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Von Jewgeni Norin
Sowjetische Geheimdienstoffiziere waren an ideologisch motivierte Agenten gewöhnt. Viele Spione beschafften ihnen streng geheime Informationen, motiviert durch ihre politischen Überzeugungen oder – wie sie es empfanden – um dem Wohl der Menschheit zu dienen. Andere taten es schlicht des Geldes wegen.
Auf die eine oder andere Weise hat das Leben eines echten Spions wenig mit dem weltberühmten James Bond zu tun. Manchmal geraten Geheimdienste sogar an die unwahrscheinlichsten Kandidaten. So wie Ende der 1960er Jahre, als Manfred Ramminger, ein deutscher Architekt, Rennfahrer und Playboy, sich freiwillig meldete, um die neueste US-Rakete für die UdSSR zu stehlen.
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Geschäftsmann, Playboy, sowjetischer Spion
Ramminger lebte in Westdeutschland und hatte eine Vorliebe für die Annehmlichkeiten des Lebens. Als geschäftstüchtiger Architekt baute er alles, was seine Kunden gebaut haben wollten. Er war aber auch ein Playboy, der die Aufmerksamkeit der Frauen suchte, ein Rennfahrer und ein Liebhaber reinrassiger Pferde.
In den 1960er Jahren wendete sich sein Schicksal jedoch zum Schlechteren, als in einem von seiner Firma gebauten Kino Deckenteile herunterstürzten. Es passierte mitten in einer Filmvorführung, und das ganze Gebäude musste komplett saniert werden. Für Ramminger drohte dadurch der finanzielle Ruin, was ihn sicherlich gezwungen hätte, seine Sekretärin zu feuern und seinen blauen Maserati zu verkaufen.
Beides war nicht Teil seines Lebensplans.
Manfred Ramminger mit einem Ferrari 250 GTO auf dem Nürburgring, 1964. GP Library / Universal Images Group über Getty Images
Die darauffolgenden Ereignisse entwickelten sich aus dem verzweifelten Versuch des deutschen Playboys, seinen Wohlstand und seinen luxuriösen Lebensstil zu bewahren.
Josef Linowski, ein polnischer Ingenieur, der für Ramminger arbeitete, erschien am 26. August 1966 in der sowjetischen Botschaft in Rom und teilte dort mit, dass seine Firma alles für die Sowjets besorgen könne, was sie selbst legal nicht beschaffen könnten. Die italienische Hauptstadt als Kontaktort zu den Sowjets wurde aus dem einfachen Grund gewählt, weil ein Besuch wie dieser, zum Beispiel in der sowjetischen Botschaft in Westdeutschland, die Aufmerksamkeit der Nachrichtendienste auf sich gezogen hätte. Italien war in dieser Hinsicht sehr viel sicherer.
Die sowjetischen Diplomaten in Rom leiteten das Angebot nach Moskau weiter. Die Beamten beim Militärnachrichtendienst GRU dachten darüber nach und entschieden, dass sie den eigenartigen Deutschen kennen lernen wollten. Ramminger, ein passionierter Reiter, wurde unter dem Vorwand, eine internationale Pferdeausstellung zu besuchen, nach Moskau eingeladen und traf sich dort mit sowjetischen Geheimdienstoffizieren.
Man einigte sich zwar, aber es war noch nicht ganz klar, was genau der Deutsche der UdSSR liefern würde. Ramminger behauptete, er könne Raketenausrüstung beschaffen, und nach seiner Rückkehr nach Westdeutschland ließ er Moskau wissen, dass er eine Rakete vom Typ Sidewinder stehlen könne.
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Der Diebstahl des Jahrhunderts
Die Sidewinder ist eine von den US-Amerikanern entwickelte gelenkte Luft-Luft-Rakete, die damals außer von der US Air Force nur noch von Japan und Deutschland eingesetzt wurde. Die Sowjets hatten bereits eine frühere Version dieser Rakete in die Hände bekommen, aber der Deutsche bot an, die neueste Modifikation zu liefern. Eine solche Rakete in unbeschädigtem Zustand zu erhalten, wäre sicherlich eine ausgezeichnete Trophäe gewesen. Tatsächlich klang es fast zu schön, um wahr zu sein, und so wurde Ramminger erneut zu Beratungsgesprächen nach Moskau eingeladen.
AIM-9-Sidewinder-Rakete. Getty Images / Timm Ziegenthaler
Ramminger ignorierte die Einladung kurzerhand. Er traf in der sowjetischen Hauptstadt erst dann ein, nachdem er seine Tat vollbracht hatte. Ramminger wurde im Hotel Ukraina untergebracht, wo er den Offizieren des GRU seine Heldentat schilderte.
Das Ganze durchzuziehen war fast beleidigend einfach. Es stellte sich heraus, dass Ramminger einen Mann namens Wolf-Diethard Knoppe rekrutiert hatte – einen deutschen Luftwaffenpiloten, der auch etwas Geld brauchen konnte –, und das Trio Ramminger, Knoppe und Linowski stahl die Rakete einfach vom Fliegerhorst Neuburg in Bayern.
