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Das Völkerrecht als Buffet für den Westen: Merkel und Baerbock langen kräftig zu

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Quelle: www.globallookpress.com © Wolfgang Kumm / dpaEx-Bundeskanzlerin Angela Merkel versinkt am Tisch beim Hermann Hesse Festival 2017 (Archivbild)

Von Dagmar Henn

Es wirkt fast, als hätten sie sich verabredet. Es ist erst wenige Tage her, dass Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit der Zeit öffentlich erklärte, auch sie habe, wie Poroschenko, die Minsker Vereinbarungen nur abgeschlossen, um der Ukraine Zeit zu verschaffen; und nun twittert Außenministerin Annalena Baerbock Folgendes:

Mehr muss man über die deutsche Haltung zum Völkerrecht eigentlich nicht wissen.

Völkerrecht? Was hat das mit dem Völkerrecht zu tun, dürften einige fragen.

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Schauen wir auf Fall 1, die Minsker Vereinbarungen. Sie wurden – zugegeben, auf russische Veranlassung – vom UN-Sicherheitsrat übernommen. Der deutsche Vertreter, Harald Braun, hat wie alle anderen Mitglieder dafür gestimmt. Das bedeutet, Deutschland war eine völkerrechtliche Verpflichtung eingegangen, die Minsker Vereinbarungen durchzusetzen. Es hätte in den acht Jahren, in denen sie nicht umgesetzt wurden, als größter Geldgeber der Ukraine jederzeit die Möglichkeit gehabt, Druck dafür auszuüben, hat dies aber nicht getan.

Was die Aussage von Angela Merkel nun belegt, ist, dass von westlicher Seite die ganzen Minsker Vereinbarungen ein Täuschungsmanöver waren; damit wurde auch die Zustimmung zur Übernahme im UN-Sicherheitsrat ein Täuschungsmanöver.

Und nun betrachte man folgendes altes Zitat aus der Tagesschau vom 19. Juni 2020:

“Die EU-Staats- und Regierungschefs haben auf ihrer Videokonferenz die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen des Konflikts in der Ukraine um ein halbes Jahr bis zum 31. Januar 2021 verlängert. Bundeskanzlerin Angela Merkel begründete die Entscheidung damit, dass es bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarung keine ausreichenden Fortschritte gegeben habe.”

Nicht nur, dass die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen die ganze Zeit über in deutscher Hand lag, nicht in russischer; nicht nur, dass dennoch von deutscher Seite kein Schritt zur Umsetzung erfolgte; nicht nur, dass dadurch eine völkerrechtliche Verpflichtung ignoriert wurde; nein, mit Verweis auf die Folgen eigener Untätigkeit wurden gleich mehrmals Sanktionen gegen Russland verlängert, deren Aufhebung, das ergibt sich aus diesem Rückblick, nie beabsichtigt war.

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Denn die Pause, die der Ukraine durch dieses Abkommen verschafft wurde, diente ja nicht dazu, die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu verbessern, sondern dazu, die Spaltung zu vertiefen und den Staat erneut aufzurüsten. Womit gleichzeitig bestätigt wird, dass ein weiterer Überfall auf Donezk und Lugansk die ganze Zeit Teil der deutschen Absichten war. Wodurch – das will man in Deutschland jetzt sicher nicht hören – die militärische Sonderoperation Russlands, sieht man sie als militärische Unterstützung der zuvor anerkannten beiden Donbassrepubliken, einen legitimen und völkerrechtlich legalen Teil einer ebenso völkerrechtlich legalen Selbstverteidigung gegen einen bevorstehenden Angriff darstellt.

Aber wen interessiert in Deutschland schon das Völkerrecht, abseits der Floskel vom “völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg”. Man nutzt es bei Gelegenheit, und bricht es, wenn es gerade in den Kram passt.

Der Ehrlichkeit halber sollte man erwähnen, dass es international einige Analytiker gibt, die meinen, Merkels Aussage sei nur der Tatsache geschuldet, dass ihr inzwischen in Deutschland selbst die Minsker Vereinbarungen zum Vorwurf gemacht würden; sie habe ursprünglich tatsächlich eine Entwicklung hin zu einem Frieden beabsichtigt. Sowohl das Duo Mercouris/Christoforou, als auch Bernhard von Moon of Alabama sind dieser Überzeugung.

