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“Europa der Verteidigung” – Die geplante Aufrüstung der EU

"Europa der Verteidigung" – Die geplante Aufrüstung der EU

Quelle: Gettyimages.ru © Andrew HoltSymbolbild

Von Pierre Lévy

In der EU wird viel gestritten: Stabilitätspakt, Migrationspolitik, Erhöhung des mehrjährigen Gemeinschaftshaushalts, zollfreie Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte, Erweiterung, “Green Deal” und so weiter. Die Liste der Dossiers, über die sich die 27 offen oder diskret streiten, ist noch länger.

Hat der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in diesem zumindest unruhigen Umfeld einen Bereich gefunden, in dem sich die Mitgliedsländer endlich einig sind? Am 11. Januar schlug er vor, das “Europa der Verteidigung” – richtiger wäre es, von einem Europa der Rüstung zu sprechen – durch die Schaffung eines mit 100 Milliarden Euro ausgestatteten Fonds zu stärken. Die Summe ist nicht ganz unbedeutend: Wenn man sie auf die in der EU lebende Bevölkerung bezieht, entspricht sie mehr als 200 Euro pro Person, Babys eingeschlossen.

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Laut dem Kommissar – der in seiner Zeit als französischer Finanzminister (2005 bis 2007) ein großer Befürworter von Kürzungen der öffentlichen Ausgaben war – geht es zum einen darum, “unsere industrielle Verteidigungsbasis deutlich zu stärken”, und zum anderen darum, “gemeinsame Sicherheitsinfrastrukturen zu entwickeln”. Zu letzteren könnten beispielsweise der Einsatz von Weltraumüberwachungssatelliten, gemeinsame Luftverteidigungssysteme, der mögliche Start eines europäischen Flugzeugträgers oder gemeinsame Zentren für Cybersicherheit gehören.

Der direkte Kauf von Waffen, Munition und Ausrüstung durch die EU ist nach den Verträgen nicht zulässig. Um diese unglückliche Hürde zu umgehen, gibt es schon mehrere Fonds, wie den Europäischen Verteidigungsfonds, der die militärische Forschung finanziert; den ASAP-Fonds, der Investitionen von Rüstungsunternehmen fördert, die Munition herstellen; und den EDIP-Fonds, der die gemeinsame Beschaffung von militärischer Ausrüstung durch mindestens drei Mitgliedstaaten begünstigt.

Man könnte auch die “Europäische Friedensfazilität” [sic!] nennen, ein älteres Instrument, das den militärischen Bedarf von Ländern oder Regimen decken soll, die Brüssel unterstützen möchte, was nicht aus dem allgemeinen EU-Haushalt geschehen kann. Das Problem ist, dass dieser Fonds durch die Hilfe für die Ukraine weitgehend geleert wurde und ein Konsens gefunden werden müsste, um ihn wieder aufzufüllen.

Mit seinem im Januar vorgelegten Entwurf (der ohnehin nicht vor Ende des Jahres Gestalt annehmen wird) möchte Brüssel Waffen- und Ausrüstungshersteller subventionieren, die aus mehreren Mitgliedstaaten stammen und sich zur Zusammenarbeit verpflichten.

“Wir sind bereit, den Unternehmen zu helfen, bestimmte Risiken einzugehen, insbesondere in neue Kapazitäten zu investieren, ohne dass sie von Anfang an über Aufträge der verschiedenen Armeen verfügen”, erklärte Breton.

Im Klartext: Das Geld der Steuerzahler wird riskiert, damit die Firmen sicher sein können, ihre Kosten zu decken, auch wenn die Aufträge nicht so zahlreich wie erwartet ausfallen.

Hierbei könnte angemerkt werden, dass es sich um staatliche Beihilfen handelt, die im Prinzip nicht sehr konform mit dem von den Verträgen vorgeschriebenen Liberalismus sind. Einige Regierungen könnten dieses Argument übrigens vorbringen, um das Projekt anzufechten. Aber für Herrn Breton und viele andere europäische Politiker (darunter Emmanuel Macron) ist es diese Ausnahme wert.

Wenn keiner von ihnen mehr von einer gemeinsamen EU-Armee zu träumen wagt, verfolgt dieses “Europa der Verteidigung” in Wirklichkeit zwei Ziele: die Kanonenhändler zufriedenzustellen und sie insbesondere gegenüber den großen amerikanischen Konzernen zu unterstützen, die mehr denn je auf europäische Aufträge schielen; und die Fantasien von der “Macht Europa”, dem neuen globalen Horizont, von dem die EU-Eliten träumen, zu erfüllen. Am 27. Februar wird die Kommission in diesem Zusammenhang ihre “neue Verteidigungsstrategie” erläutern.

Das erste Ziel ist umso ausschlaggebender, als zahlreiche Mitgliedstaaten nicht zögern, sich jenseits des Atlantiks einzudecken, sehr zum Leidwesen der europäischen Firmen (ADS/Airbus, Dassault, Thales, KMW, Rheinmetall …).

Erst kürzlich besuchte der bulgarische Verteidigungsminister Washington und anschließend die Fabriken des Riesen Lockheed Martin. Auf seiner Einkaufsliste stehen F-16-Kampfjets, Kampffahrzeuge, modernste Radaranlagen, Raketen für die Küstenwache und so weiter. Sofia plant, bis 2032 zehn Milliarden US-Dollar in diese Bereiche zu investieren. Bulgarien gilt als das ärmste Land der EU (aber auch als eines der Länder, in denen der Anteil der Bevölkerung, der als “prorussisch” – in Wirklichkeit kriegsgegnerisch – bezeichnet wird, am höchsten ist).

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Polen wiederum hatte im Juli 2022 den “Vertrag des Jahrhunderts” (Flugzeuge, Panzer, Haubitzen …) mit südkoreanischen Firmen unterzeichnet, sehr zum Leidwesen der europäischen Lieferanten.

Das zweite Ziel wurde durch eine Erklärung des neuen französischen Verteidigungsministers am 12. Januar wieder verdeutlicht. Stéphane Séjourné, ein enger Vertrauter des Präsidenten (der übrigens der Lebensgefährte des neuen Premierministers Gabriel Attal war), betonte erneut die Bedeutung der “Macht Europa” und betonte: “Die Wiederbewaffnung Frankreichs erfolgt natürlich durch die Wiederbewaffnung Europas.”

Der Zufall wollte es, dass sechs Tage später der Essay eines französischen Journalisten, der sich auf militärische Fragen spezialisiert hat, in die Buchhandlungen kommen sollte. Der Titel lautet: “Sind wir bereit für den Krieg?”

Früher verkündeten die Propagandisten der EWG und später der EU: “Europa ist Wohlstand” und “Europa ist Frieden”.

Der zweite Slogan ist nun auf dem besten Weg, genauso beruhigend zu werden wie der erste.

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