-Heft LTI hilft da schon weiter), ist, wenn überhaupt, ein Rückgriff auf die sowjetische Geschichte, weil die Sowjetunion das Ziel besagten totalen Krieges war. Im Tagesschau -Text sorgt das dafür, die Rollen völlig zu vertauschen und Russland darzustellen, als sei es Nazideutschland.
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Gleichzeitig muss man natürlich bei der Gelegenheit die Entwicklungen im Westen weißwaschen, die sich immer näher an das historische Vorbild herantasten. “So verglich Präsident Putin die Absage von Auftritten russischer Künstler im Westen mit den Bücherverbrennungen. Eine solche Kampagne zur Vernichtung unerwünschter Literatur sei zuletzt vor fast 90 Jahren ausgeführt worden – von den Nazis in Deutschland, so Putin.” Nun, an diesem Punkt hat er tatsächlich nicht recht. Nach dem Putsch in der Ukraine wurden dort russischsprachige Bücher massenhaft aus Bibliotheken und Läden geräumt und, Achtung – verbrannt. Tatsächlich. In Deutschland ist es das erste Mal seit damals. Und in diesen Punkten geschieht inzwischen die Annäherung an das Original, gewissermaßen per Reinfektion über die Ukraine, mit atemberaubender Geschwindigkeit.
“Vergangenheit und Gegenwart werden von der russischen Propaganda unterdessen weiterhin raffiniert vermischt.” Ach, wäre das nur so. Dann müsste man nur Worte ändern und sich keine Sorgen machen, welche Folgen es noch haben wird, wenn die Ukronazis hier aktiv werden, oder wie weit dieses Deutschland, dessen Außenministerin tatsächlich äußert, man wolle Russland “zerstören”, noch von einem Kriegseintritt oder einem Reichstagsbrand entfernt ist. Augenblicklich wird jede Resterinnerung an Antifaschismus jedenfalls durch munteren Täter-Opfer-Tausch zerstört und durch ukrainische Propaganda ersetzt. Letztlich ist es gleich, ob Deutschland den erneuten Marsch in die Nacht unter “Heil Hitler” oder unter “Heil der Ukraine, den Helden Heil” antritt. Nazigrüße sind beide.
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