Allerdings sprechen die Fakten dagegen. Der Zeitplan der Minsker Vereinbarungen sah eine Verfassungsänderung in der Ukraine bis Ende 2015 vor, die die Autonomie der Gebiete Donezk und Lugansk geregelt hätte und die zusammen mit Vertretern beider Gebiete hätten entworfen werden müssen. Bis Ende 2015 war nichts dergleichen geschehen.

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Nun ist ein Teil der Resolution 2022 auch der Anhang II, die gemeinsame Erklärung der an Minsk beteiligten Staatschefs, explizit darunter die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Und darin liest man: “Die Staatschefs werden zu diesem Prozess beitragen und werden ihren Einfluss auf die relevanten Parteien nutzen, um die Umsetzung dieses Maßnahmenpakets zu erleichtern.” Aus diesem Satz folgert eigentlich logisch, dass die Bundesregierung in dem Moment, in dem absehbar war, dass die Ukraine ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, hätte Druck ausüben müssen.

Dass dieser Druck nicht ausgeübt wurde, ist unübersehbar. Gegen die Behauptung, Angela Merkel habe nur keinen Konflikt mit den USA und den Briten eingehen wollen, spricht ein sehr subtiles Argument – ihre Kleidung. Es mag sein, dass die Wünsche der USA einen Einfluss auf die deutsche Politik gegenüber der Ukraine hatten, wobei man nicht vergessen sollte, dass der deutsche Einfluss gerade auf die Bandera-Anhänger älter und stabiler ist als der US-amerikanische; aber die Farbe der Blazer, in denen Angela Merkel zu offiziellen Terminen erschien, unterlag auf keinen Fall einer externen Kontrolle.

Als Merkel Poroschenko 2014 das erste Mal besuchte, trug sie einen blütenweißen Blazer. Und der Blick, den sie Poroschenko zuwarf, erinnerte an den Blick, mit dem Gollum im “Herrn der Ringe” den Ring betrachtete. Bei späteren Begegnungen war der Blazer zwar nicht mehr weiß, aber immer noch heller als das auf ihrer Skala neutrale Orange oder Hellblau. Bei Treffen mit Putin trug sie hingegen immer schwarze Blazer.

Wenn man davon ausgeht, dass an diesem Punkt die Haltung der Privatperson Angela Merkel sichtbar wird (die, anders als jene einer Annalena Baerbock, durchaus hinter die Rolle zurücktreten konnte). Dann deckt sich das deutlich eher mit dem eingestandenen Betrug als mit einem angenommenen echten Friedenswillen. Aber Merkel hätte die Täuschung vermutlich nicht ausgeplaudert, bestünde im heutigen Deutschland nicht eine Atmosphäre, in der ein völkerrechtlicher Betrug dem Ansehen weniger schadet als eine Russland gegenüber zumindest verhandlungsbereite Position (von offen oder freundschaftlich ganz zu schweigen).

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Nun zu Fall 2, zurück zum Tweet von Annalena Baerbock; dieser kurze Text liefert den Beweis, dass Angela Merkels Verhältnis zu den Minsker Vereinbarungen kein einmaliger Ausrutscher war. Denn auch zur Frage des Kosovo gibt es eine Resolution des UNSC, die Resolution 1244 aus dem Jahr 1999. Nach Anhang II Punkt 6 kann die serbische Armee “eine Präsenz an Stätten des serbischen Kulturerbes” aufrechterhalten.

Baerbock erklärt nun, eine Entsendung serbischer Truppen in den Kosovo sei “völlig inakzeptabel”. Die serbische Premierministerin Ana Brnabić hat ihr inzwischen in mehreren Tweets geantwortet:

“Im letzten Communique der Außenminister der G7-Länder (14. Mai 2022) forderten sie im Umgang mit jedem Problem oder jeder Krise in der Welt (Libyen, Syrien, Jemen, Somalia etc.) eine strikte Umsetzung der entsprechenden Resolution des UN-Sicherheitsrates.”

