Quelle: www.globallookpress.com © Peter Druk/XinHua/ Global Look Press Charkow Juni 2022, Symbolbild.
Von Bernd Murawski
Die nach der Intention Moskaus regional begrenzte Militäraktion in der Ukraine hat sich mittlerweile zu einem geopolitischen Tauziehen ausgeweitet. Die kriegerischen Handlungen wurden durch einen Propagandafeldzug ergänzt, in dem sich der Westen geschlossen gegen Russland positioniert. Eine globale Dimension hat der Konflikt durch die westlichen Sanktionen im Wirtschafts- und Finanzsektor erhalten. Inzwischen zeichnet sich ab, wer auf diesen drei Konfliktfeldern Gewinner und wer Verlierer ist. Das Resultat mag manche überrascht haben.
An der militärischen Front kann von einer Pattsituation gesprochen werden – trotz der kürzlichen Territorialgewinne der Ukraine bei Charkow und des langsamen Vordringens der russischen Militärkräfte auf dem Schlachtfeld bei Donezk. Im Informationskrieg kann der Westen für sich einen Sieg verbuchen. Er muss jedoch konstatieren, dass sich die Erfolge seiner Propaganda weitgehend auf den eigenen Machtbereich beschränken. Überdies besteht die Gefahr, dass das öffentliche Interesse nachlässt und politische Beschwörungen immer weniger Wirkung zeigen.
Westliches Interesse besteht ganz objektiv
Was den Wirtschaftskrieg betrifft, haben sich nicht nur Annahmen einer Fragilität der russischen Volkswirtschaft als inkorrekt erwiesen, sondern die Sanktionen werden zunehmend zum Bumerang für den Westen selbst. Robert Habecks Reisen nach Katar, Norwegen und Kanada haben nicht dazu beigetragen, baldigen Ersatz für die russischen Gaslieferungen zu finden.
Meinung
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Die vorausgegangene Deregulierung der Finanzmärkte verschärft die Lage, da die absehbare Verknappung von Gas wie auch anderer Energieträger schon heute zu massiven Preissteigerungen an den Spotmärkten führt. Die höheren Kosten für Gas und Strom strangulieren Produzenten und Konsumenten und setzen eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang, die kaum mehr durch staatliche Hilfspakete aufgehalten werden kann.
Augenscheinlich besteht ein objektives Interesse der betroffenen Staaten an einer baldigen Konfliktlösung, die Voraussetzung für eine zumindest partielle Aufhebung der Sanktionen ist. Allerdings haben sich die westlichen Staatslenker derart weit hinausgelehnt, dass ein Rückzug erheblich an ihrer Glaubwürdigkeit nagen würde. Besonders Hardliner, die in den USA, in Großbritannien und in westlichen Anrainerstaaten Russlands am Machthebel sitzen, würden einen herben Gesichtsverlust erleiden. Sie müssten ihr Hauptziel aufgeben, das erklärtermaßen nicht das Wohl der Ukraine, sondern die Schwächung Russlands ist.
Im Gegensatz zu den EU-Staaten sind die USA nur geringfügig von den Sanktionen betroffen, ja der vermehrte Export von Fracking-Gas verschafft ihnen sogar Vorteile. Gleichwohl würde ein Wirtschaftseinbruch in Europa deren eigene Exportbranchen treffen. Gravierender dürfte der Tatbestand sein, dass bei einem Wettbewerbsverlust der deutschen Wirtschaft infolge steigender Energiekosten der globale Kontrahent China Hauptprofiteur ist.
Zudem sind der US-Führung die auf russisches Drängen forcierten Bemühungen zur Schwächung des westlich dominierten Finanzsystems kaum entgangen. Dessen vom Westen vorgenommene Demontage durch die Einfrierung von Auslandsvermögen der russischen Zentralbank könnte Nachahmer finden.
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So könnten Staaten des globalen Südens, die in US-Dollar verschuldet sind, eine Rückzahlung der Kredite verweigern. Das offensichtliche Fiasko der antirussischen Sanktionen und zu erwartende Hilfszusagen aus China würden die Angst vor einem westlichen Wirtschaftsembargo mindern. Zusammen mit der zunehmenden Fakturierung des Rohstoffhandels in Landeswährungen würde der Dollar-Dominanz ein Ende bereitet werden.
