Quelle: Sputnik Symbolbild
Von Maria Müller
In Argentinien haben die Vorwahlen am vergangenen Sonntag die politische Landschaft völlig verändert. Bisher wechselten sich seit Ende der Diktatur 1983 zwei große politische Tendenzen ab. Man kann sie als progressive oder links-peronistische Kraft bezeichnen, der ein rechts-konservatives, neoliberales Spektrum gegenübersteht. Nun erhielten sie Konkurrenz von einer dritten Kraft, die die Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober gewinnen könnte: die neue rechtsextreme Partei La Libertad Avanza (LLA) des Ökonomen Javier Milei.
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Bis vor wenigen Monaten konzentrierte sich der Wahlkampf auf die regierende peronistische Koalition Unión por la Patria (UP) und die rechts-konservative Allianz Juntos por el Cambio (JxC). An der Spitze beider Bündnisse standen die wichtigsten und polarisierenden politischen Persönlichkeiten der letzten Jahre. Die progressive UP wird von der ehemaligen Präsidentin und aktuellen Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner angeführt, sowie von Präsident Alberto Fernández und dem aktuellen Wirtschaftsminister und Präsidentschaftskandidat Sergio Massa.
Im Fall der rechten Allianz JxC handelte es sich um den ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri und um Horacio Rodríguez Larreta, den Regierungschef der Stadt Buenos Aires, sowie um Patricia Bullrich, Macris frühere Innenministerin. Sie gewann nun die interne Konkurrenz.
Insgesamt wurden bei den Vorwahlen die Kandidaten für die Präsidentschaft und Vizepräsidentschaft des Landes gewählt, zudem 130 Abgeordnete und 24 Senatoren sowie weitere 19 Abgeordnete für die internationale Wirtschaftsorganisation in Lateinamerika MERCOSUR.
Obwohl die Wählerumfragen bereits vor Monaten zu erkennen gaben, dass die Stimmen für Milei und seine Partei ungewöhnlich zunehmen würden, rechnete man nicht damit, dass er sich mit 30 Prozent an die Spitze stellen würde. Er gewann in 16 der 24 Provinzen Argentiniens. In fünf davon (Salta, San Luis, Mendoza, Misiones und Jujuy) gewann Milei sogar über 40 Prozent, wohingegen die Regierungskoalition UP nur vier Provinzen für sich verbuchen konnte. Eine Protestwahl dominierte dieses Mal in Argentinien.
Die parlamentarische Machtverschiebung ist bereits festgelegt.
Egal, wer bei den Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober in Argentinien gewinnt, die Neuverteilung der Macht steht nach diesem Ergebnis bereits fest. Der Peronismus wird im Kongress nur noch 96 Abgeordnete haben, während die Rechte 107 Sitze gewann, und die Milei-Partei, die in der aktuellen Legislaturperiode nur drei Sitze innehatte, nun mit 41 Abgeordneten vertreten sein wird. Im Senat erhielt die Regierungskoalition UP 35 Sitze, während die bisherige Opposition JxC 27 Kongressmitglieder stellt. Der Neuling LLA gewann acht Sitze. Die Bilanz der Vorwahlen zeigt, dass die Wählerstimmen auf drei Parteien aufgeteilt sind, was letztes Jahr noch undenkbar war.
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Der Wahltag am Sonntag sorgte für Unsicherheit im Rennen um die Präsidentschaft. Momentan könnte jeder gewinnen. Die Rechte und extreme Rechte hat einen großen Vorsprung: Milei geht mit seinen 30 Prozent als Favorit an den Start, gefolgt von Bullrich mit 28 Prozent, während der aktuelle Wirtschaftsminister Massa mit 27 Prozent erst an dritter Stelle kommt. Allerdings ist es eher wahrscheinlich, dass die Wahl in einem zweiten Wahlgang am 19. November entschieden wird. Bis dahin können Milei und Bullrich eine Allianz bilden, um so der Rechten einen eindeutigen Vorsprung zu verschaffen.