In ihren weiteren Tweets schrieb sie:

“Jetzt sagt überraschenderweise die Außenministerin Deutschlands, dass die UNSCR-Resolution 1244 – die festlegt, dass Serbien das Recht hat, die Rückkehr einer bestimmten Zahl seiner Sicherheitskräfte in den Kosovo zu verlangen – ignoriert werden sollte. In den Begriffen des internationalen Rechts und der Stabilität, entlang welcher Kriterien entscheiden Sie, welche UNSCR-Resolution respektiert werden muss, und welche ignoriert werden soll – z.B. im Falle von Libyen muss UNSCR 2571 respektiert werden, aber im Falle von Serbien muss UNSCR 1244 ignoriert werden? Verblüffendes Niveau der Absurdität. Was die Serben im Kosovo wünschen, ist Frieden und Stabilität. Wir hätten auch nichts dagegen, etwas Respekt für das internationale Recht, die UN-Charta, UNSCR zu sehen … und zuletzt noch: es gäbe keine Spannungen die verringert werden müssten, hätte Kurti Vereinbarungen respektiert und sie nicht einseitig gebrochen.”

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So weit die serbische Premierministerin. Baerbock erklärt, der Kosovo habe sich mittlerweile für unabhängig erklärt, und damit sei die Resolution 1244 gegenstandslos. Allerdings – gleich, wie viele Länder der EU die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen, auf der Ebene des UNSC ist sie nicht anerkannt. Und damit bleibt die Resolution 1244 gültig. Da nach der Rechtshierarchie das UN-Recht dasjenige der EU bricht, hat sich also an der Gültigkeit von Resolution 1244 nichts geändert. Es gibt sicher selbst im Auswärtigen Amt noch Mitarbeiter, die das Baerbock erklären könnten; mag allerdings sein, sie fürchten sich davor, ihr zu widersprechen. Weil sie sonst ebenso zu Agenten erklärt werden wie die Mitarbeiter von Habeck.

Klar ist: Auch jetzt werden Resolutionen des UN-Sicherheitsrates rein willkürlich mal betont, mal ignoriert. Und wenn sie Gelegenheit dazu erhielte, würde sicher auch Baerbock eine Resolution unterstützen, deren Bruch sie bereits beabsichtigt.

Auch, wenn man in Deutschland immer noch glaubt, sich ein solches Verhalten erlauben zu können, auf der einen Seite stets anderen Vorhaltungen zu machen und sich selbst die Regeln so zurechtbiegen zu können, wie es gerade genehm ist – der Rest der Welt beobachtet genau. Und nicht nur Merkels Aussagen, auch deren Bedeutung ist bis in Länder vorgedrungen, die nach Baerbockscher Geografie vermutlich “hunderttausende Kilometer” entfernt liegen.

So beispielsweise schreibt die Zimbabwe Mail darüber:

“Laut Merkel waren die ‘Friedensvereinbarungen’ 2014/15 dafür gedacht, Kiew reichlich Zeit zu verschaffen, um während der langen Pause in den Feindseligkeiten sein Militär zu stärken. Unter jahrelangen fruchtlosen Aufrufen von Russland, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, bummelte Kiew mit Unterstützung von Frankreich, Deutschland und dem Westen, absichtlich herum. Februar dieses Jahres riss Russlands Geduldsfaden, der gründlich auf die Probe gestellt worden war, endgültig. Was dazu führte, dass Moskau die ‘militärische Sonderoperation’ begann. Der Westen, der während der zahllosen russischen Appelle, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, gleichgültig geblieben war, bestätigte daraufhin Merkels Aussage in Wort und Tat.”

So sehr sich Merkel vielleicht, aber mit Sicherheit Annalena Baerbock nach Anerkennung aus dem Weißen Haus sehnen mag, für die diplomatische Zukunft Deutschlands ist entscheidend, was dort, hinter den hunderttausenden Kilometern, gedacht wird. Es mag ein unglücklicher Zufall sein, dass Merkels Aussagen zu Minsk und Baerbocks Aussagen zum Kosovo zeitlich so nah beieinander liegen; die Wirkung wird jedenfalls nicht ausbleiben. Den letzten Rest an Vertrauen, der nach Merkels Sätzen noch übrig war, dürfte Baerbocks willkürlicher Umgang mit der UNSC-Resolution zum Kosovo jetzt zerstört haben. Etwas anderes als nach US-amerikanischen Leckerlis zu springen, ihre Bademäntel spazierenzutragen und auf Kommando “Sitz” zu machen, wird Annalena Baerbock in ihrer Zeit in der Adenauerallee nicht mehr zu Stande bringen.

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