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von Dr. Karin Kneissl
“Es ist kein Naturgesetz, dass russisches Erdgas westwärts fließt”, hatte der Gazprom-Vorstandschef Alexei Miller bereits 2002 bei einer Energiekonferenz gesagt. Ich verwendete dieses Zitat oft bei meinen Vorträgen zur Geopolitik auf dem Erdöl- und Erdgasmarkt. Denn ab 2004 wurde konsequent an neuen Lieferverträgen russischer Rohstoffe an die Volksrepublik China gearbeitet. Doch zugleich wurde die Infrastruktur von Pipelines für den europäischen Markt ausgebaut.
Die versenkten Projekte South Stream und Nord Stream 2
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Es sind die westsibirischen Erdölfelder, die für die Versorgung europäischer, aber auch nahöstlicher Importeure, wie die Türkei, mit fossilen Energieträgern genutzt werden. Von hier aus wurden auch in den letzten Jahrzehnten die Leitungen in Richtung Westen errichtet. Infolge der Transitprobleme via Ukraine 2006 und noch heftiger 2008, wurden nach Alternativen gesucht. Das Thema Diversifizierung wurde immer konkreter, und zwar sowohl aus Sicht der Importeure wie auch der Exporteure. Dazu zählten auch direkte Verbindung unter Umgehung der Transitländer.
Doch wurde das Projekt South Stream über das Schwarze Meer kurz vor der Bauphase im Juni 2014 von der Europäischen Kommission gestoppt, so wurde Nord Stream 2 als erweiterte Leitung der bestehenden Röhren nach Fertigstellung in der Zertifizierungsphase suspendiert. Der Auslöser hierfür war der russische Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar. Ich hatte bereits 2018 meine Sorge bekundet, dass diese Pipeline allen Schwierigkeiten zum Trotz fertigstellt, aber vielleicht nie in Betrieb genommen würde. So geschah es denn auch. Der politische Druck der USA gegen diese Leitung war seit Jahren heftig. Der militärische Konflikt brachte den idealen Auslöser aus US-Sicht, die deutsche Bundesregierung legte die Pipeline auf Eis. Meines Erachtens wird sie nie in Betrieb gehen.
Die “Yuanisierung” des Rohstoffhandels
Dass die wesentlichen Rohstoffmärkte in Asien liegen, das wurde spätestens im Zuge der in den USA losgetretenen Finanzkrise im Sommer 2008 klar. Damals zog die chinesische Konjunkturlokomotive den Rohstoffmarkt aus dem totalen Preisverfall heraus. Zur Erinnerung: Im Herbst 2008 verfielen infolge des Bankenkollaps in den USA die Erdölpreise von rund 150 US-Dollar pro Fass auf um die 30 US-Dollar pro Fass. Eine Spekulationsblase zerplatzte laut.
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Die Attraktivität des asiatischen Marktes, auf dem China eine wichtige Rolle spielt, aber kein Monopol hält, ergibt sich nicht nur aus der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Aufstieg einer Mittelschicht, die reist und einkauft. Es geht auch um die Demografie und die grundsätzliche Energiepolitik, also um die Nachfragesicherheit. Denn angesichts einer überalterten Bevölkerung in Europa, eines Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor und anderer Unwägbarkeiten gelten die asiatischen Abnehmer, aber ebenso die neuen Aufsteiger auf dem afrikanischen Kontinent zu den interessanten Energie Importeuren.
Damit dreht sich auch auf einer anderen wichtigen Ebene des Rohstoffhandels einiges, nämlich in der Währungsfrage. Wie zuletzt medial immer intensiver debattiert, wankt die Monopolstellung des US-Dollars als Reservewährung. Erdöl wird weltweit im Dollarpreis pro Fass berechnet. Einige Stimmen sprechen daher von einer “Yuanisierung”, also der chinesische Yuan könnte in einem neu zusammengesetzten Währungskorb eine wachsende Rolle anstelle des US-Dollar spielen. Eine solche Wende würde die Weltwirtschaft und vor allem den Energiehandel dauerhaft verändern.
Die Drehkreuze der Flugrouten liegen östlich von Berlin
Was sich im Sektor der Energieversorgung seit bald 20 Jahren abzeichnet, verläuft zeitgleich auf dem Gebiet der wesentlichen Flugrouten. Die wichtigen “hubs”, also Drehkreuze der Airlines, sind schon lange nicht mehr Paris oder Wien, sondern Istanbul und Dubai. Der weltgrößte Flughafen ist der neue Airport am Bosporus, der im Gegensatz zu jenem in Berlin funktioniert, und dies auf einer anderen Skala.
Viele Jahre unterrichtete ich in Zentralasien und im Libanon, in Istanbul umzusteigen, war eine Routine, die ich schätzte. Denn allen Sorgen vor Terroranschlägen zum Trotz herrscht an türkischen Flughäfen eine angenehme Atmosphäre der Überschaubarkeit und Gastfreundschaft. Davon kann an den meisten europäischen Flughäfen leider keine Rede mehr sein.
Meinung
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Und dennoch: Ein Eurozentrismus bestimmt unser Handeln, wenngleich schon der Philosoph Eric Hobsbawm daran erinnerte, dass das lange europäische Jahrhundert mit der blutigen Französischen Revolution 1789 begonnen hatte und dem Ausbruch des “großen Krieges”, wie ihn die Zeitgenossen nannten, 1914 endete. Wir erachten die europäische Energiewirtschaft immer noch als den Nabel der Welt und verkennen, dass die Preiskrise 2021 unter anderem der Tatsache geschuldet war, dass die Flüssiggas-Tanker lieber nach Shanghai als Rotterdam lieferten, weil dort die höheren Preise gezahlt wurden und werden.
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Aktuell driftet die europäische Wirtschaft nach Jahren der Pandemie, hoher Energiepreise und möglicherweise einer absoluten Energieverknappung im Fall eines Lieferstopps russischen Erdgases in eine neuerliche Rezession, dies in der gefährlichen Kombination mit einer galoppierenden Inflation. Das düsterste Szenario, das ich mir hierzu vorstelle, wäre dann noch ein tagelanger Stromausfall.
Wie wird die Staatengemeinschaft inmitten von Wirtschaftskrieg infolge massiver Sanktionen gegen Russland, massiver Fluchtbewegungen aus dem Kriegsgebiet Ukraine wegen der Bombardierungen und einer Energieverknappung, die auch die Nahrungsmittelversorgung betreffen wird, den Kurs halten? Wir sollten begreifen, dass wir zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe gezwungen sind. Die Welt ist in den letzten Jahren zersplittert, wie ich dies in einem Sachbuch im Jahre 2013 erläutert hatte. Das Gravitationszentrum verlagert sich nach Osten, wo es vor dem Aufstieg des Britischen Empire und der Zerstückelung des Reichs der Mitte auch lag. Aus chinesischer Sicht endet daher bloß eine historische Unterbrechung und die Weltgeschichte kehre zu einer gewissen Normalität zurück, in der die chinesischen Vorgaben dominieren.
Was die Pipelines und Airlines bereits tun, nämlich auf Ost zu drehen, wird sich in vielen anderen Bereichen noch ähnlich abspielen. Bereits vor 20 Jahren hatte ich meinen Studenten geraten, eher in Asien als in Nordamerika ein Folgestudium zu absolvieren. Wir werden uns mit diesen vielen sehr unterschiedlichen Mentalitäten befassen und die Sprachen erlernen müssen.
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