Meinung

Immer wieder Hochwasser-Katastrophen – weil das Gemeinwesen kaputtgespart wird

Immer wieder Hochwasser-Katastrophen – weil das Gemeinwesen kaputtgespart wird

Quelle: Gettyimages.ru Feuerwehrleute stehen hinter einer Mauer aus Sandsäcken am Elbufer im Dresdner Stadtteil Laubegast am 27. Dezember 2023.

Von Susan Bonath

Andauernde Regenfälle haben einige Flüsse wieder zum Überlaufen gebracht: Vor allem in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Teilen Thüringens hat sich die Lage über Weihnachten weiter zugespitzt. Und alle Jahre wieder steht Deutschland vor dem gleichen Problem: Im Hochwasserschutz tut sich nichts. Zahlreiche Katastrophen haben nicht zum Umdenken geführt.

Katastrophe auf Wiedervorlage

Denn Hochwasser ist ein bekanntes, ständig wiederkehrendes Problem. Seit Jahrhunderten kämpfen Menschen dagegen. Sie bauten Mauern und Deiche, legten Gräben und Auffangbecken an, ließen den Flüssen auf weiträumigen Auen viel Platz zum Überlaufen.

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Heute gibt es viele Auen nicht mehr. Flüsse wurden über weite Strecken für die Schifffahrt begradigt, Ufer zubetoniert, mit Infrastruktur bebaut, zur Besiedlung mit Eigenheimen verkauft. Der Staat macht Geld, wo er kann, und spart, wo es geht, zum Beispiel an der Pflege von Entwässerungsgräben und Deichen.

All das war vor zweieinhalb Jahren ein Grund für die katastrophalen Folgen der Flut im Ahrtal, die fast 200 Menschen das Leben kostete und deren Schäden bis heute nicht vollständig behoben sind. Und falls sie irgendwann behoben werden, kommt der Hochwasserschutz wieder zu kurz. Gegenüber der Tagesschau sprach in diesem Sommer ein Experte von einer “Katastrophe auf Wiedervorlage”.

Kein Geld für Bevölkerungsschutz

Die Ahrtal-Flut war nicht das erste Hochwasser in Deutschland mit verheerenden Folgen. Vor zehn Jahren hatte ich über die Elbeflut im Sommer 2013 in der Berliner Tageszeitung Junge Welt berichtet. Damals watete ich mit Gummistiefeln durch das überschwemmte Magdeburger Plattenbauviertel Brückfeld. Helfer schipperten mit kleinen Booten durch die Straßen, fischten Treibgut ab, darunter viele Tierkadaver. Die Keller waren vollgelaufen, das Wasser stand im Erdgeschoss. Man fürchtete den Ausbruch von Krankheiten.

Damals, elf Jahre nach der Elbeflut 2002 und acht Jahre vor der Katastrophe im Ahrtal 2021, zählten Experten und Umweltschützer mir gegenüber nicht zum ersten Mal dringend notwendige Maßnahmen auf, um schwerwiegende Folgen zu minimieren: Renaturierung von Auen und Wiederanschluss von Altarmen an die Hauptflüsse zum Beispiel. Man benötige große Naturflächen, um Überschwemmungen in bebauten Gebieten zu verhindern. Flüsse bräuchten Raum, die Natur könne damit umgehen, hieß es.

Andere Interviewpartner beklagten damals mir gegenüber, dass praktisch alles, was zu DDR-Zeiten für den Hochwasserschutz unternommen worden war, seit 1990 kaum noch stattfand. Niemand pflegte mehr die vielen Entwässerungsgräben und Deiche. Alle Warnungen habe die Politik in den Wind geschlagen. Es sei kein Geld da. Das Problem wurde vertagt – und das wird es bis heute.

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2013: Erwerbslose für Wiederaufbau abkommandiert

Was zu DDR-Zeiten selbst unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen möglich war – nämlich effektive Vorsorgemaßnahmen sowie schnelle Hilfe und Wiederaufbau im Ernstfall, wie der MDR vergangenes Jahr in einem Rückblick berichtete – scheitert heute an klammen öffentlichen Kassen, zäher Bürokratie und fehlenden Plänen.

Das Gemeinwesen wird kaputtgespart, die Steuern versickern zunehmend in Subventionstöpfen für Großkonzerne, in aufgeblähter Bürokratie und Programmen für Aufrüstung. So füllen sie am Ende die Konten reicher Privatiers, während für die Daseinsfürsorge immer weniger übrig bleibt. Im sozialen Sektor herrscht der Rotstift.

Schon vor zehn Jahren waren es vor allem freiwillige Helfer, die unentgeltlich Sandsäcke stapelten, um Deiche zu stützen und Wohnhäuser vor schlimmsten Folgen zu bewahren. Um die Flutschäden später zu beseitigen, griff das Land Sachsen-Anhalt gar auf sein Erwerbslosenheer zurück. Man setzte dafür tausende ältere Ein-Euro-Jobber ohne jede Erfahrung ein – das Programm dafür nannte die Bundesagentur für Arbeit (BA) zynisch “Aktiv zur Rente”. 

Profite vor Gemeinwohl

Soziale Für- und Vorsorge für das Gemeinwohl muss im fortgeschrittenen Kapitalismus mit immer weiter oben konzentrierten Vermögen eben vor allem eins sein: billig, am besten ehrenamtlich.

Da können Experten noch so viele gute Ratschläge für eine nachhaltige Problemlösung geben, wie etwa 2021 nach der Ahrtalflut im Deutschlandfunk: Es ändert sich einfach nichts, es grassiert politische Ignoranz – seit Jahrzehnten.

Und vernachlässigt wird nicht nur der Hochwasserschutz. Vieles funktioniert schon lange immer weniger. Der Rotstift regiert überall: im Gesundheitswesen, im öffentlichen Nahverkehr, beim Ausbau eines brauchbaren Internets, beim sozialen Wohnungsbau, in der Jugend- und Obdachlosenhilfe und so weiter.

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Die soziale und öffentliche Daseinsfürsorge war schon immer das Stiefkind des neoliberalen Establishments. Ganz oben auf der Agenda stehen die Profite für Superreiche. Der Sozialstaat für Milliardäre floriert trotz Inflation und Verarmung jedenfalls prächtig, während die Regierung die aktuellen Haushaltslöcher mit weiteren sozialen Sparmaßnahmen stopfen will.

Es ist fast so sicher wie das Amen in der Kirche: Das nächste Hochwasser mit dramatischen Folgen kommt wieder, spätestens in ein paar Jahren. Dann werden Experten wieder warnen, niemand wird auf sie hören und die Politik alles beim Alten belassen. Und immer mehr Menschen in Deutschland wird auch sinnbildlich das Wasser bis zum Hals stehen.

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