Fehleinschätzungen und Herausforderungen der russischen Seite
Russland ist es zwar gelungen, seine Position in internationalen Formaten wie den BRICS und der SZO zu behaupten und die meisten Staaten zu einer neutralen Haltung zu bewegen. Dennoch lassen sich wirtschaftliche Rückschläge nicht gänzlich vermeiden. China als wichtigster Wirtschaftspartner will sich verständlicherweise nicht US-Sanktionen aussetzen. Seine Unternehmen üben sich in Zurückhaltung und können nur beschränkt und mittels komplexer Firmenvehikel die russische Technologienachfrage befriedigen. Und obwohl viele Ersatzteile und andere Produkte aus dem Westen – etwa über Kirgistan – weiterhin nach Russland gelangen, geschieht dies gegen Aufpreis und mit Verzögerung.
Gleichwohl ist Russland im militärischen Konflikt mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert. Der frühe Versuch des Kremls, die ukrainische Militärführung angesichts der schieren Übermacht der russischen Armee zu Kapitulation und Machtübernahme in Kiew zu bewegen, ist gescheitert. Ebenso wenig haben sich Erwartungen eines Aufstands der Bevölkerung in den mehrheitlich russisch-sprachigen Großstädten erfüllt. Anstatt dass die ukrainische Kampfbereitschaft durch die Drohkulisse von auf Kiew vorrückenden Panzerverbänden gebrochen wurde, entwickelte sich ein wachsender Widerstandswille, bei dessen Forcierung der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij durchaus Talent bewies.
Die ursprüngliche Absicht, durch Vermeidung von zivilen Opfern und einer Zerstörung von Verkehrswegen und anderen Infrastruktureinrichtungen die Sympathien der ukrainischen Bevölkerung zu erlangen, ist nicht nur fehlgeschlagen, sondern half dem ukrainischen Militär bei dessen Gegenwehr. Zudem konnte es seine Reihen durch eine allgemeine Mobilmachung auffüllen, während die russische Seite sich auf Vertragssoldaten stützte. Die Fähigkeit, freiwillige Kämpfer zu rekrutieren, ist trotz angemessenen Solds und einer Garantie auf Rückkehr an den Arbeitsplatz begrenzt. Unweigerlich hat dies Folgen für die Kampfführung. Die derzeitige Taktik, den Gegner mit überlegener Artillerie zu zermürben, bevor die eigene Armee vorrückt, ist offenbar der Notwendigkeit geschuldet, die eigenen Verluste gering zu halten.
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Nach dem Debakel bei Charkow wurden in politischen Kreisen und Medien Russlands kritische Stimmen laut, die ein härteres Vorgehen forderten. Dass es sich um einen geplanten Rückzug russischer Einheiten gehandelt habe, wurde für wenig glaubwürdig gehalten. Die Meldung, dass die Ukraine bei ihrer Angriffsoperation erhebliche Verluste erlitten habe, war nur ein schwacher Trost.
Zunehmend wurden Forderungen nach einer Teilmobilmachung erhoben. Begründet wurde sie damit, dass sich die russische Militäroperation auf ukrainischem Boden zu einem Krieg gegen den vereinten Westen entwickelt habe. Wohl als Reaktion hat die russische Militärführung das ukrainische Stromnetz attackiert und einen Damm bei Krivoi Rog beschädigt, um den ukrainischen Vormarsch zu bremsen. Von weiteren Maßnahmen wurde danach abgesehen, um eine Eskalation zu vermeiden und die Lasten für die eigenen Bürger gering zu halten.
Nach einer Analyse der Lage haben sich Generalstab und Verteidigungsministerium schließlich für die geforderte Teilmobilisierung entschieden. Die Kremlführung hat den Vorschlag übernommen, der nun vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verkündet wurde. Weitergehende Schritte wie die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft stehen aktuell nicht zur Debatte.
Die dritte Partei neben dem Westen und Russland ist die ukrainische Führung, die als Ziel die Rückeroberung der verlorenen Gebiete inklusive der Krim postuliert. Wie in den Verhandlungen gegen Ende März erkennbar war, wäre Kiew durchaus kompromissbereit, sobald sich die Lage als hoffnungslos erweisen würde. Wurde zu jener Zeit Druck ausgeübt, den bewaffneten Kampf fortzusetzen, so könnte der Westen aktuell eine gegenteilige Orientierung erzwingen.
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