Ein Schock in der politischen Klasse
Der unerwartete Zustrom an Unterstützung für den 52-jährigen Wirtschaftsfachmann Milei löste einen Schock in der politischen Klasse und in der Gesellschaft aus. Milei ist ein erklärter Bewunderer von Donald Trump und Jair Bolsonaro. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin ist Victoria Villarruel. Sie leugnet kategorisch die Verbrechen der letzten argentinischen Militärdiktatur (1976 bis 1983) und will gesetzliche Regelungen zu polizeilichen Repressionsmaßnahmen einschränken.
Noch vor drei Jahren galt Milei nur als Medienfigur, die durch Schreie, Beleidigungen und Kontroversen höhere Einschaltquoten erzielte. Aber niemand erwartete von ihm eine ernsthafte politische Karriere, geschweige denn einen Wahlerfolg.
Doch 2021 gewann er sein erstes Mandat als Abgeordneter. Er definiert sich selbst als “Anarchokapitalist” und “Liberaler”. Außerdem ist er ein erklärter Anhänger des Mystizismus, der ihn davon überzeugt, dass Gott ihm den göttlichen Auftrag gegeben hat, Argentinien zu regieren. Durch Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten und die traditionelle politische Klasse gewann er immer mehr Wähler in einem Land mit einer Inflation von über 100 Prozent und einer wachsenden Verarmung, die inzwischen über die Hälfte der Bevölkerung erreicht hat.
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Ein großer Teil seiner Popularität ist auch auf ein unbestreitbares Charisma mit besonderer Wirkung auf die junge Generation zurückzuführen, die in der Demokratie aufwuchs und für die die letzte Diktatur nur noch Geschichte ist.
Eines von Mileis beliebtesten Versprechen ist die Abschaffung der “Kaste”, wie er selbst die politische Klasse definiert. In zwielichtigen politischen Verhandlungen verbündete er sich jedoch mit Persönlichkeiten, die all das repräsentieren, was er angeblich kritisiert. Die Liste der Namen, die ihn finanziert haben oder an die er laut mehreren Ermittlungen Kandidaturen zum Preis bis zu 50.000 US-Dollar verkauft hat, deckt ideologische Spektren ab, die von der Ultrarechten bis zum Peronismus reichen. Darunter mehrere Millionäre aus dem Süden Argentiniens, die auf den Abbau der dortigen Bodenschätze setzen, um die es in den vergangenen Monaten heftige territoriale Auseinandersetzungen mit den Bewohnern gab.
Das politische Programm der Rechtsradikalen
Sein politisches Programm beinhaltet eine “starke Kürzung der öffentlichen Ausgaben”, “Steuersenkungen” und “eine Flexibilisierung der Arbeitswelt” sowie eine Finanzreform und ein “freies und dereguliertes Bankwesen zusammen mit freiem Währungswettbewerb”. Er schlägt die Dollarisierung der Währung als eine Option vor. Die Zentralbank müsse abgeschafft werden. Hinzu kommt die Privatisierung des öffentlichen Rentensystems, des Gesundheits- und Bildungssystems sowie der “defizitären öffentlichen Unternehmen”. Die Exportsteuern seien ganz abzuschaffen, der Import einzuschränken. Sozialpolitik soll es nicht mehr geben. Er will freien Waffenbesitz für alle Bürger und deren “legitimen Einsatz” und vieles mehr.
Gleichzeitig stellt er sich als “unpolitisch” dar, als ein Kandidat, der von all dem nichts verstünde, was “die da oben” machen. Denn sein Slogan heißt: “Alle Politiker sind korrupt.”
Vor den Wahlen (PASO) hatte Jair Bolsonaro selbst eine Unterstützungsbotschaft an Milei geschickt, in der er versicherte:
“Wir haben viele Dinge gemeinsam. [..] Wenn die Nachbarländer vom Sozialismus befreit sind, verfügt Brasilien über ein günstigeres Umfeld, um den Weg der Freiheit wieder aufzunehmen. Ausdauer!”
Übersetzt aus dem Spanischen.
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