Knoppe war mit dem Sicherheitsprotokoll und dem Alarmsystem des Munitionslagers sehr gut vertraut, und es gelang ihm, einen Abdruck des Lagerhausschlüssels zu erstellen, mit dem Linowski eine Kopie des Schlüssels anfertigte. Linowski beschaffte daraufhin Einbruchsausrüstung, komplett mit Dietrich, Drahtschneider, Zangen usw., während Ramminger einen Transporter, eine hydraulische Hebebühne und einen Rollwagen anmietete.
Das Herbstwetter kann in Bayern ziemlich schlecht sein, daher nutzten die Verschwörer den Schutz eines nächtlichen dichten Nebels, um sich am 23. Oktober 1966 dem Fliegerhorst zu nähern. Ramminger benutzte die Hebebühne, um Linowski, Knoppe und den Rollwagen über eine mit Stacheldraht bewehrte Mauer zu heben. Anschließend mussten sie nur noch ein Loch durch einen Maschendrahtzaun schneiden. Knoppe deaktivierte den Alarm, und Linowski öffnete das Lagertor, indem er den nachgefertigten Schlüssel verwendete. Sie suchten sich die passende Rakete aus und schoben diese anschließend auf dem Rollwagen nach draußen. Dort brachten sie das Vorhängeschloss wieder am Tor an und aktivierten den Alarm.
Nachdem die Rakete, die Hebebühne und der Rollwagen im Miettransporter verstaut waren, fuhren sie los. Knoppe ging nach Hause, während die beiden anderen die Rakete in ein privates Fahrzeug von Ramminger umluden und in Decken wickelten. Die Sidewinder war jedoch zu lang für das Fahrzeug. Also schlug Ramminger kurzerhand das Rückfenster seines Fahrzeugs ein und fuhr dann in die Nacht – mit einer in Decken gewickelten Luft-Luft-Rakete, deren Ende aus seinem Rückfenster rausragte.
Was anschließend geschah, ist beispiellos. Ramminger deklarierte die Einzelteile der mittlerweile auseinandergenommenen Rakete als Pkw-Ersatzteile und verschickte sie einfach per Luftfracht nach Moskau. Der Frachtdienst stellte keinerlei Fragen und berechnete ihm lediglich 79,29 Dollar zusätzlich zu den regulären Frachtkosten – wegen Übergewichts.
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Da aber die Transportkiste mit den Raketenteilen unterwegs verloren ging, wäre dies beinahe das Ende dieser unglaublichen Operation gewesen. Die Fracht wurde irrtümlicherweise an den falschen Bestimmungsort geliefert. Ein wütender Ramminger gab jedoch den Mitarbeitern der Lufthansa Zunder und machte ihnen Beine, sodass die Kiste schließlich gefunden und anschließend sicher in Moskau abgeliefert werden konnte, wenn auch mit Verzögerung. Die Leute in Moskau waren sprachlos.
Der GRU händigte Ramminger 92.000 D-Mark in bar aus – in den 1960er Jahren eine beachtliche Summe – und dieser ging danach glücklich seines Weges.
Ein Plakat an einer Ecke in Moskau wirbt für den Film: “Wer sind Sie, Dr. Sorge?” Richard Sorge war im Zweiten Weltkrieg ein deutscher Spion, der für die Sowjetunion tätig war. Getty Images / Bettmann
Ein schmachvolles Ende
Die sowjetische Botschaft in Rom erhielt 1968 einen weiteren Brief von Ramminger, in dem er versprach, Geräte für Funknavigation zu beschaffen. Moskau wollte dazu mehr Details wissen, aber wieder verschwendete Ramminger keine Zeit mit Briefwechseln und stahl die begehrten Geräte einfach kurzerhand aus einem Ausstellungsraum des Herstellers. Er begab sich dann im Sommer 1968 nach Moskau – und er kam nicht mit leeren Händen an.
Das war jedoch sein letzter Erfolg als Agent. Im selben Jahr überführte die deutsche Spionageabwehr das Trio. Alle drei wurden wegen des Diebstahls der Sidewinder vor Gericht gestellt. Aber dass es so endete, war tatsächlich ihre eigene Schuld. Knoppe ging zu großzügig mit seinem Geld um, während Linowski so weit ging, in Bars vor Leuten damit zu prahlen, was für ein knallharter Agent er doch sei. Dennoch erhielten alle drei verhältnismäßig milde Strafen. Ramminger und Linowski bekamen jeweils vier Jahre aufgebrummt, während Knoppe mit drei Jahren und drei Monaten davonkam.
Nach seiner Freilassung versuchte Ramminger, die Beziehungen zu Moskau wieder aufzunehmen, aber der GRU war nicht an einem Agenten interessiert, dessen Tarnung aufgeflogen war. Der abenteuerlustige Deutsche wurde später auf einem Parkplatz in Antwerpen erschossen aufgefunden. Es ist bis heute nicht genau klar, was passiert ist. Vielleicht war es die Rache der deutschen Sicherheitsdienste, oder es war sehr wahrscheinlich, dass Ramminger sich mit der Mafia eingelassen hatte. Und die organisierte Kriminalität ist ein weit schmutzigeres und härteres Geschäft als die organisierte Spionage.
Aus dem Englischen.
Jewgeni Norin ist ein russischer Historiker mit Fokus auf Russlands Kriege und internationale Politik.
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