Meinung Täuschen, Ablenken, Relativieren: Deutsche Medien über abgehörtes Luftwaffen-Telefonat
Wenn man aber davon ausgeht, dass genau dieser Umgang mit der Information erwartet wurde, dann hätten sogar die Befürworter eines derartigen Einsatzes die Aufzeichnung weitergeben können, in der Erwartung, daraus Honig saugen zu können. Gleichzeitig hätte jemand, der sie aus den Reihen der Gegner einer Taurus-Lieferung weitergab, darauf hoffen müssen, dass die enthaltenen Informationen sich trotz der weitgehenden Gleichschaltung in ihrer inhaltlichen Brisanz Bahn brechen würden.
Bei Letzterem gibt es zwei Varianten: die Verbindung zwischen BND und Kanzleramt ist enger als die mit den anderen Diensten, es ist also nicht völlig auszuschließen, dass Olaf Scholz selbst (oder eben der Kanzleramtschef) um Schützenhilfe gebeten hat, weil die Berliner Blase gar so uneinsichtig ist, was das Risiko dieser Lieferung betrifft. Oder aber es gibt doch noch, irgendwo entlang der Lauschkette, Menschen, die verhindern wollen, dass das Land noch tiefer in einen völlig irrwitzigen Krieg verstrickt wird.
Eine weitere Version lieferte im Focus der Oberst a.D. Ralph Thiele. “Wir müssen davon ausgehen, dass zahlreiche Nachrichtendienste deutsche und auch Bundeswehrnetze abhören – übrigens auch deutsche Dienste”, erklärte er.
“Gegenüber Focus online sagte er: ‘Grundsätzlich gibt es zwei »Verdächtige« ‘, die das Gespräch abgehört und in Umlauf gebracht haben könnten. Zum einen die westlichen Staaten. Sie könnten ein Interesse daran haben, das vorsichtige Vorgehen von Bundeskanzler Scholz zu untergraben, so der Militärexperte.
Putin wiederum habe ein Interesse daran, das Vertrauen in die Bundesregierung durch Maßnahmen der hybriden Kriegsführung zu untergraben.
‘Da in der hybriden Kriegsführung – in der zum Beispiel auch die Briten Meister sind – bevorzugt über Dritte agiert wird, ist zunächst nichts so, wie es scheint.’ Vor einer vorschnellen Bewertung sei größte Vorsicht geboten, meint Thiele.”
Das sind Sätze, die man dechiffrieren muss. Und es ist sehr interessant, dass er auf die Briten hinweist; schließlich hat die Bemerkung, dass “bevorzugt über Dritte agiert wird”, in diesem Zusammenhang im Grunde die Bedeutung, dass gerade, weil russische Dienste diese Daten zur Veröffentlichung gegeben haben, sie mit hoher Wahrscheinlichkeit eben nicht von russischen Diensten erlangt wurden.
Thiele ist nun jemand, der mit Sicherheit beste Verbindungen hat, sowohl in Richtung Bundeswehr als auch in Richtung verschiedenster Dienste; außerdem sitzt er im Beirat des Arbeitgeberverbands. Während man die meisten Aussagen von Personen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann einfach so weglesen kann, ist Thiele jemand, der eine Botschaft an der Oberfläche, und eine andere im Subtext liefern kann. Und er deutet auf deutsche Dienste und auf die Briten; der Satz zu Putin ist Dekoration.
Medwedew: Die Deutschen sollten froh sein, dass Russland einen kühlen Kopf bewahrt
Bei derart vielen Möglichkeiten kann man schon einige Zeit damit verbringen, sie hin- und herzuwälzen und zu jeder einzelnen davon Motiv und Ziel überlegen. Die sichtbare Handlung, also die Übergabe der Aufnahme an Simonjan mit darauf folgender Veröffentlichung, ist nur die äußerste Oberfläche eines Ereignisses, dessen tatsächliche Akteure mitnichten mit dem übereinstimmen müssen, was auf den ersten Blick zu sehen ist.
Man kann aber auch die Version für ganz Dumme liefern, wie Strack-Zimmermann. Die ignoriert, dass es auch auf russischer Seite nicht eine Person gibt, die alles entscheidet, sondern einen politischen Entscheidungsspielraum, der sich erweitern und verengen kann. Wobei die bisherige Haltung der russischen Regierung sehr zurückhaltend war, diese Zurückhaltung aber desto schwerer wird, je massiver die Beteiligung wird.
Ihre Formulierung, “Putin (…) empfindet uns schon als Feinde. Und deswegen greift er uns an. Nicht mit Raketen, sondern mit hybriden Möglichkeiten”, ist völlig absurd, wenn es gerade um die Grenze zwischen einer nicht-kinetischen und einer kinetischen Auseinandersetzung geht. Der Zeitpunkt, an dem die russische Regierung feststellt, nicht mehr umhin zu können, Deutschland als Teilnehmer an diesem Krieg zu betrachten, dürfte allerdings auch für Strack-Zimmermann erkennbar sein – das ist an dem Morgen der Fall, an dem sie aufwacht und sieht, dass sich an der Stelle des Bundeskanzleramts eine rauchende Trümmergrube befindet. Und das ist noch die konventionelle Version.
Manchmal hat man den Eindruck, die gesamte Berliner Blase ginge davon aus, dass jedes Land der Welt es so schweigend hinnimmt, wenn wichtige Infrastruktur zerstört wird, wie sie selbst es bei Nord Stream tun. Und man könne es – unter dem Schutz des feindseligen Verbündeten USA – wagen, mal eben ein paar Raketen gegen eine Atommacht zu schicken. Dabei wäre gründliches Nachdenken und, darauf basierend, vorsichtiges Agieren das Minimum, was im nationalen Interesse gefordert wäre. Ganz abgesehen von den vielfältigen Möglichkeiten, die sich unter der Oberfläche dieses Leaks verbergen, wird nicht einmal die Botschaft an der Oberfläche verstanden. Die schlicht lautet:
Denkt nach. Noch habt ihr Zeit dafür.
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